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Gute Beratung ist ein unerlässlicher Pfeiler fairer Arbeitsmarktintegration, sagt Felix Litschauer von „Faire Integration" im Interview mit der Redaktion des FES Themenportals Flucht, Migration und Integration.
Herr Litschauer, was genau heißt faire Arbeitsmarktintegration?
Faire Arbeitsmarktintegration bedeutet, dass die Menschen zu fairen Bedingungen und ihren Qualifikationen entsprechend am Arbeitsmarkt teilhaben können. Die wichtigsten Voraussetzungen dafür sind: die Möglichkeit zum Spracherwerb und der Anerkennung auch nicht-formaler Qualifikationen, ohne den Druck, schnell einen Job finden zu müssen.
Was das Arbeitsverhältnis an sich angeht, ist eine lückenlose Transparenz über die Arbeitsbedingungen notwendig und die Information über Rechte und Pflichten auf der Arbeit. Außerdem müssen vorhandene Hürden abgebaut werden, damit Geflüchtete und Arbeitsmigrant_innen aus Drittstaaten gegenüber Arbeitnehmer_innen in Deutschland gleichgestellt sind. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, den Arbeitgeber wechseln zu können und sich gegen ausbeuterische Arbeitgeber zu wehren, ohne damit den Aufenthalt zu gefährden.
Die Beratungsstellen des Netzwerkes „Faire Integration“ beraten Menschen, die nicht aus der EU kommen. Was sind, Ihrer Meinung nach, die größten Probleme, denen Drittstaatsangehörige hier in Deutschland gegenüberstehen?
Zum einen ist das sicherlich das Thema Qualifikationsanerkennung. Auch wenn sich hier in der Vergangenheit viel getan hat, ist der Anerkennungsprozess immer noch langwierig und voraussetzungsreich. Daher sind gerade Geflüchtete häufig immer noch in Berufen tätig, die weit unterhalb ihrer Qualifikationen liegen. Leider sehen wir immer wieder, dass Jobcenter ihre migrantischen Kund_innen in diese prekären Jobs – etwa in der Leiharbeit – vermitteln, um schnelle Erfolge verbuchen zu können. Langfristige Maßnahmen, wie das Erlernen der deutschen Sprache – eine Grundvoraussetzung für gute Jobs in Deutschland – stehen bisweilen nicht im Vordergrund.
Zum anderen ist die Kopplung von Aufenthaltstiteln an Erwerbstätigkeit, bzw. die Möglichkeit seinen Lebensunterhalt selbst zu sichern ein großes Problem. Das sorgt mitunter für starke Abhängigkeiten zum Arbeitgeber. Wir erleben immer wieder, dass Ratsuchende sich dagegen entscheiden, ihren Arbeitgeber zu belangen, sogar wenn dieser Löhne nicht zahlt oder unbezahlte Überstunden verlangt, um ihren Aufenthalt nicht zu gefährden.
Wie wirken sich diese Probleme auf die Menschen aus, die zu Ihnen in die Beratung kommen?
Da gibt es einerseits den Familienvater aus Afghanistan, der eine Beschäftigungsduldung hat und der seinen Aufenthalt verfestigen will, um seine Familie nachzuholen. Dieser steht dann unter enormen Druck, auch schlechte Arbeitsbedingungen zu akzeptieren ohne sich wehren zu können. Immer häufiger suchen uns aber auch Personen aus Drittstaaten auf, die zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nach Deutschland zuwandern – etwa gut ausgebildete Fachkräfte, die mittels der europäischen Blauen Karte (eng. Blue Card) gekommen sind und eine Beratung in Anspruch nehmen, weil sie nur einen Bruchteil des versprochenen Gehalts bekommen haben. Was die Ratsuchenden gemeinsam haben ist, dass das Potenzial, von Arbeitgebern ausgebeutet zu werden, im Vergleich zu deutschen oder europäischen Arbeitnehmer_innen ungemein höher ist.
Verstärkt werden diese Hürden durch vielfältige Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen – sei es beim Kontakt mit Behörden, beim Zugang zum Spracherwerb oder zum Arbeitsmarkt und im Arbeitsverhältnis. Aber auch fehlendes Wissen über ihre Rechte gegenüber dem Arbeitgeber ist ein Problem und verstärkt die Gefahr von Ausbeutung.
Wie kann diesem Problem vorgebeugt werden? Beispielsweise bei den Geflüchteten aus der Ukraine, die nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine nach Deutschland gekommen sind?
