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Die andere zweite Welle

Auf der Jahrestagung von Weltbank und IMF wird auch über die Zukunft der Austerität verhandelt.

Ein leerstetendes, marodes Gebäude, auf dem Cinema steht.

Ein Gespenst geht um in Washington: Das Gespenst der Austerität. Auf der aktuell stattfindenden Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IMF) und der Weltbankgruppe (WBG) verhandelt die internationale Gemeinschaft nicht nur den weiteren Kurs in der Reaktion auf die Pandemie, sondern mittelbar auch die Zukunft der Demokratie.

Auf der Tagesordnung stehen zunächst die üblichen Höhepunkte: Die Vorstellung von Vorzeigereports wie der Fiscal Monitor, der World Economic Outlook und die Global Financial Stability Berichte des IMF. Seitens der Weltbank werden die World Development Berichte, der Global Economic Prospects, Poverty and Shared Prosperity und die Doing Business Berichte präsentiert.

Dennoch unterscheidet sich das diesjährige Vorgehen fundamental von dem der Vorjahre. Aufgrund der Corona-Pandemie konnten Tausende von Finanzexpert_innen anders als sonst üblich nicht nach Washington reisen. Stattdessen tagen sie seit dem 12. bis zum 18. Oktober sieben Tage lang virtuell.

Ungewöhnlich war zuletzt auch der Wechsel von Kristalina Georgieva, zuvor Geschäftsführerin der Weltbank-Institute IBRD und IDA, die Kredite an Entwicklungs- und Schwellenländer vergeben, an die Spitze des IMF. Mit ihrer Erfahrung waren einige Hoffnungen verknüpft: Würden armutsrelevante Empfehlungen im IMF stärkere Unterstützung finden? In der Tat vernahm man von Georgieva zu Beginn der Pandemie zunächst für den IMF eher ungewöhnliche Töne: »Dies sind die Zeiten, für die der IMF geschaffen wurde – wir sind hier, um die Stärke der globalen Gemeinschaft einzusetzen, damit wir dazu beitragen können, die schwächsten Menschen zu schützen und die Wirtschaft wiederzubeleben«, erklärte die IMF-Chefin.

Hilfen als Ausnahme

Was hat der IMF seitdem auf den Weg gebracht? Zunächst hat der Fonds die bilaterale Überwachung nach Artikel IV ausgesetzt, um sich auf die globale Überwachung zu konzentrieren. Dabei wurden 80 Notfalldarlehensprozesse durchgeführt. Keine Kleinigkeit: In einem normalen Jahr liegt die Zahl vergleichbarer Fälle bei drei oder vier. Darüber hinaus hat der Fonds – zusammen mit der G20 – eine Tranche zur Erleichterung der Eindämmung von Katastrophen geschaffen (Catastrophic Containment Relief Tranche), die 34 in Frage kommenden einkommensschwachen Ländern für zwei Jahre den Schuldendienst erlässt. Erstellt wurde auch eine Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes (Debt Service Suspension Initiative), die den berechtigten Ländern einen »Flow Relief« anbietet und ihren Schuldendienst um vier bis fünf Jahre verzögert. Jedoch: Der Privatsektor scheut bisher davor zurück, sich zu beteiligen. Das aber dürfte die Krise in Teilen eher verschlimmern als lindern, zumal sich die Zusammensetzung der Staatsschulden zunehmend auf private Gläubiger verlagert hat.

Besonders diskussionswürdig: Der Fiskalmonitor vom Frühjahr 2020 forderte die Regierungen der Welt auf, »das Notwendige zu tun«, um mit Notfallmaßnahmen die Auswirkungen der Pandemie auf Menschen und Unternehmen zu bekämpfen. Zugleich aber forderte der IMF die Regierungen explizit dazu auf »die Belege aufzubewahren« – ein deutlicher Hinweis auf den Ausnahmecharakter der Hilfen und auf die langfristige Rechenschaftsplicht der Regierungen. Es sind nicht zuletzt solche mehr oder weniger verdeckte Hinweis auf eine mögliche Rückkehr zur Austerität, die viele Entwicklungsländer (und ihre Unterstützer) mehr als nur nervös macht.

Das aber bleibt nicht ohne Folgen: Zwar haben viele bedrängte Regierungen die Hilfsprogramme durchaus in Anspruch genommen. Andere jedoch schreckten davor zurück oder reduzierten ihre Hilfsanforderungen auf vergleichsweise geringe – häufig wohl auch zu geringe – Niveaus. Die Ursache: Sie fürchten eine Herabstufung durch Ratingagenturen und andere negative Reputationseinbußen sobald sie Notfallkredite in Anspruch nehmen. Und natürlich sorgt sie das grundsätzliche Anschwellen ihrer Schuldenlast. Progressive Interessengruppen fordern daher mittlerweile aus guten Gründen eine Verlängerung der Debt Service Suspension Initiative bis mindestens Ende 2021 und eine Umschuldung.

Austerität durch die Hintertür

Wenn Finanzminister_innen und Zentralbanker_innen aus der ganzen Welt diese Woche online zusammenkommen, wird die Debatte in der Regel auf technisch hohem Niveau geführt. Die Komplexität der Verhandlungen kann und darf dabei aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Folgen der in dieser Woche getroffenen Entscheidungen gravierend sein werden. Sollte eine Rückkehr der Austerität quasi durch die Hintertür ins Haus stehen, wären die Konsequenzen auf die Stabilität demokratischer Systeme beträchtlich – ganz zu schweigen von den menschlichen Kosten. Die Folge der ersten Welle der Austerität waren ein weltweiter Siegeszug des Populismus und ein Erstarken autokratischer Regime. Eine zweite Welle der Austerität wäre vor diesem Hintergrund vielerorts demokratisch wohl kaum zu verkraften.  

Regierungen und Expert_innen, die nun (virtuell) in Washington tagen, sollten daher sicherstellen, dass gerade Entwicklungs- und Schwellenländer über die notwendigen Ressourcen verfügen, um das Virus zu bekämpfen, die Schwachen zu schützen und sich durch ein Modell der nachhaltigen Entwicklung zu erholen. Solange ein universeller Impfstoff fehlt, ist und bleibt jedes Land verwundbar. Benötigt wird deshalb eine mutige multilaterale Anstrengung, um den notwendigen sozial-ökologischen Wandel der Weltwirtschaft herbeizuführen und die Pandemie zu überstehen. Dafür braucht es Handlungsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein und Kooperation – und alles, aber kein neuerliches Dogma der Austerität.

 

Michael Bröning leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in New York, USA.                                                                                        Sara Burke arbeitet an globalen, wirtschaftspolitischen Fragen im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in New York, USA.

 

 

 


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