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Wie kann Versöhnung im Kontext kolonialen Unrechts gelingen?

Die gemeinsame Erklärung zum Völkermord an Nama und Herero durch deutsche Kolonialtruppen im heutigen Namibia wird derzeit kritisch diskutiert. Die Aufarbeitung kolonialen Unrechts muss die betroffenen Gemeinschaften einbeziehen und man muss beginnen einander zuzuhören, zu verstehen und sich als Menschen zu begegnen.

Während der letzten Dekaden gab es viele vertane Chancen, um die deutsche koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten. Die im Mai letzten Jahres ausgehandelte gemeinsame Erklärung (Joint Declaration) zwischen Deutschland und Namibia ist ein Fortschritt, meint Uhuru Dempers, der selbst Nachfahre von Genozidüberlebenden ist, während einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende September 2022.Erstmals werden die verübten Verbrechen als Völkermord anerkannt, finanzielle Mittel für Versöhnungsarbeit bereitgestellt und eine offizielle Entschuldigung für das historische Unrecht durch das deutsche Staatsoberhaupt vorgesehen. Auch die ehemalige deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin betont, die Anerkennung der Verantwortung auf höchster Ebene ist ein wichtiger Schritt und ein Fundament auf dem nun mit Geschichtsbewusstsein, Empathie und vor allem unter Einbeziehung der Betroffenen aufgebaut werden müsse. Zur Verantwortung gehöre es aber auch, einen Rahmen zu finden, der es ermöglicht, dass das Abkommen in Namibia breitere Zustimmung finden kann. In diese Kerbe stößt auch Reinhardt Kößler, Soziologe, der die Entwicklungen in Namibia seit Langem intensiv begleitet. Er warnt, dass Opferverbände die deutsche Haltung in den Verhandlungen mitunter als arrogant empfinden. Dabei ginge es nicht nur um das finanzielle Angebot und semantische Feinheiten. Versöhnung und Wiedergutmachung verlangen nach einer breiten gesellschaftlichen und politischen Debatte – zum Beispiel auch im Bundestag –, die so bislang nicht geführt wird. Diese sei aber dringend nötig, damit die Entschuldigung und das Bemühen um Wiedergutmachung tatsächlich Anerkennung finden können.  

Eine gemeinsame Erinnerungskultur

„Wer hat das Vergnügen des Vergessens und wer die Last der Erinnerung?“, fragt der namibische Spoken Word Artist Keith Black beim Vortrag seines Gedichts „Willkommen am Tatort“. Das koloniale Projekt ist ein langwieriges. Seine strukturellen Konsequenzen wie Landlosigkeit, Armut und Gewalt existieren in den betroffenen Gemeinden als tägliche Realität weiter. Aus dem Zirkel auszubrechen ist für viele eine abwegige Vorstellung. Die Vergangenheit raubt den Glauben an eine andere Zukunft, sagt Black. Viele junge Menschen denken, dass Armut und Gewalt etwas Angeborenes sind. Gerade deswegen schmerzt das Fehlen eines tieferen Dialogs mit der deutschen Seite und dessen bürokratische Hürden, wie monatelange Visaprozesse. Es scheint, die Strukturen sind in der Vergangenheit stecken geblieben. Auch Benjamin Sadler von der deutsch-namibischen Bildungs­initiative Welwitschia e.V. unterstreicht, wir müssen bei uns selbst beginnen. Er musste erst nach Namibia gehen, so Sadler, um den Völkermord zu begreifen. Er ist nicht Teil unserer Bücher, Teil unseres Bildungssystems. Der Wandel der Schulcurricula – in beiden Ländern – wären sicherlich ein wichtiger Schritt, um eine gemeinsame Erinnerungskultur zu schaffen, auf der sich Versöhnung aufbauen lässt.

Versöhnung nach vorne denken

Es braucht den direkten Kontakt – zuhören, Geschichten teilen, den anderen wahrnehmen und verstehen –, möchte man das transgenerationale Trauma aufarbeiten, ist Birgitt Rambalski von der Bremer Senatskanzlei überzeugt. Erinnerungsgeschichte ist nichts Statisches. Im Gegenteil, das ständige Erneuern und Weiterentwickeln ermöglicht erst kollektive Erinnerung. Wie im Falle des ehemaligen Kolonialdenkmals, dem backsteinernen Elefanten von Bremen, das sich durch die verschiedenen Zeitepochen und getragen von engagierten zivilgesellschaftlichen Initiativen zu einem anti-kolonialen Erinnerungsort für Toleranz, Vielfalt und Anti-Rassismus gewandelt hat. Seit rund drei Dekaden ist Rambalski aktiv in die Städtepartnerschaft zwischen der Hansestadt und der namibischen Hauptstadt Windhoek involviert. Sehr plastisch erzählt sie von ganz praktischen Beispielen, wie Menschen durch diese Kooperation zusammenrücken, etwa durch die gemeinsame Bewältigung von Herausforderungen auf kommunaler Ebene im Bereich Müllverwertung, Klimaanpassung oder der Förderung von lokalen Arbeitsplätzen und Beschäftigungsinitiativen. Auch Benjamin Sadler setzt auf Austauschprogramme, vor allem Jugendaustausch. Das erlaube ganz andere Einblicke in die Geschichte und ihre Konsequenzen für das Leben von Menschen heute. Die junge Generation ist weniger durch das Apartheidstrauma geprägt und hat durch die Digitalisierung mehr Möglichkeiten des Austauschs über kontinentale Grenzen hinweg. Hier sieht Sadler viel Potential, um vom Reden ins Handeln zu kommen und an gemeinsamen Projekten zu arbeiten. Universitärer Dialog, Schüler:innenaustausch und kirchliche Kooperation bieten einen guten Rahmen, um Vertrauen zu schaffen und junge Menschen in ihrem gemeinsamen Forschen, Schaffen und solidarischen Handeln zu stärken.

Ein öffentlicher Rahmen für Versöhnung und Wiedergutmachung

Bei aller Würdigung des zivilgesellschaftlichen Engagements für den Deutsch-Namibischen Dialog, kann der Staat aber auch nicht aus der Verantwortung genommen werden, so das Credo des Debattenabends. Öffentliche Institutionen müssen den Raum schaffen, in dem zivile Prozesse initiiert und koordiniert werden können. Hierbei sollte man auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, betont die Ethnologin Jutta MacConnell, die sich ausführlich mit der ersten auf Versöhnung ausgerichteten Deutsch-Namibischen Entwicklungsinitiative 2007 beschäftigt hat. Programme, die durch Entwicklungschancen für betroffene Gemeinden und Bevölkerungsgruppen zur Wiedergutmachung beitragen sollen, müssen die Nachfahren der Opfer von Anfang an aktiv in Prioritätensetzung, Planung und Umsetzung von Projekten einbeziehen. Sie müssen maximal transparent sein und Rechenschaft ablegen. Nur so kann nachhaltig das Vertrauen in staatlich initiierte Versöhnungsprozesse gestärkt werden und das Heilen beginnen. An diesen Weg glaubt auch Uhuru Dempers. Der Prozess des Abkommens hatte seine Schwächen, aber eine klug gestaltete Implementierung könnte viele positive Kräfte freisetzen. Wir haben nicht erneut zehn Jahre Zeit, um alles perfekt hinzubekommen, so Dempers. Wir müssen dem historischen Unrecht, der strukturellen Armut und der Frustration etwas entgegensetzen, um Gerechtigkeit und Versöhnung einen Weg zu bahnen.

 


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