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Internationale rechte Netzwerke: Es braucht eine gesellschaftliche Gegenbewegung

Die radikale Rechte vernetzt sich zunehmend, um ihre Ideologien in die Welt zu exportieren – Thomas Greven analysiert deren Strategien und schlägt Lösungen vor.

Der Autor Thomas Greven hat für die Friedrich-Ebert-Stiftung zwei Übersichtsstudien zur radikalen Rechten in Europa und den USA verfasst, in dem er die Strategien internationaler rechter Netzwerke analysiert. Dabei schaut er sich Triebkräfte des Aufstiegs rechter Bewegungen an und kommt in seinen Handlungsempfehlungen zu dem Schluss: „Eine andere Welt ist möglich.“

Weitere Informationen auf unserer Website „Internationale Netzwerke der radikalen Rechten“ !

 

Warum arbeiten rechte Gruppierungen, die ihre eigene Nation in den Mittelpunkt stellen, überhaupt mit anderen Ländern zusammen?

 

Thomas Greven: Was die radikale Rechte trennt, ihr Nationalismus („Unser Land zuerst!“), eint sie zugleich. Aus dieser Positionierung ergibt sich eine gemeinsame politische Agenda. Die grenzüberschreitende Vernetzung ist Teil der Strategien der radikalen Rechten geworden. Sie hat erkannt, dass die von ihr abgelehnte vermeintliche Hegemonie der „globalen liberalen Eliten“ auch global bekämpft werden muss. Sie soll auf nationaler, regionaler und globaler Ebene durch eine zumindest illiberale, vielleicht sogar autoritäre Ordnung basierend auf größerer nationaler Souveränität ersetzt werden. Die Geschlossenheit der globa­len Bewegung reaktionärer Revolutionär_innen sollte dabei aber nicht überschätzt werden.

 

Welche Rolle spielen soziale Medien und digitale Plattformen bei der Verbreitung der Ideen der radikalen Rechten?

 

Das Internet trägt zur internationalen Vernetzung der radikalen Rechten bei. Die Polarisierungsunternehmer der radikalen Rechten, mit ihren spalterischen Absichten, profitieren insgesamt von der Verhärtung und Personalisierung der politischen Auseinandersetzung, und insbesondere von der emotionalisierten Kommunikation in den sozialen Medien. Digitale Plattformen unterstützen die Kommunikationsstrategien und erleichtern somit die Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Hassrede etc. Diese Diffusions- und Vernetzungsprozesse führen zu einer transnationalen „hyperpolitischen“ Radikalisierungsspirale. Eine emotionalisierte Politik der Angst und Wut, eine sogenannte „affektive Polarisierung“, lässt sich leichter vermitteln als lösungsorientierte Vorschläge. Nicht zuletzt bietet das Internet viele Einflussmöglichkeiten für aus dem Ausland gesteuerte oder finanzierte Desinformationskampagnen.

 

Warum sind so viele Menschen in Europa und weltweit von der Demokratie enttäuscht und wie nutzt die radikale Rechte diese Enttäuschung für sich?

 

In der derzeitigen „Polykrise“ überlagern sich Krisen dauerhaft: Weltweite Fluchtbewegungen, Klimakrise, kriegerische Auseinandersetzungen, die drohende nächste Pandemie etc. Staaten und Bürger_innen wirken permanent überfordert – und eine Lösung ist scheinbar nirgendwo in Sicht. Der letztjährige Gewinner des Wirtschaftsnobelpreises Daron Acemoğlu sagt: „Die einfache Erklärung für die Krise der Demokratie in der gesamten industrialisierten Welt ist, dass das System nicht gehalten hat, was es versprochen hatte.“ Vom Verlust des Vertrauens in den Staat und die repräsentative Parteiendemokratie profitieren heute nahezu ausschließlich die Kräfte der radikalen Rechten. Ihnen gelingt es, „das fundamentale Nein zur Politik auf sich zu vereinen“, wie es der Soziologe Nils C. Kumkar formuliert. Die Folge: Alternativen zur etablierten pluralistischen Parteiendemokratie werden von manchen Bürger_innen ernsthaft erwogen. Das zeigt z.B. die „illiberale Demokratie“ in Ungarn, die Viktor Orbán mit Hilfe eines weitgespannten Netzwerks weltweit propagiert.

 

Was bedeutet es, wenn die radikale Rechte von einer „illiberalen Demokratie“ spricht und wie unterscheidet sich das von der Demokratie, die wir kennen?

 

Radikale Rechte behaupten, dass sie gerade nicht Feinde der Demokratie seien, sondern dieser angesichts von Repräsentationsdefiziten und Staatsversagen zu ihrem Recht verhelfen wollen. Viktor Orbán z.B. erklärt sich zum Verteidiger des „wahren Europas“. Dieses Argument lässt sich angesichts der guten Wahlergebnisse auch nicht einfach mit der Behauptung entkräften, diese Parteien seien „undemokratisch“. Schaut man allerdings genauer hin, so wird klar, dass es der radikalen Rechten um ein spezifisches Demokratieverständnis geht. Es geht ihnen um eine „hypermajoritäre“ Demokratie mit autokratischen Tendenzen. Also Regierungs- und Entscheidungsstrukturen zu schaffen, die der gewählten Mehrheit und ihren Vertreter_innen keine Fesseln anlegen. Dem sollen die parlamentarischen Rechte der Opposition, rechtsstaatliche Schutzmechanismen, eine unabhängige Justiz (insbesondere Verfassungsgerichte), internationale Abkommen, ein unparteiischer, professioneller Staatsapparat, freie Medien oder eine lebendige Zivilgesellschaft nicht im Wege stehen. Die von liberalen demokratischen Verfassungen und pluralistischen Gesellschaften vorgesehenen „checks and balances“ sollen einem als homogen verstandenen „wahren Volkswillen“ weichen, faktisch einer „Tyrannei der Mehrheit“.

