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Noch mehr Druck: Ärzt_innen und Pflegekräfte kämpfen an der Front in Nepal  

Gewerkschaften fordern physischen, psychologischen und wirtschaftlichen Schutz. Ein Beitrag von Samira Paudel & Jonathan Menge.

Bild: Public Health Unit of Budhanilkantha Municipality Nepal von Upama Dahal Pokhrel

In Nepal sind 34.000 Ärzt_innen und 100.000 Pflegekräfte registriert. Viele weitere arbeiten im nepalesischen Gesundheitssektor als Hilfskräfte, etwa als Reinigungskräfte. Die FES Nepal hat aus dem Home Office Kontakt zu Gewerkschafter_innen aus dem Gesundheitswesen aufgenommen, um einen Einblick in ihre aktuelle Situation zu bekommen.

Die doppelte Belastung fordert ihren Tribut 

Laut Pratima Bhatta, Organisatorin und Schatzmeisterin der Union of Private Hospitals and Healthcare Workers in Nepal (UNIPHIN), werden mehr als 75 % der bezahlten und unbezahlten Pflege von Frauen geleistet. Frauen stehen im Kampf gegen COVID-19 an vorderster Front und tragen gleichzeitig den größten Teil der unbezahlten Sorgearbeit zu Hause. 

Schulen und Kindertagesstätten sind seit dem 19. März geschlossen. Dies belastet vor allem weibliche Beschäftigte im Gesundheitswesen, die den größten Teil der Verantwortung für die Kinderbetreuung und Hausarbeit in ihren Familien tragen. In Zeiten des Lockdowns, in denen jede und jeder, der nicht in einem systemrelevanten Dienst arbeitet, zu Hause bleiben muss, jonglieren viele Frauen Sorgeverantwortung und bezahlte Arbeit im Home Office. Arbeitskräfte im Gesundheitssektor haben diese Option nicht. Gleichzeitig muessen sie mit der Angst leben, sich mit COVID-19 anzustecken und möglicherweise ihre Familien in Gefahr zu bringen. 

Gesundheitsfachkräfte, Reinigungspersonal und andere in Krankenhäusern tätige Personen sind neben dem erhoehten Gesundheitsrisiko auch Diskriminierung und sozialem Stigma ausgesetzt. Ein Beispiel dafür ist ein aktueller Vorfall, bei dem eine Krankenpflegerin von ihrem Vermieter aus Angst vor dem Virus vor die Tür gesetzt wurde. Eine weibliche Krankenhausputzkraft aus dem Bezirk Banke, In der Provinz 5, im Westen von Nepal berichtet:

„Ich verrichte meinen regulären Dienst mit Schutzvorkehrungen. Ich bin sehr dankbar, dass das Krankenhaus mir eine Maske, eine zusätzlichen Kittel und Handschuhe zur Verfügung gestellt hat. Das groesste Problem, mit dem ich zurzeit allerdings konfrontiert bin, sind die Beschwerden meiner Nachbarn. Sie sagen, ‚Jeden Tag gehst du ins Krankenhaus und kommst zurück nach Hause'. Ich versuche ihre Sorgen zu nehmen, indem ich sage, dass ich alle Sicherheitsmaßnahmen einhalte und auch meine Kleidung jeden Tag wasche und nach der Rückkehr in mein Zimmer ein Bad nehme. Ich bin sehr besorgt um die Sicherheit aller.“

Wer kümmert sich um die Gesundheit der Beschäftigten im Gesundheitswesen? 

Wie an vielen anderen Orten, mangelt es an persönlicher Schutzausrüstung, insbesondere außerhalb des Kathmandu-Tals. Trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen seien medizinische Fachkräfte unermüdlich im Einsatz, um das Land vor der Bedrohung zu schützen, so Prithivi Raman Thapaliya, Präsident von UNIPHIN.

