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Eine kritische Phase: eine emiratische Perspektive auf die Präsidentschaftswahlen in Iran

Von der Politik Irans unmittelbar betroffen, blicken die sechs Mitglieder des Golfkooperationsrats (GCC) mit großem Interesse auf die bevorstehenden iranischen Präsidentschaftswahlen. Eine regionale Initiative mit Unterstützung der Vereinten Nationen könnte das Land in die internationale Gemeinschaft zurückholen.

Porträt von Ebtesam al-Ketbi. Sie trägt einen schwarzen Hijab und hat dunkel geschminkte Augen.

Bild: al-Ketbi

Ebtesam al-Ketbi

 

 

Die am 18. Juni anstehenden Präsidentschaftswahlen sind zweifellos einer der wichtigsten Meilensteine seit der Revolution in Iran 1979. Nachdem die Konservativen die Mehrheit im Parlament erringen und das Lager der Gemäßigten erfolgreich schwächen konnten, bemühen sie sich nun mehr denn je, auch die kommenden Wahlen für sich zu entscheiden. Derweil versuchen die Moderaten alles, um an der Macht zu bleiben und die Kontrolle über die Exekutive nicht aus der Hand zu geben.

Der Wahlkampf 2021 findet in einem kritischen Moment statt. Iran steht – mit Blick auf die Bemühungen um die Wiederbelebung des Atomabkommens und auf die Unterzeichnung eines strategischen Kooperationsabkommens mit China – an einem wichtigen Wendepunkt in seinen internationalen Beziehungen.

Diese globalen Entwicklungen bleiben nicht ohne Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Teheran und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sowie den übrigen Mitgliedern des Golfkooperationsrats. Gleichgültig, wie die Wahlen ausgehen oder was die Nuklearverhandlungen und die iranisch-chinesischen Beziehungen bringen werden: Was in Iran geschieht, wird in der unmittelbaren Nachbarschaft am stärksten zu spüren sein. Die Golfstaaten müssen sich dieser Herausforderung stellen und eigene Initiativen gegenüber Iran entwickeln, um die Spannungen auf regionaler Ebene zu überwinden.

Vor diesem Hintergrund darf nicht vergessen werden, dass sich alle politischen Gruppierungen auf die Möglichkeit des baldigen Ablebens von Revolutionsführer Ali Chamenei vorbereiten. Das Lager, das im Juni die Präsidentschaft für sich sichern kann, wird die Chance haben, in ihrer vierjährigen Amtszeit die Zukunft Irans zu gestalten und damit zu entscheiden, wie sich die internationalen Beziehungen des Landes und die Ära nach Chamenei entwickeln.

Die besondere Bedeutung der anstehenden Wahlen erklärt das Engagement des iranischen Deep State, der sich bisher nie direkt in die Entscheidung oder die Sicherung der Präsidentschaft eingemischt hat. Auch erklärt es die unverhohlene Einmischung von Chamenei. Es heißt, er selbst habe potenzielle Bewerber von einer Kandidatur abgehalten. Einer von ihnen ist Hassan Khomeini, der Enkel des Revolutionsgründers.

Chamenei und die Institutionen des Deep State wissen, dass das Lager, das den nächsten Präsidenten stellt, bessere Chancen hat, auch den Nachfolger des Obersten Führers zu nominieren. Sollte ein Kandidat wie Hassan Khomeini seinen Hut in den Ring werfen, könnten die Wahlen im Juni zu einer spannenderen Angelegenheit werden, die für das Regime schwerer zu steuern ist. Sie unternehmen daher alles, um zu verhindern, dass der reformistische und moderate Block mobilisiert wird. Denn sie wollen sichergehen, dass ein konservativer Kandidat die Nachfolge Hassan Rohanis antritt.

Die Präsidentschaftswahlen 2021 finden unter schwierigen ökonomischen Bedingungen statt. Das Land leidet unter den Folgen von drei Sanktionsjahren, die die wichtigsten Sektoren der iranischen Wirtschaft hart getroffen haben. Die Wirtschaftskrise prägt in hohem Maß auch die politische Landschaft Irans und wird bestimmen, mit welchen Slogans die Kandidaten um Wählerstimmen kämpfen.