In den ersten Monaten des Krieges stand die Weitergabe von Basisinformationen zum deutschen Arbeitsmarkt, etwa zu Minijobs, Arbeitszeiten und Mindestlohn, im Fokus. Hierbei geht es um Prävention: Geflüchtete sollen möglichst ausbeuterische Arbeitsverhältnisse schon vor der Arbeitsaufnahme erkennen können.
In beinahe allen unserer bundesweit 28 Beratungsstellen gab es einen sehr hohen Informationsbedarf vonseiten Geflüchteter aus der Ukraine. Die Berater_innen sind auch proaktiv auf die Geflüchteten zugegangen, hatten Infostände an Bahnhöfen, haben Erstaufnahmeeinrichtungen besucht oder Online-Infoveranstaltungen auf Ukrainisch organisiert. Im April 2022 waren Ratsuchende aus der Ukraine mit 25% die größte Herkunftsgruppe. Mittlerweile kommen viele Geflüchtete mit konkreten Fragen zu angestrebten Jobs und legen Arbeitsverträge zur Prüfung durch die Beratungsstellen vor. Ein großer Beratungsbedarf besteht weiterhin beim Thema Sozialleistungen. Da geht es sehr oft um die Frage: „Wieviel darf ich mit SGB II Bezug arbeiten und lohnt sich das?“
Haben Sie den Eindruck die Aufnahme in private Haushalte, im Vergleich zu Gemeinschaftsunterkünften, hilft den Geflüchteten besser anzukommen?
Das ist von Unterkunft zu Unterkunft sehr verschieden. Es gibt viele private Gastgeber_innen, die auch bei Behördengängen helfen, bei der Kinderbetreuung einspringen oder bei der Suche nach einem Job oder einer eigenen Wohnung unterstützen. Es gibt aber auch solche, die ihre Gäste für sich unbezahlt im Haushalt arbeiten lassen, wo die Grenzen zwischen gegenseitiger Hilfe und Arbeitsleistung unter dem emotionalen Druck, kostenlos wohnen zu dürfen, nicht immer klar sind.
In den Aufnahmezentren gibt es häufig verschiedene Beratungsangebote, die den Menschen professionell Informationen geben können – das können Privatpersonen natürlich so nicht leisten. Grundsätzlich lässt sich aber sagen: Wenn der oder die Gastgeber_in gewillt und in der Lage ist, beim Ankommen in Deutschland zu unterstützen, ist das ein Riesenvorteil!
Sehen Sie einen anderen Beratungsbedarf für die Geflüchteten aus der Ukraine, gerade auch, weil es sich hauptsächlich um Frauen und Kinder handelt?
Aufgrund des kriegsbedingten Ausreiseverbots für einen Großteil der ukrainischen Männer sind es vor allem Frauen und Kinder, die geflüchtet sind. Etwa drei Viertel unserer Ratsuchenden aus der Ukraine sind Frauen. Diese haben spezifische Bedarfe sowohl was Form als auch Inhalt der Beratung angeht. Online-Beratungsangebote werden bevorzugt, da diese leichter mit Kinderbetreuung unter einen Hut gebracht werden können. Auch bei den Beratungsinhalten spielt das Thema Kinderbetreuung häufig eine Rolle, etwa bei der Frage, wie Integrationskurs, Kinderbetreuung und Job zusammengebracht werden können. Das ist mit ein Grund, warum viele unserer Ratsuchenden in Minijobs arbeiten, die besonders anfällig für Arbeitsrechtsverletzungen sind.
Außerdem müssen die Berater_innen in den Themengebieten sexuelle Ausbeutung und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geschult sein, von denen Frauen mit Migrationserfahrung überdurchschnittlich häufig betroffen sind. Auch müssen entsprechende Infomaterialien vorhanden sein. Weitere spezifische Themen sind die Rechte auf der Arbeit während Schwangerschaft und Infos zu Mutterschutz bzw. Elternzeit.
Was könnte von Seiten der Politik getan werden, um Integrationspolitik gendersensibel zu gestalten?
Integrationspolitisch ist es wichtig, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Förderung der Erwerbstätigkeit vonseiten der Jobcenter mitzudenken und gemeinsam mit den Frauen auf deren individuelle Bedarfe einzugehen. Arbeitsmarktförderung muss darüber hinaus immer vielfältige Faktoren wie Alter, berufliche Qualifikationen und Bildungsstand mitdenken. Von Unternehmensseite ist ebenfalls eine größere Offenheit für die Bedarfe geflüchteter Frauen notwendig, etwa was die Arbeitszeitgestaltung angeht. Darüber hinaus braucht es gute und flächendenkende Beratungsangebote, die auf sicheren finanziellen Füßen stehen.
