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„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ (Walter Ulbricht, Staatsratsvorsitzender der DDR, am 15. Juni 1961). Ist es Ulbricht klar, dass er mit diesem Satz als einer der großen Lügner in die Geschichte eingehen wird?
Zwei Monate später jedenfalls mauern Ost-Berliner Bauarbeiter unter dem „Schutz“ von Volkspolizei und Nationaler Volksarmee ab dem 13. August 1961 den Westteil Berlins ein.
Willy Brandt (SPD), Regierender Bürgermeister von West-Berlin, protestiert mit 300.000 Leuten vor dem Schöneberger Rathaus. Natürlich vergeblich. Der „antifaschistische Schutzwall“ – wie die Mauer von der DDR-Regierung offiziell genannt wird – trennt die beiden Teile Berlins und, zusammen mit den Grenzsicherungsanlagen zwischen Ost- und Westdeutschland, das ganze Land – 28 Jahre lang.
Viele sterben bei dem Versuch, die Mauer von Ost nach West zu überwinden. (Eine Untersuchung von 2013 erfasst 138 Tote.)
Dabei kann man die Logik, die die DDR-Regierung mit dem Mauerbau verfolgt, durchaus nachvollziehen: Von 1949 bis 1961 fliehen über 2,5 Millionen Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik, die meisten via Ost- nach West-Berlin. Hinzu kommen die sog. „Grenzgänger“: Ost-Berliner, die in West-Berlin arbeiten und entsprechend kaufkräftige D-Mark mitbringen; im Jahr 1961 sind es 50.000. Was soll man tun, wenn man am „Aufbau des Sozialismus“ arbeiten will und einem die Leute abhauen?
Verständnisvoll waren denn auch die Reaktionen der West-Alliierten. Von US-Präsident John F. Kennedy (der sonst immer mit seinem „Ish bin ein Bearleener“ von 1963 zitiert wird) stammt dieser Kommentar unmittelbar nach dem Mauerbau, der sehr viel konkreter (und auch realistischer) ist: „Keine sehr schöne Lösung, aber tausendmal besser als Krieg.“
Bild: W. Brandt (li), Reg. Bürgermeister von West-Berlin, spricht mit Arbeitern der AEG Turbine vor dem Rathaus Schöneberg,
(14.08.1961); Quelle: AdsD / FES
...und bietet den willkommenen Anlass der „Spiegel-Affäre“. Die Titelstory berichtet über das NATO-Mänover „Fallex 62“ und kritisiert die Rüstungspolitik unter Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU).
Einer von dessen Parteifreunden erstattet Anzeige gegen den „Spiegel“ wegen Landesverrats (ein Freiherr von der Heydte, der im 2. Weltkrieg Kommandounternehmen der Wehrmacht befehligte und inzwischen auf einem Lehrstuhl für öffentliches Recht sitzt – ein Experte also für beides: für Soldatenkram und fürs Anzeigeerstatten) – worauf die Redaktion durchsucht wird, Material beschlagnahmt wird, Redakteure und Herausgeber des „Spiegel“ verhaftet werden.
Die Öffentlichkeit regt sich auf: Zensur! Angriff auf die Pressefreiheit! und so. Dabei ist alles, was im "Spiegel" steht, eigentlich schon aus anderen Veröffentlichungen bekannt. Und Strauß macht einen großen Fehler: Er beteuert, von der Aktion gegen den „Spiegel“ nichts gewusst zu haben, was aber gelogen ist, weswegen er am 30. November vom Amt des Verteidigungsministers zurücktreten muss.
Wenn man in der „Spiegel-Affäre“ den Versuch sehen will, aufkeimende sozialliberale Tendenzen der bundesrepublikanischen Demokratie abzuwürgen, kann man diesen Versuch mit Fug und Recht für gescheitert erklären.
Rudolf Augstein, der Herausgeber des „Spiegel“, wird nach 103 Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen.