Berichten aus Iran ist zu entnehmen, dass die Wahlbeteiligung die wichtigste Frage bei den anstehenden Wahlen ist. Bei den Parlamentswahlen im Februar 2020 lag sie unter 45 Prozent. Eine hohe Beteiligung bei den nun anstehenden Präsidentschaftswahlen könnte sich als signifikanter Vorteil für eine Partei gegenüber den anderen erweisen. Denn das Lager der Reformer hofft auf eine hohe Wahlbeteiligung und gibt sich überzeugt, dass diese ihren Sieg bedeuten würde. Die Konservativen setzen auf eine Teilnahme von unter fünfzig Prozent: Ihr Kalkül ist, dass sie höhere Gewinnchancen haben, je weniger Menschen am 18. Juni zur Wahl gehen.

Aus den Wahlen der Vergangenheit wissen wir, dass konservative und reformorientierte Parteien in jeweils unterschiedlichen geografischen Zonen ihre Mehrheiten finden. Während die Konservativen vor allem in den Kleinstädten und auf dem Land stark sind, haben die Reformer ihre Basis in den größeren Industriestädten, wo die ohnehin für Reformen aufgeschlossenere Mittelschicht lebt. Dieses Muster kristallisierte sich in den letzten zwanzig Jahren heraus und muss bei den Analysen zur kommenden Präsidentschaftswahl berücksichtigt werden.

Angesichts der Initiativen der konservativen Seite erwarten die Reformer einen unfairen Wettbewerb. Überdies gelingt es ihren Kandidaten bislang kaum, die Wähler*innen zu überzeugen: Diese sehen sie als mitverantwortlich für das Scheitern der Regierung Rohani. Das könnte, so befürchtet man im Reformerlager, zu einer Wahlniederlage führen.

Ein Umdenken bei den Reformern hinsichtlich der Frage, ob es überhaupt lohnt, sich zur Wahl zu stellen, bewirkte die Wahl von US-Präsident Joe Biden. Die Politik der Regierung Trump hatte den Wahlskeptiker*innen zunächst Auftrieb gegeben. Bidens Amtsantritt sorgte jedoch für neuen Optimismus bei den Kräften im Reformerlager, die sich für eine Kandidatur aussprechen.

Die Konservativen zeigen sich derweil zuversichtlich. Nachdem sie die Mehrheit im iranischen Parlament erringen konnten, erwarten sie auch einen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen. Allerdings muss das konservative Lager seine Spaltung überwinden, um dieses Ziel auch zu erreichen. In den vergangenen zwei Jahren wurde mehrfach der Ruf nach einem „Mann des Militärs“ an der Spitze des Staates laut, ein Präsident, der das Land aus der aktuellen Krise herausführt. Dies ist insbesondere der Wunsch der Revolutionsgarde, die ihren politischen Einfluss ausbauen und neben dem Parlament auch die Exekutive kontrollieren möchte. Die Vorwahlzeit wäre der richtige Moment, um die Reihen im konservativen Lager zu schließen. Relevante innenpolitische Indikatoren in Iran deuten darauf hin, dass bei ihrem Wahlsieg eine weitere Isolation des Landes und mehr Extremismus zu erwarten sind. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Revolutionswächter und die mit ihnen sympathisierenden Gruppen direkt oder indirekt die Kontrolle über alle Staatsorgane übernehmen werden.

Auch außenpolitisch deuten wesentliche politische, ökonomische und soziale Trends an, dass ein konservativer Wahlsieg drastische Konsequenzen haben könnte. Wenn die internationale Gemeinschaft keine Lösung findet und es nicht gelingt, Iran wieder einzubinden, dürfte das Regime eine noch extremere Haltung einnehmen und sich stärker als bislang schon in regionale Konflikte einmischen. Die bereits heute sichtbaren Bestrebungen der herrschenden politischen Kräfte in Iran sind ein Indiz dafür. In der Folge würde sich die Lage noch komplizierter gestalten, als sie ohnehin ist.