Die Gewerkschaft hat Informationen über Vorsichtsmaßnahmen zur Verhinderung von COVID-19, vor allem auch fuer nicht medizinisches Personal, unter ihren Mitgliedern verteilt. Daruebr hinaus hat sie die Krankenhausleitung und Behörden aufgefordert  

  1. dem diensthabenden Personal persönliche Schutzausrüstung (PSA) zur Verfügung zu stellen; 
     
  2. nur eine Mindestanzahl von Pflegekräften und Sanitäter_innen für den Dienst einzusetzen, da die größtenteils weiblichen Pflegekräfte doppelte Aufgaben haben und infolge des Lockdowns unter großem Stress stehen. Zumal sie sich auch um ihre Kinder und andere Familienmitglieder kümmern;
     
  3. dem Personal eine einmalige Zulage in Höhe von zwei Monatsgehältern zu gewähren;  
     
  4. eine angemessene Versicherung für das Personal vorzusehen. 

Die Leitung der Krankenhäuser hat den Forderungen der Gewerkschaft zugestimmt. Die Regierung stellte außerdem eine Versicherung mit einer Deckung von NPR 2.500.000,00 (ca. 19.000 Euro) für jeden Beschäftigten im Gesundheitssektor zur Verfügung. Da im Land jedoch ein Mangel an PSA herrscht, scheint insbesondere die Umsetzung der ersten Forderung aktuell unmöglich.  

Der stark privatisierte Gesundheitssektor zeigt erste Risse 

In einem Land mit einer der herasufordernsten Topografien der Welt, mobilisierte die nepalesische Regierung rund fünfzigtausend freiwillige Gesundheitshelfer_innen, um die Gemeinden und Dörfer zu erreichen. Das System der freiwilligen Gesundheitshelfer_innen besteht seit den 1980er Jahren und spielt eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung grundlegender Gesundheitsdienstleistungen auch an abgelegenen Orten. Die Freiwilligen sollen bei der Einhaltung von Sicherheitsvorkehrungen und der Wahrung sozialer Distanz helfen und erhalten eine Vergütung von knapp 14,- Euro pro Tag für ihren Einsatz im Kampf gegen das Coronavirus. 

In den städtischen Teilen des Landes zeigt derweil der stark privatisierte Gesundheitssektor selbst ohne eine hohe Anzahl von COVID-19 Patient_innen bereits Anzeichen dafür, dass er der herausforderung nicht gewachsen ist. Zwar sind die privaten Krankenhäuser die mit am besten ausgestatten des Landes, allerdings versuchen sie , die Aufnahme von moeglicherweise mit COVID-19 infizierten Personen zu vermeiden. Patient_innen mit Fieber oder Atemwegsbeschwerden wurden in Krankenhäusern wiederholt abgelehnt und starben teilweise in Folge der Nichtbehandlung. Um Ressourcen aus privaten Krankenhaeuser im Kampf gegen das Virus zumobilisieren, erließ die Regierung auch ein Paket von Anreizen für Ärzt_innen und Gesundheitspersonal. Es besteht jedoch Skepsis, ob sich private Krankenhäuser davon überzeugen lassen, insbesondere weil der Mangel an PSA ein ungelöstes Problem ist. 

Wenn die Hektik des Kampfes gegen das Virus nachlässt, wird es an der Zeit sein, aus den Erfahrungen der Krisenzeiten die Lehren zu ziehen, welche gerade die Sollbruchstellen unserer Gesundheitssysteme offenbaren. Nicht nur in Nepal wird es dabei insbesondere auch um die Frage gehen, ob wir die Schattenseiten der starken Privatisierung im Gesundheistsektor zukuenftig in unseren Gesellschaften tragen wollen.   

 

Autor_innen:

Jonathan Menge ist Direktor des FES-Büros in Nepal und koordiniert die regionale Arbeit zu Geschlechtergerechtigkeit in Asien.  

Samira Paudel ist Projektkoordinatorin bei der FES Nepal. 

Dieser Artikel erschien im Original in Englisch als Teil des FES Asia Corona Brief.


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