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Spätes Crescendo mit großem Finale: Wie in Iran Wahlkampf gemacht wird

Äußerst kurz, sehr intensiv und durchaus entscheidend – auch für die iranische Politik sind Wahlkampfzeiten besonders

Porträt von Adnan Tabatabai . Er hat dunkelbraune Haare, einen Bart und spricht in ein Mikrofon.

Bild: Tabatabai

Adnan Tabatabai

 

 

Wenige Wochen verbleiben, bis in Iran am 18. Juni die 13. Präsidentschaftswahl der 1979 gegründeten Islamischen Republik stattfindet. Doch Euphorie kommt bislang nicht auf: Irans Bevölkerung durchlebt Krisenjahre voller gesellschaftspolitischer Spannungen und beißenden wirtschaftlichen Problemen.

Wenngleich von den Iraner*innen das US-Sanktionsregime als eines der Hauptgründe für diese Krisen genannt wird, sehen sie auch ihre eigene politische Elite in der Verantwortung. Dies äußert sich in einer deutlich zu vernehmenden Politikverdrossenheit. Das studentische Umfrageinstitut ISPA führte im April Telefoninterviews zur Präsidentschaftswahl durch, denen zufolge lediglich 43% der Teilnehmer*innen angaben, zur Wahl gehen zu wollen. Selbst der Staatsrundfunk IRIB vermeldete Umfrageergebnisse, die besagen, dass 51% der Befragten den Wahlen fernbleiben wollen. Neben der Politikverdrossenheit ist hierbei zudem zu berücksichtigen, dass sich Iran noch inmitten der nunmehr vierten COVID-19-Welle befindet. Dies wird sich sowohl auf die Beteiligung am Wahltag selbst, aber auch auf den langsam, aber sicher beginnenden Wahlkampf auswirken.

Wahlen in Iran zeichnen sich unter anderem durch sehr kurze Wahlkämpfe aus, die zurückhaltend beginnen, zum Ende hin jedoch an Fahrt aufnehmen, einem Crescendo gleichend. Je näher der Tag der Stimmabgabe rückt, desto mehr Dynamik entwickelt der Wahlkampf. In der Vergangenheit war häufig zu beobachten, dass die Gesamtstimmung im Land erst in den letzten Tagen vor dem Wahltermin in die eine oder andere Richtung kippte. Dies ist einer der Gründe, warum besonders in Zeiten eines anstehenden Regierungswechsels – der amtierende Präsident darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten – Vorhersagen über den Ausgang der Wahl kaum möglich sind.

Zur Erinnerung: 1997 gewann entgegen jedweder Erwartung der Reformer Mohammad Chatami die Präsidentschaftswahl, 2005 hatte niemand den Prinzipientreuen Mahmud Ahmadinedschad auf dem Schirm und 2013 erreichte der spätere Präsident Hassan Rohani noch zehn Tage vor der Wahl in Umfragen gerade mal 6%.

Die kurze Phase des Wahlkampfs hat daher große Bedeutung, entgegen aller Unkenrufe. Sich ein genaueres Bild von ihr zu machen, ist lohnenswert.

 

In öffentlichen Medien (Rundfunk, Print, Online)

Den roten Linien des öffentlichen Diskurses in der Islamischen Republik zum Trotz finden in den staatlichen Medien kontroverse Diskussionen zu innen- und außenpolitischen Themen statt. Bedeutsam ist hierbei die Fragmentierung der iranischen Medienlandschaft entlang politischer Lager. Mit Ausnahme vereinzelter Wirtschafts-, Kultur- und Sportpresse sind alle Nachrichtenmedien tendenziell oder in Gänze einer politischen Figur oder Gruppierung nahestehend. In Abwesenheit effektiver Parteien und Parteiprogrammen kommt diesen Medienoutlets eine besondere Bedeutung zu: das Transportieren politischer Botschaften und Konzepte in den öffentlichen Diskurs. So werden fortlaufend Themen der Tagespolitik in Narrative verpackt, die den jeweils eigenen politischen Lagern dienen sollen.