 

Kann die EU wirklich von der radikalen Rechten übernommen werden oder ist das eher eine rhetorische Strategie?

 

Nach der ernüchternden Post-Brexit-Erfahrung in Großbritannien haben sich die meisten Parteien der europäischen radikalen Rechten dem Leitbild der „Eroberung Brüssels“ zugewandt. Tatsächlich verfolgt die globale radikale Rechte eine gegenhegemoniale Strategie, die darauf abzielt, die regelbasierte liberale Ordnung (und ihre institutionellen Ausprägungen wie die EU) zu stürzen und durch eine Ordnung zu ersetzen, die auf größerer nationalstaatlicherer Souveränität beruht. Insbesondere Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán will explizit als „Verteidiger Europas“ und als „Hüter der wahren westlichen Werte“ gesehen werden. Im Kampf gegen „Globalismus“ und „Wokeismus“ soll ein Europa der (souveränen) Nationen einerseits als „Festung Europa“ gegen Migration fungieren, andererseits soll eine selbst konstruierte kulturell-ideologische Identität Europas (manchmal explizit christlich, meist vor allem heterosexuell-traditionalistisch) gegen kulturelle Veränderungen geschützt werden. Ob dieses gegenhegemoniale Projekt der radikalen Rechten erfolgreich ist, entscheidet sich in der politischen Auseinandersetzung.

 

Welche konkreten Schritte sollten Regierungen und Zivilgesellschaft unternehmen, um die Demokratie zu stärken und der radikalen Rechten entgegenzuwirken?

 

Die radikale Rechte bietet kaum tragfähige Lösungen für die Repräsentationsdefizite, die sie bei den etablierten Parteien sieht und von denen sie profitiert. Ganz im Gegenteil, ihre Politik wirkt oft problemverschärfend. So könnten beispielweise die angestrebte Begrenzung der Zuwanderung und die Verschärfung des Protektionismus gerade für die Wähler­basis der radikalen Rechten zu Wohlstandsverlusten führen. Es kommt also darauf an, nachhaltige und gerechte politische Lösungen für die Beschwerden der Bevölkerung zu finden. Ökonomische und soziale Fragen müssen dabei im Vordergrund stehen. Denn wenn Menschen sich ökonomisch sicher fühlen, kann über schwierige kulturelle Fragen einfacher verhandelt werden. Dann kann auch das positive, optimistische Narrativ einer offenen, modernen (multi-ethnischen, multi-religiösen) Gesellschaft und einer pluralistischen, repräsentativen Demokratie seine Attraktivität entfalten. Eine solche positive Erzählung geht aber notwendigerweise über den Nationalstaat (und auch über Europa) hinaus. Eine progressive post-neoliberale Globalisierungspolitik erfordert die übernationale Regulierung der globalen Konkurrenz. Diese Kontrolle muss auf internationaler, multilateraler Ebene stattfinden.

Auch wenn radikal rechte Parteien Wahlen gewinnen oder an Regierungen beteiligt werden, kann es noch zu Korrekturen an der Wahlurne durch die Wähler_innen kom­men, jedenfalls solange demokratische Institutionen funktionieren. Damit das so bleibt, müssen Demokratien und progressive Akteure resilienter werden. Bisher gibt es wenige progressive internationale Foren und Netzwerke, die der Mobilisierung und der Entwicklung gemeinsamer Strategien dienen. Zur Verteidigung der Demokratie und zur Überwindung des Motivationsgefälles gegenüber den „reaktionären Revolutionären“ bedarf es einer gesellschaftlichen Bewegung und ihrer effektiven internationalen Vernetzung.

Nicht zuletzt ist es wichtig zu erkennen, dass die radikale Rechte nicht nach den etablierten Regeln spielt und die Demokratie nicht mit dem Rechtsstaat allein geret­tet werden kann. Letztlich kommt es immer auf politische Mobilisierung an. Allerdings unter veränderten, ver­härteten Bedingungen. „Don’t bring a knife to a gunfight“ lautet ein amerikanisches Sprichwort. Darauf muss man sich einstellen. Und den Gegner so hart angehen, wie er es umgekehrt tut.

 

Die globale Radikale Rechte

Greven, Thomas

Die globale Radikale Rechte

Transatlantische Netzwerke
Bonn, 2024

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Die Radikale Rechte in Europa

Greven, Thomas

Die Radikale Rechte in Europa

Transnationale Netzwerke
Bonn, 2024

Download (400 KB, PDF-File)

Zur Person

Dr. Thomas Greven ist Privatdozent für Politikwissenschaft am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der FU Berlin und selbstständiger Autor, Referent und Politikberater. Seit 2002 ist er Mitorganisator eines transatlantischen Netzwerks zur Bekämpfung der radikalen Rechten.

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautor_innen spiegeln nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.


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