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Es ist unwahrscheinlich, dass die Ereignisse bei den Atomverhandlungen Einfluss darauf haben, wer der nächste iranische Präsident ist. Doch das Wahlergebnis wird in den nächsten Jahren die Taktik Irans in der Atomfrage prägen.
Bild: Bassiri-Tabrizi
Aniseh Bassiri-Tabrizi
Nur knapp drei Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in Iran stellt sich die Frage, ob und wie der Verlauf der Atomverhandlungen in Wien das Wahlergebnis beeinflussen wird und welche Konsequenzen dies für das iranische Nukleardossier haben wird. Überraschenderweise scheint es aktuell, anders als in der Vergangenheit, keinen Zusammenhang zwischen den anstehenden Wahlen und den Atomverhandlungen zu geben. Gleichwohl wird das Wahlergebnis mit großer Sicherheit Auswirkungen auf die Taktik Irans in der Atomfrage haben.
Seit Beginn der Atomverhandlungen 2003 gab es in Iran vier Präsidentschaftswahlen. Es waren vor allem die Wahlen der Jahre 2005 und 2013, die Mahmoud Ahmadinedschad beziehungsweise Hassan Rohani ins Amt brachten, welche die Nukleardiplomatie des Landes jeweils deutlich prägten.
Ahmadinedschad gewann 2005 vor allem, weil er sich erfolgreich als Mann des Volkes präsentierte. Er positionierte sich damit völlig anders als Kandidaten wie Akbar Hashemi Rafsandschani, gegen den er in der Stichwahl antrat und den er beschuldigte, die Grundsätze der Islamischen Republik und ihrer Wirtschaft zum eigenen Vorteil zu verraten. Der Hardliner Ahmadinedschad stützte sich auf seine Moscheen und die Netzwerke der Revolutionsgarden und konnte so eine unerwartet starke Unterstützung für sich selbst mobilisieren. Die Atomverhandlungen spielten in seinem Wahlkampf jedoch keine Rolle und trugen so auch nicht zu seinem Erfolg bei. Nach Ahmadinedschads Wahl nahm Teheran in der Außenpolitik jedoch eine grundlegend andere Haltung ein als die reformorientierte Vorgängerregierung Mohammad Chatamis. Bei den Atomverhandlungen setzte er diese mithilfe eines neuen Verhandlungsteam durch, das jenes der Vorgängerregierung ablöste, und sich deutlich gegen Deutschland, Frankreich und Großbritannien (die sogenannte E3), die EU und die Internationale Atomenergiebehörde IAEA positionierte. Kurz nach Ahmadinedschads Sieg zog sich Iran schrittweise aus den Gesprächen mit der E3 zurück und nahm seine Nuklearaktivitäten wieder auf, die unter dem vorherigen Amtsinhaber eingestellt worden waren. Zwar wurden die Verhandlungen mit China, den Europäern, Russland und den USA während der beiden Amtszeiten Ahmadinedschads fortgesetzt, doch signifikante Fortschritte in Richtung eines Abkommens oder einer Deeskalation blieben aus. Stattdessen baute Iran sein Atomprogramm aus, steigerte die Anreicherung und Lagerung von Uran und errichtete eine unterirdische Urananreicherungsanlage in Fordo.
Im Unterschied zu Ahmadinedschad steht Rohanis Wahlsieg 2013 durchaus im Zusammenhang mit den Atomgesprächen. Als ehemaliger Chefunterhändler während der Präsidentschaft Chatamis bezeichnete Rohani die Außenpolitik und den Abbau der Spannungen auf internationaler Ebene als Schlüssel zur Lösung der Probleme Irans, einschließlich der maroden Ökonomie.
Besonders kritisch sah Rohani die Politik Ahmadinedschads in der Nuklearfrage. Er argumentierte, dass eine konstruktivere Atomdiplomatie nötig sei, um zu einem Deal zu kommen und die Aufhebung der das Land massiv belastenden internationalen Sanktionen zu erreichen. Rohani errang seinen Sieg bei den Wahlen indem er den Iraner*innen Hoffnung machte: Sie würden unmittelbar von den Atomgesprächen profitieren, da sie ein Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage wären. Tatsächlich hatte seine Wahl einen signifikanten Einfluss auf die iranische Position in den Verhandlungen. Bald nach seinem Amtsantritt nominierte auch er ein neues Team von Unterhändler*innen, das er mit erfahrenen Diplomat*innen besetzte. Die Leitung übernahm Außenminister Mohammed Dschawad Sarif, der selbst lange Zeit in den USA tätig war.
Bereits im November, knapp drei Monate nach Übernahme der Regierungsgeschäfte, erfolgte der Abschluss der Interimsvereinbarung Joint Plan of Action (JPOA). Nach über zwei Jahren intensiver Verhandlungen konnte schließlich im Juli 2015 die Einigung auf den Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) verkündet werden. 2017 wurde Rohani im Amt bestätigt. Er hatte die Wähler*innen davon überzeugt, dass er vollenden könne (und solle), was er begonnen hatte, nämlich den Atomdeal in konkrete wirtschaftliche Vorteile für das iranische Volk zu wenden.