Im Staatsfernsehen wird zwar im Vorfeld von Wahlen stets mehr Wert auf inhaltliche Diversität gelegt, doch auch diese Inhalte offenbaren eher das Sendungsbewusstsein der Eliten, als dass sie die Belange der Bevölkerung widerspiegeln. Letzteres schreiben sich die aus dem Ausland agierenden Satellitenkanäle mit teilweise beachtlicher Reichweite auf die Fahne. Allerdings sind diese aufgrund fragwürdiger Finanzierungsmodelle (besonders bei „Iran International“) nicht unproblematisch, zudem sie immer wieder auch internationale journalistische Standards missachten. Dennoch beeinflussen sie zweifellos politische Debatten im Land mit.

Hinzu kommt die schier unendlich weitläufig erscheinende Sphäre der sozialen Medien. Derzeit ist die App „Clubhouse“ der neueste diskursive Raum, in dem Akteure unterschiedlicher politischer Couleur aus In- und Ausland mit Politiker*innen der Islamischen Republik debattieren, teilweise stundenlang. Die limitierte Reichweite von Clubhouse wird hierbei durch die Verbreitung der Inhalte der Clubhouse-Rooms in Telegram, Twitter und Instagram ausgeweitet. Für den anstehenden Wahlkampf werden die dortigen Diskurse vermutlich ebenso wichtig sein wie die späteren TV-Debatten der Kandidaten, da der Gesprächsverlauf auf Clubhouse viel organischer und nahbarer ist als die durchchoreografiert wirkenden Fernsehdebatten.

 

Provinzreisen

Viel unmittelbarer als der Diskurs im Digitalen ist der persönliche Austausch vor Ort. Während seiner Präsidentschaft etablierte Mahmud Ahmadinedschad Reisen in die dreißig Provinzen des Landes als effektiven Weg, sich auch in Regionen fern der Hauptstadt zu zeigen. Auch wenn nicht sicher ist, dass jede Reise mit einem Stimmenzugewinn einhergeht, ist zu beobachten, dass Ahmadinedschad viele Nachahmer fand.

So ist es bezeichnend, dass der nun scheidende Vorsitzende der Justiz, Ebrahim Raisi, in seinen zwei Jahren im Amt (seit März 2019) 28 der 30 Provinzen Irans bereist hat – für einen Justizchef höchst ungewöhnlich, jedoch mit Blick auf seine Ambitionen für das Präsidentenamt schlüssig.

Zwar ist Iran ein sehr zentralistisch regierter Staat, mit der Hauptstadt Teheran als politischem Epizentrum. Bei den Wahlen stimmt jedoch das gesamte Land mit ab. Der Blick auf die Wahlbeteiligung zeigt dabei, dass diese in Städten geringer ausfällt als in ländlichen Gegenden. ISPA sieht derzeit hier einen Unterschied von 43% zu 59%. Entlegene Provinzen zu bereisen, kann also bei gut durchdachtem Programm durchaus dazu beitragen, als politische Figur integrativ zu wirken und neue Wählerschaften zu erschließen.

 

Namhafte Befürworter und „Königsmacher“

In vergangenen Wahlgängen haben sogenannte „Königsmacher“ aus der politischen Elite stets eine wichtige Rolle im Wahlkampf gespielt. So war etwa 2013 beim Wahlerfolg Hassan Rohanis eine last-minute Klimax seiner Kandidatur zu beobachten, begünstigt durch die Unterstützung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Chatami – gerade einmal zwei Tage vor dem Wahltermin. Ebenso hatte der inzwischen verstorbene Ali Akbar Hashemi-Rafsandschani sein politisches Gewicht für Rohani eingesetzt. Solch politische Bedeutung strahlt mittlerweile jedoch niemand mehr aus, sodass es echte „Königsmacher“ derzeit nicht gibt.