Heute kommt niemand mehr auf den Gedanken, ins Nachbarland einzumarschieren, um den „Erbfeind“ zu vernichten. Frankreich und Deutschland verstehen sich gemeinsam als „Motor Europas“, es ist Normalität eingekehrt, man kann die jeweils andere Sprache in der Schule lernen.
Auf politischer Ebene liegt dieser Länderfreundschaft aber eine kuriose Vertragsgeschichte zugrunde:
General de Gaulle (frz. Präsident) ärgert sich nämlich über die USA und Großbritannien, die seit 1958 bei der Entwicklung von Atomwaffen zusammenarbeiten. Um den Einfluss der USA in Europa zu schwächen, lehnt de Gaulle einen Beitritt Großbritanniens in die EWG ab und unterbreitet der Bundesrepublik einen bilateralen Freundschaftsvertrag. In diesem wird u.a. geregelt, dass sich Regierungsmitglieder und hohe Militärs beider Länder turnusmäßig zu gegenseitigen Konsultationen treffen, dass der gegenseitige Sprachunterricht bildungspolitisch gefördert werden soll usw.
Bundeskanzler Adenauer ergreift wie immer die Gelegenheit, das Ansehen der Bundesrepublik zu stärken – was in diesem Fall nicht nur bei der amerikanischen Regierung zu Irritationen führt, sondern auch bei seinem Außenminister Gerhard Schröder, der de Gaulles Politik für falsch hält und das dummerweise auch noch sagt.
Das Ende vom Lied: Die jahrhundertealte „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich wird für beendet erklärt, Adenauer kriegt von de Gaulle ein Küsschen, Schröder nicht.
Verlust der absoluten Mehrheit (1961), Ärger mit dem Verteidigungsminister (1962), Ärger mit dem Außenminister (1963), ein ungeliebter dezidierter Nachfolger – in den letzten Regierungsjahren Konrad Adenauers herrscht nur wenig eitel Sonnenschein.
Außerdem wird er von allen nur noch „der Alte“ genannt, er geht auf die 90 zu. Wie versprochen tritt er kurz vor Ende seiner letzten Amtsperiode zurück, und Ludwig Erhard wird sein Nachfolger.
Bei der Bundestagswahl 1965 fährt Erhard ein besseres Ergebnis ein als sein Vorgänger, doch dann verlässt ihn sein Glück (und zum Schluss sogar sein Koalitionspartner, die FDP). Erhard hat wenig Rückhalt in der eigenen Partei, und sein Ruf als Wirtschaftsminister und zigarrenbewehrter „Vater des Wirtschaftswunders“ nimmt Schaden, als 1966 eine Rezession einsetzt.
Dafür kann er natürlich ebensowenig wie für das „ Wirtschaftswunder“; Hauptsache, die CDU hat einen Watschenhannes, den sie durch die Ernennung Kurt-Georg Kiesingers zum neuen Kanzlerkandidaten …, ja, eben: abwatscht. (Kommentar Adenauers: „Der eine is wech!“)
Die „Mauer“ steht seit über zwei Jahren, und sie ist dicht in beiden Richtungen. Es gibt zwar Passierscheinstellen, die von der DDR schon unmittelbar nach dem Mauerbau errichtet wurden, die dürfen aber von West-Berlinern nicht benutzt werden. Vom Polizeipräsidenten persönlich verboten!
Äh, warum das denn?
Der Polizeipräsident ist ein rechtstreuer Mann, und in der BRD gilt nunmal die sog. „Hallstein-Doktrin“, die besagt, dass die Bundesrepublik den Alleinvertretungsanspruch für alle Deutschen innehabe – weshalb sie beispielsweise Ländern, die diplomatische Beziehungen zur DDR aufnehmen wollen, mit dem Abbruch derselben droht; oder eben ihren eigenen Bürgern verbietet, offizielle Dokumente der DDR – und damit die DDR selbst als Staat – anzuerkennen.
Mit diesem bürokratischen Verrenkung ist kurz vor Weihnachten 1963 Schluss: Zwischen dem Berliner Senat und der DDR-Regierung wird ausgehandelt, dass nach dem Ausfüllen eines Antragsformulars (hui!) nun wenigstens wieder West-Berliner ihre Freunde oder Verwandten im Ostteil der Stadt besuchen dürfen.