Neben ukrainischen Staatsbürgern sind ja auch nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige – etwa ausländische Studierende – aus der Ukraine geflohen. Gibt es in Deutschland für diese Gruppe auch die Möglichkeit eines sicheren Aufenthaltsstatus oder den Zugang zu Bildungs- und Arbeitsmarkt?
Da gibt es nach unserer Erfahrung leider sehr viele Probleme. Grob gesagt ist es so, dass diejenigen, welche nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, etwa weil dort die Sicherheitslage schlecht ist, wie Ukrainer_innen auch Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach §24 Aufenthaltsgesetz und somit Zugang zu Integrationskursen und Sozialleistungen haben. Darunter fallen allerdings nur sehr wenige Menschen. Alle anderen ukrainischen Drittstaatsangehörige müssen mittlerweile ausreisen oder einen anderen Aufenthaltstitel, etwa zum Studium, beantragen. Um in Deutschland zu studieren, muss man allerdings gut Deutsch sprechen und einen gesicherten Lebensunterhalt haben. Wenn man kein Stipendium hat, bedeutet das etwa 11.000€ pro Jahr zur Verfügung zu haben. Diese Voraussetzungen erfüllen die meisten Betroffenen nicht. Es ist also gut möglich, dass viele derer, die nicht ausreisen wollen, in die Illegalität gezwungen werden. Das ist momentan eine riesige Herausforderung für die Beratungsstellen.
Als Beratungsnetzwerk haben Sie es mit vielen unterschiedlichen Sprachen und kulturellen Hintergründen und ggf. mit traumatischen Erfahrungen von Menschen zu tun. Sind die Beratungsstellen finanziell und personell ausreichend ausgestattet, um den Bedarfen der Geflüchteten und Zugewanderten auch langfristig gerecht zu werden?
Das Beratungsnetzwerk Faire Integration besteht aus insgesamt 50 Berater_innen, die zusammen 19 Sprachen sprechen. Die meisten unserer Berater_innen haben selbst Migrationserfahrung – sind beispielsweise um 2015 aus Syrien und Afghanistan geflüchtet. Sie sind daher sensibel für die Situation der Ratsuchenden, das sie oft ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Alle unserer Berater_innen werden regelmäßig fachlich und methodisch geschult. Es gibt außerdem ein Support Team, das bei schwierigen Beratungsfällen unterstützt und Materialien für die Beratungsarbeit bereitstellt. Wichtig für eine gute Beratung ist ein Beratungsansatz, der darauf abzielt die Ratsuchenden zu befähigen, ihr Problem selbst zu beurteilen und möglichst auch nachhaltig selbst zu lösen. Für diese Form von Empowerment müssen die Berater_innen zum einen fachlich einwandfrei die notwendigen Informationen vermitteln und zum anderen die vorhandenen Handlungsoptionen aufzeigen und mögliche Konsequenzen schildern können. In der Beratung können Vor- und Nachteile einer bestimmten Vorgehensweise diskutiert werden, die letztliche Entscheidung treffen jedoch die Ratsuchenden. Dieser Prozess sollte möglichst in der Muttersprache der Ratsuchenden stattfinden.
Was die strukturellen Voraussetzungen angeht, braucht es zuallererst bessere Arbeitsbedingungen für die Berater_innen in Form einer langfristigen Perspektive für unser Netzwerk. Wir müssen endlich raus aus der Projektstruktur, die für Unsicherheit in Form befristeter Arbeitsverträge und kurzfristiger Planungsmöglichkeiten sorgt. Nur so lässt sich eine qualitativ hochwertige Beratung nachhaltig sicherstellen.
Nur wer seine Rechte kennt, kann diese auch durchsetzen. Gute Beratung ist deshalb ein unerlässlicher Pfeiler fairer Arbeitsmarktintegration!
Faire Integration ist ein bundesweites gewerkschaftsnahes Beratungsnetzwerk für Migrant*innen, die nicht aus der EU kommen, zu arbeits- und arbeitsrechtlichen Fragen.
Die Beratungsstellen unterstützen Ratsuchende dabei sich vor Ausbeutung und Benachteiligung zu schützen und sich dagegen zur Wehr zu setzen. Die Kenntnis über die eigenen Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis ist essentiell, um sich auf dem Arbeitsmarkt sicher bewegen zu können. Sie ist Grundlage dafür, prekäre Beschäftigungsbedingungen zu überwinden und gute Arbeit in Deutschland zu finden. Denn nur, wer seine Rechte kennt, kann diese auch einfordern.
Faire Integration ist Teil des IQ Netzwerkes und wird gefördert vom BMAS und der Europäischen Union.
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