Derweil dürfte die Welle, die 2017 von berühmten Persönlichkeiten aus Kultur und Sport für die Wiederwahl von Rohani ausging, mit Blick auf die aktuelle Politikverdrossenheit in der iranischen Bevölkerung ausbleiben. Namhafte Vertreter aus der Geistlichkeit wiederum mobilisieren zwar wenige Stimmen, doch ihre Unterstützung für bestimmte Kandidaten kann für mehr Prestige beim Establishment sorgen. Der ehemalige Parlamentspräsident und aktuelle Präsidentschaftskandidat Ali Laridschani hat in dieser Hinsicht besonders häufig den Segen namhafter Großayatollahs aus Ghom erhalten.

 

Crescendo mit Versammlungen, Straßenwahlkampf und TV-Debatten

Aufgrund der Situation rund um COVID-19 sind Versammlungen der Kandidaten in Sporthallen, Stadien und öffentlichen Plätzen dieses Jahr kaum denkbar – und wenn sie stattfinden sollten, dann mit wesentlich weniger Publikum. Diese Versammlungen, teils regelrechte Spektakel, dienten regelmäßig dem Ausdruck von Stärke und Popularität der Kandidaten. In diesem Jahr ist dieser wichtige Teil des Crescendo, der typischerweise am letzten Wahlkampftag in lebhaften Straßenzügen durch die urbanen Zentren mündet, kaum vorstellbar.

Das wechselseitige Hochschaukeln zwischen Straßenwahlkampf und Fernsehdebatten mag dieses Jahr wohl nicht entstehen. Dennoch werden die TV-Duelle zwischen den Kandidaten wieder mit entscheidend sein. Es zeigte sich bei den vergangenen Wahlen, dass die Hauptkandidaten der beiden Lager in den Debatten zur Unterstützung ein bis zwei ebenfalls zugelassene Kandidaten an ihrer Seite hatten, die sich am Ende aus dem Rennen zurückzogen. 2017 übernahmen vor allem Eshagh Jahangiri und Mohammad Bagher Ghalibaf diese Rolle für Hassan Rohani und Ebrahim Raisi. Eine ähnliche Konstellation dürfte es auch dieses Jahr geben, abhängig davon, wen der Wächterrat letztlich zur Wahl zulässt.

Wie lang der eigentliche Wahlkampf am Ende ausfallen wird, hängt auch davon ab, ob der Wächterrat bereits heute, am 21. Mai, die Kandidaten bekannt gibt oder fünf weitere Tage in Anspruch nimmt und erst am 26. Mai – lediglich drei Wochen vor der Abstimmung – den Startschuss für den Wahlkampf gibt. Dass dieser Wahlkampf die Wahlbeteiligung wieder auf weiter über 60% oder 70% schießen lässt, ist schwer vorstellbar. Doch Überraschungen hat es bei den vergangenen zwölf Runden der Präsidentschaftswahl in Iran zur Genüge gegeben.

 

 

Adnan Tabatabai ist Mitgründer und Geschäftsführer des Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO). Als Iran-Experte berät er europäische Politik und Wirtschaft zu innen- und außenpolitischen Fragen rund um Iran.

Auf Twitter: @A_Tabatabai

 

 


Über diesen Blog

Unser Blog möchte eine vielschichtige Debatte zu den iranischen Präsidentschaftswahlen am 18. Juni bieten. Hierzu wirft er Schlaglichter auf Aspekte, die für Iraner*innen im Kontext der Wahlen wichtig sind, ebenso wie auf Grundsätzliches, etwa der Frage nach der Bedeutung von Wahlen in einem autokratischen System. Beachtung finden auch die Perspektiven ausgewählter Regionalakteur*innen.

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David Jalilvand ist Analyst und leitet die Berliner Research Consultancy Orient Matters

Achim Vogt verantwortet das FES-Projekt Frieden und Sicherheit in der MENA-Region.

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Achim Vogt

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