Dieses Passierscheinabkommen ist das erste einiger weiterer Abkommen, die als Vorspiel zu Willy Brandts „Neuer Ostpolitik“ angesehen werden können. Brandts Mastermind Egon Bahr wird es später auf den Punkt bringen: Es geht um „Wandel durch Annäherung“.
Im Bundestagswahlkampf 1965 inszenierte die SPD ihren Spitzenkandidaten Willy Brandt, seit 1957 Regierender Bürgermeister von West-Berlin, als Staatsmann.
Video: AdsD / FES
… mit Kurt Georg Kiesinger als neuem Bundeskanzler (CDU) und Willy Brandt (SPD) als Vize und Außenminister. Zuvor war die 1965 gebildete Neuauflage der christlich-liberalen Koalition (Kanzler Ludwig Erhard) zerbrochen.
Manch ein Zeitgenosse traut diesem Regierungsbündnis kaum ein paar Wochen zu, angesichts der Konstellation so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie z.B. Karl Schiller (SPD, Wirtschaftsminister) und Franz-Josef Strauß (CSU, Finanzminister).
Das bundesrepublikanische Wahlvolk scheint's jedoch mit Humor zu nehmen: Gerade für diese beiden bürgern sich die (von Wilhelm Busch übernommenen) Spitznamen „Plisch“ und „Plum“ ein. Alles niedlich also. Und, bester Ausweis der Regierungsfähigkeit der SPD: Man einigt sich über so schöne Sachen wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und über so unschöne Sachen wie die Notstandsgesetze (sh. 1968).
Weil die Große Koalition so groß ist, dass die parlamentarische Opposition nichts mehr gegen sie machen kann, bildet sich eine Protestbewegung gegen sie: Die außerparlamentarische Opposition (APO).
… bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien in West-Berlin.
Der Täter, Karl-Heinz Kurras, der 2009 als Stasi-Spitzel entlarvt werden wird, beruft sich auf Notwehr und wird freigesprochen. Stimmt, muß man Verständnis für haben, es geht ja auch ziemlich gewalttätig zu bei den Studentenprotesten gegen den persischen Dikator, da kann ein Zivilpolizist schon mal Panik bekommen...
Tatsächlich geht die Gewalt von Tags zuvor eingeflogenen „Jubelpersern“ aus, die vor dem Schöneberger Rathaus den Berliner Student_innen und APO-Leuten mal so richtig zeigen, wo das Stahlrohr hängt. Die Berliner Bereitschaftspolizei lässt die Schlägertruppe gewähren und nimmt einige der Opfer fest, noch während auf sie eingedroschen wird.
Doof, ärgerlich? Ja, genau. Für den Abend wird eine zweite Demo anberaumt, diesmal vor der Deutschen Oper, wo sich der Schah die Zauberflöte angucken will. Eier und Tomaten fliegen, zwei Polizisten werden von Steinen verletzt, der Berliner Polizeipräsident befiehlt die „Leberwursttaktik“ (in die Mitte der Demonstrantenmenge hineinstechen, so daß sie an den Enden zerplatzt). Im allgemeinen Tumult kann Kurras seine Dienstpistole auf Ohnesorgs Hinterkopf richten, und...
Und die Folgen? Kaufhausbrände, Attentate, Molotowcocktails … die Studentenbewegung radikalisiert sich. Der Sound dazu? – „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ der Band „Ton, Steine, Scherben“.
Nach den Pariser Verträgen von 1955 gibt es immer noch Sonderrechte der westlichen Siegermächte, die sich vor allem auf die Sicherheit der von ihnen in der Bundesrepublik stationierten Truppen beziehen.
Theoretisch könnten die Vertretungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs im Falle eines „Notstands“ (Krieg, Umweltkatastrophe usw.) die Regierungsmacht übernehmen – bis zum Inkrafttreten einer entsprechenden Regelung in der deutschen Gesetzgebung.
