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Die Türkei ist gefangen in der Spaltung und steuert auf multiple Krisen zu: politische Festnahmen, Einschränkungen der Pressefreiheit, schwache Wirtschaft. Doch ist das wirklich eine Überraschung?
Bild: Ampel von Martin Fisch lizenziert unter CC BY-SA 2.0
Man verliert doch recht leicht den Überblick über die Liste der Ungeheuerlichkeiten in der Türkei: Nach dem Putschversuch am 15. Juli wurden bislang über 100.000 staatliche Angestellte entlassen oder verhaftet, kritische Zeitungen geschlossen, Journalist_innen inhaftiert, das Militär „gesäubert“, selbst türkische NATO-Offiziere, die in Europa stationiert sind, wurden entlassen und juristisch belangt. Im Osten des Landes führt Erdogan Krieg gegen kurdische Türk_innen.
Die europäische Politik verhält sich dazu vor allem: sprachlos. Ein bisschen Drohung hier, eine kleine Ermahnung da. Angesichts des Ausmaßes der politischen Säuberung im Land erscheint das zu wenig. Überrascht geben sich viele Politiker_innen in Europa angesichts der Lage. Einen Einwand, den der Journalist und Türkei-Experte Baha Güngör nicht gelten lässt: „Erdogan hat immer mit offenen Karten gespielt. Die EU ist zu gutgläubig bezüglich der Entwicklung in der Türkei gewesen.“
Auf der „Work ’n Lunch“ Veranstaltung des Landesbüros NRW der Friedrich-Ebert-Stiftung sprach der Journalist über die Situation in der Türkei. Deren Spaltung vertiefe sich. Erdogan agiere, stellte Güngör fest, „mittlerweile ohne Gegenspieler“. Es sei durchaus denkbar, dass Erdogan beispielsweise die Todesstrafe wieder einführe - davon zeigten sich auf der Düsseldorfer Veranstaltung sowohl Bahar Güngör als auch Felix Schmidt überzeugt. Schmidt leitet das Istanbuler Büro der FES. Die Wiedereinführung der Todesstrafe wäre ein Affront gegenüber der Europäischen Union: 2004 hatte die AKP diese abgeschafft - als Voraussetzung, überhaupt Verhandlungen mit der EU über einen Beitritt aufnehmen zu können.
Nicht nur diese Tatsache führt dazu, dass die türkische Innenpolitik längst Europa und vor allem Deutschland beeinflusst. „Die Türkeipolitik ist längst deutsche Innenpolitik geworden“ sagt Schmidt. Die Spaltung der türkischen Gesellschaft spiegelt sich so auch in der deutschen Türkeicommunity. „Etwa 60 Prozent der türkischstämmigen Deutschen sind Erdogan-Anhänger“, schätzt Schmidt.
Wie wichtig diese Basis in Deutschland auch für Erdogans Machtpolitik ist, zeigte sich im vergangenen Sommer, als Erdogan per Videobotschaft zur deutschen Türkeicommunity in Köln sprechen wollte. Aus Sicherheitsgründen hatte das Bundesverfassungsgericht den Auftritt verboten. Sehr zum Ärger Erdogans. Dieser übt jedoch auch so schon erheblichen Einfluss auf die türkischstämmigen Deutschen aus: So stehen die in Deutschland tätigen Organisationen DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) sowie die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) dem Erdogan-Regime offenbar sehr nahe. Die Union hatte im November beispielsweise eine Anti-Terror-Demo am Brandenburger Tor organisiert.
Die engen Verbindungen zwischen beiden Ländern bedeuten politisch vor allem: Einfach Schluss machen mit der Türkei, das wird nicht gehen. Doch fordert nicht nur die deutsche Opposition immer wieder, dass die deutsche Regierung ebenso wie die Europäische Union insgesamt Erdogan Einhalt gebieten müssen.
Weitgehende Sanktionen gegenüber der Türkei, die auch wirtschaftlich enge Verbindungen zu Deutschland unterhält, sieht jedoch zumindest Felix Schmidt nicht als angebracht: „Ich würde keine allgemeine Sanktionspolitik empfehlen wie in Russland.“ Denkbar wären aber selektive Sanktionen. So wie im Sommer in Köln, als Erdogan nicht zu seiner deutschen Anhängerschaft sprechen durfte.
Ansprechpartner in der Friedrich-Ebert-Stiftung:
Raycho Penchev
Für weitere Informationen siehe auch:
Türkei-Nachrichten Nr. 39/ Oktober 2016. FES Türkei
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