Im Wissen darum müssen die internationale Gemeinschaft und die Länder des GCC neue Initiativen entwickeln. Es gilt, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden, bevor der "point of no return" erreicht ist. Eine endgültige Lösung aller bestehenden Probleme mag sich zwar als unmöglich erweisen, doch eine regionale Initiative könnte einige der Fragen aufgreifen, die für die internationale Gemeinschaft und die arabische Welt gleichermaßen von Belang sind, nicht zuletzt das iranische Raketenprogramm und die expansionistische Agenda Teherans in der Region. Eine solche Initiative müsste allerdings auch die strategischen Determinanten berücksichtigen, die bisher verhindert haben, dass sich die beteiligten Seiten auf eine praktische Lösung verständigen.

Regionale Lösungsansätze haben bislang weder die Doppelzüngigkeit des herrschenden Regimes in Teheran noch den spezifischen Charakter der Beziehungen zwischen Regierung und dem Deep State aufgegriffen. Sie blieben weitgehend inhaltsleer und oberflächlich oder beschränkten sich auf Aufrufe zur Befriedung und Gesten des guten Willens. Bei den globalen Versuchen, die Iranfrage zu lösen, sieht es kaum anders aus. Auch sie blieben weitgehend Makulatur und verweisen auf ein unzureichendes Verständnis von den tiefgreifenden ideologischen, psychologischen und historischen Faktoren, die in Iran eine Rolle spielen.

Wenn es der internationalen Gemeinschaft ernst ist mit dem Wunsch, die Hindernisse zu beseitigen und eine Lösung zu finden, muss sie den Staaten des Golfkooperationsrats eine führende Rolle überlassen, denn diese sind vom Raketenprogramm und den Expansionsbestrebungen Irans am stärksten betroffen. Die internationale Gemeinschaft ist aufgerufen, einen regionalen Dialog einzuleiten. Unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen sowie unter strenger internationaler Aufsicht und deutlicher Unterstützung wäre dies das Forum, in dem die offenen Fragen erörtert werden könnten.

Findet sich kein Weg aus der Sackgasse, in die die politischen Beziehungen geraten sind, wird Iran seinen expansionistischen Kurs fortsetzen und wir werden in den kommenden Jahren weiter den hohen Preis der Instabilität und Gewalt zahlen. Bleiben die Gelegenheiten für einen Ausweg aus der Sackgasse ungenutzt, könnte es morgen schon zu spät sein: Es gibt dann kein Zurück mehr und die Krise bleibt dauerhaft ungelöst.

Die Golfstaaten als von der Krise am stärksten Betroffenen müssen sich an der Suche nach einem Weg aus der festgefahrenen Lage beteiligen. Dies erfordert eine strategische Perspektive, in die das iranische Regime vorsichtig, sorgsam und realistisch einzubinden ist. Die Entscheider*innen des GCC müssen starken Willen zeigen und ihre Bemühungen mit globalen Partnern koordinieren. Letztlich muss jedes Engagement in dieser Richtung auf eine Vereinbarung abzielen, die dazu beiträgt, dass Iran wieder ein normales Mitglied der internationalen Gemeinschaft wird. Für die Golfregion, die internationale Gemeinschaft und den unter den Sanktionen leidenden Iran wäre dies das beste Ergebnis.

 

 

Dr. Ebtesam al-Ketbi ist Direktorin des von ihr im September 2013 in Abu Dhabi, VAE, gegründeten Emirates Policy Center (EPC). In Würdigung ihrer Rolle wurde sie als Leiterin in den Beratungsausschuss des Golfkooperationsrats (GCC) berufen. Das Arabian Business zählte sie als erste Frau an der Spitze einer der wichtigsten Denkfabriken der Region auf der im Juli 2018 publizierten Liste der 50 einflussreichsten Frauen in der arabischen Welt.

Auf Twitter: @ekitbi

 

 


Über diesen Blog

Unser Blog möchte eine vielschichtige Debatte zu den iranischen Präsidentschaftswahlen am 18. Juni bieten. Hierzu wirft er Schlaglichter auf Aspekte, die für Iraner*innen im Kontext der Wahlen wichtig sind, ebenso wie auf Grundsätzliches, etwa der Frage nach der Bedeutung von Wahlen in einem autokratischen System. Beachtung finden auch die Perspektiven ausgewählter Regionalakteur*innen.

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David Jalilvand ist Analyst und leitet die Berliner Research Consultancy Orient Matters

Achim Vogt verantwortet das FES-Projekt Frieden und Sicherheit in der MENA-Region.

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Achim Vogt

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