Die Verabschiedung von „Notstandsgesetzen“ ist also die Bedingung für einen weiteren Schritt in Richtung staatlicher Souveränität. Sie werden, nach langen kontroversen Debatten, am 30. Mai 1968 durch den von der Großen Koalition dominierten Bundestag verabschiedet. (Die 50 FDP- und 53 der SPD-Abgeordnete votieren dagegen).
Nur – '68 ist nicht mehr '50er Jahre! Inzwischen gibt es die APO und den SDS. Die Student_innen, die gerade den Mord an Ohnesorg (1967) erlebten, haben längst begonnen, die Autoritätsgläubigkeit der Älteren und insbesondere die Nazivergangenheit der Elterngeneration kritisch zu hinterfragen. Sie fürchten, mit den Notstandsgesetzen (und ihrer Einschränkung der Grundrechte) feiere Hitlers „Ermächtigungsgesetz“ fröhliche Urständ.
Insofern kommen die Notstandsgesetze 1968 der sich radikalisierenden Studentenbewegung gerade recht... (Übrigens bringen die Notstandsgesetze in Sachen staatlicher Souveränität nicht viel: Die alliierten Vorbehaltsrechte enden erst mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag am 15. März 1991 – nach der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten.)
Bild: "Keine Notstandsgesetze" - Werbeplakat für eine Großkundgebung
des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) am 11. Mai 1968 in der
Dortmunder Westfalenhalle. (DGB-Archiv im AsdD / FES)
Die Student_innen rebellieren. Einer ihrer Hauptaufreger – neben der Großen Koalition und den Notstandsgesetzen – ist der Vietnamkrieg, in welchem der reichste Staat der Welt (die USA) einen der ärmsten (Nordvietnam) plattzumachen versucht.
Für den SDS ist der Vietnamkrieg das Paradebeispiel eines aggressiven imperialistischen Kapitalismus.
Dutschke organisiert zusammen mit KD Wolff (1967-68 SDS-Chef) den Internationalen Vietnamkongress mit anschließender Demo und Sympathiekundgebungen für die Vietcong. Wenige Wochen später wird Dutschke, die mit Abstand prominenteste Figur der Studentenbewegung, auf dem Berliner Kurfürstendamm niedergeschossen.
Kurz zuvor hat die „Bild“-Zeitung, die sich schon jahrelang als eine der Studentenbewegung nicht gerade freundlich zugetane Gazette positioniert, zum „Ergreifen“ der „Rädelsführer“ der Proteste aufgerufen.
Einem Neonazi ist „ergreifen“ zu wenig, er schießt den „Rädelsführer“ Rudi Dutschke kurzerhand über den Haufen. Dutschke überlebt schwerverletzt, sein Hirn ist geschädigt, er muss neu sprechen lernen.
(Rudi Dutschke wird 1979 an den Folgen seiner Verletzung sterben.)
Bei der Bundestagswahl '69 kommt die SPD erstmals nach 1949 nah an die CDU/CSU heran; zusammen mit der FDP, die knapp die 5-Prozent-Hürde meistert, hat sie die Stimmenmehrheit im Bundestag. Es kommt zur ersten sozialliberalen Koalition mit Willy Brandt als Kanzler.
Mit seinem berühmten Satz: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ wendet er sich ausdrücklich an jene „jungen Menschen“, die sich vom autoritären Politikstil althergebrachter Prägung abgestoßen fühlen.
Das erste konkrete Angebot folgt auf dem Fuße: Das Volljährigkeitsalter soll von 21 auf 18 herabgesetzt werden. Im deutschlandpolitischen Teil seiner Regierungserklärung weist er auf die Notwendigkeit hin, das Verhältnis zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu entkrampfen: „Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein.“ Unruhe bei der Bundestagsfraktion der Union – man spürt, dass hier die „Neue Ostpolitik“ annonciert wird; sie wird im kommenden Jahrzehnt das Verhältnis Westdeutschlands nicht nur zur DDR, sondern zu allen Ostblockstaaten grundlegend verändern.
Audio und Bild: AdsD und J.H.Darchinger / FES