Vier Jahre später machen die Gespräche in Wien immer noch Schlagzeilen, doch die Iraner*innen sind deutlich weniger an ihnen interessiert, geschweige denn, dass sie hoffen, Fortschritte in den Verhandlungen könnten tatsächlich spürbare Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Situation bringen. Selbst in der Zeit, in der alle Parteien das Abkommen wie vereinbart umsetzten, war Iran nicht vollständig im globalen Finanzsystem integriert: Aus Angst vor US-Sanktionen zögerten viele Banken und Unternehmen nach wie vor, Geschäfte mit Teheran zu machen. Damit starb die letzte Hoffnung auf eine rasche Erholung der iranischen Wirtschaft. Die Chancen auf einen Aufschwung als Konsequenz des JCPOA verringerten sich weiter, als die USA 2018 den Deal aufkündigten, wieder Sanktionen verhängt wurden und die von Präsident Donald Trump eingeleitete Kampagne des „maximalen Drucks“ begann. Zwar hielt Iran ein weiteres Jahr an der vollständigen Umsetzung der Vereinbarungen fest, doch die übrigen JCPOA-Unterzeichnerstaaten konnten nicht genügend Maßnahmen ergreifen um zu verhindern, dass das Land in eine tiefe Rezession stürzte.
Angesichts all dessen ist es unwahrscheinlich, dass die Verhandlungen in Wien für die Entscheidung der Iraner*innen am 18. Juni ausschlaggebend sein oder beeinflussen wird, ob sie überhaupt zur Wahl gehen. Selbst wenn in Richtung Rückkehr zum JCPOA Fortschritte erzielt werden und ein Kompromiss vor den Wahlen erreicht wird, wird sich daran nichts ändern. Damit die positive Wirkung einer Aufhebung der Sanktionen die iranische Wirtschaft tatsächlich erreicht, müssen anderen Maßnahmen ergriffen werden als 2016. Und selbst in einem Best-Case-Szenario werden diese Veränderungen Zeit brauchen. Drei Wochen reichen nicht, um eine Ankündigung aus Wien in greifbare ökonomische Vorteile zu übersetzen, die die Iraner*innen tatsächlich spüren und denen sie vertrauen können.
Nichtsdestoweniger werden einige Präsidentschaftskandidaten mit ihrer Position zur Nuklearfrage in den Wahlkampf ziehen. Der gemäßigte Konservative Ali Laridschani griff bereits einige Slogans Rohanis aus dem Jahr 2013 auf und erklärte, dass ein Verhandlungserfolg in Wien „der Wirtschaft des Landes Luft zum Atmen verschafft“. Doch diese Parolen werden Jahre, nachdem sie zum ersten Mal laut wurden, ohne dass dies zu einer substanziellen Verbesserung der iranischen Wirtschaftslage führte, kaum dazu beitragen, dass sich die Wahllokale füllen oder es zu einer plötzlichen Welle der Hoffnung auf einen Aufschwung kommt. Dies ist nun umso mehr der Fall, da Laridschani mittlerweile vom Wächterrat von den Wahlen ausgeschlossen wurde, und die verbliebenen Kandidaten kaum Interesse daran haben, was in Wien passiert.
Wahrscheinlicher ist hingegen, dass das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen ein weiteres Mal Einfluss auf die außenpolitische Taktik Irans haben wird, insbesondere hinsichtlich der Atomgespräche. Zwar spielen der nationale Konsens und die Position des Obersten Führers eine relevante Rolle beim iranischen Vorgehen auf internationaler Bühne. Doch selbst eine Persönlichkeit des Establishments wie Präsident Rohani hat im Vorfeld der anstehenden Wahlen auch daran erinnert, dass seine Regierung in den vergangenen acht Jahren alle von ihr geführten Verhandlungen erfolgreich zu Ende bringen konnte, während frühere Präsidenten (gemeint ist Ahmadinedschad) immer mit „einer Resolution gegen Iran“ vom Verhandlungstisch zurückkehrten. Es spielt also durchaus eine Rolle, wer iranischer Präsident ist.
Wenn auch nicht davon auszugehen ist, dass die Iraner*innen auf der Grundlage der Aussagen oder Überlegungen der Kandidaten zur Atomfrage entscheiden werden, wen sie wählen wollen, und das unabhängig von den zwischen heute und dem 18. Juni in Wien abgegebenen Erklärungen (so es denn welche gibt): Ihre Stimmen (oder ihr Wahlverzicht) werden in den nächsten Jahren doch die Haltung des Landes in der Außenpolitik prägen, insbesondere in der Atomfrage.
Dr. Aniseh Bassiri Tabrizi ist Senior Research Fellow in der Abteilung International Security Studies des Royal United Services Institute (RUSI), wo sie auch das Unpacking the MENA Programm leitet. In ihrer Forschung widmet sie sich Fragen der Sicherheit und Geopolitik im Nahen Osten mit dem Schwerpunkt Iran.
Auf Twitter: @AnisehBassiri
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Unser Blog möchte eine vielschichtige Debatte zu den iranischen Präsidentschaftswahlen am 18. Juni bieten. Hierzu wirft er Schlaglichter auf Aspekte, die für Iraner*innen im Kontext der Wahlen wichtig sind, ebenso wie auf Grundsätzliches, etwa der Frage nach der Bedeutung von Wahlen in einem autokratischen System. Beachtung finden auch die Perspektiven ausgewählter Regionalakteur*innen.
David Jalilvand ist Analyst und leitet die Berliner Research Consultancy Orient Matters.
Achim Vogt verantwortet das FES-Projekt Frieden und Sicherheit in der MENA-Region.
info.nahost(at)fes.de
V.i.S.d.P.
Achim Vogt