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Europa braucht eine Koalition der Willingen, die mehr legale und sichere Wege nach Europa öffnet.
Die Europäische Union – ebenso wie andere Zielregionen von Migration – entwickelt und implementiert seit langem Politiken, die darauf abzielen, den Zuzug unerwünschter Migrant_innen – inklusive Geflüchteter – zu verhindern. Zentrale Elemente dieser Politik sind physische Grenzsicherungsanlagen, umfangreiche Überwachungsmaßnahmen, eine restriktive Visapolitik, Sanktionen für Fluggesellschaften, die Personen ohne gültige Dokumente transportieren (Carrier Sanctions), sowie die Kooperation mit Transitstaaten. Zudem haben sich die europäischen Staaten in paradoxer Weise dem Kampf gegen die Menschenschmuggler_innen verpflichtet, deren Geschäftsmodell sie mit ihrer Abschottungspolitik ja gerade erzeugen. Die politischen Entscheidungsträger_innen haben zwar immer wieder angekündigt, legale Migrationswege stärker öffnen zu wollen. Dies ist bisher jedoch nur in unzureichendem Maße geschehen.
Die Folgen einer solchen Politik sind dramatisch. Aufgrund fehlender legaler Alternativen müssen sich Schutzsuchende und andere Migrant_innen in die Hände von zum Teil skrupellosen Schmuggler_innen begeben. Hunderttausende riskieren ihr Leben, Tausende sterben jedes Jahr. Zudem sind diese Routen äußerst selektiv: Personen ohne die erforderlichen finanziellen Ressourcen und die notwendige körperliche Robustheit sind weitgehend ausgeschlossen. Auch für die EU ist dies bedenklich, denn sie erleidet einen erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust. Dies wird immer dann besonders deutlich, wenn es zu Schiffsunglücken vor europäischen Küsten kommt. Außerdem hat es mittelfristig verheerende Auswirkungen auf das globale Menschenrechts- und Flüchtlingsregime, wenn sich zentrale Akteure wie die USA, Australien oder die EU von Standards des internationalen Flüchtlingsschutzes verabschieden oder ihr Engagement zurückfahren.
Darüber hinaus gibt es auch Zweifel an der Effektivität ökonomisch sehr kostspieliger Abschottungsmaßnahmen. Der kontinuierliche Ausbau der „Festung Europa“ hat in der Vergangenheit trotz Milliarden schwerer Investitionen nicht dazu geführt, irreguläre Einreisen zu verhindern. Infolge der umfangreichen Fluchtbewegungen nach Europa in den Jahren 2015 und 2016 wurden weitere Maßnahmen ergriffen. Dies betrifft v. a. die Kooperation mit Transitstaaten und zwar insbesondere mit der Türkei und Libyen. Infolge dieser Kooperation sanken die Zahlen der irregulären Zuzüge – zumindest vorrübergehend. Dass weniger Menschen an europäischen Küsten ankommen, wird von einigen als erfolgreiche Schließung von Migrationsrouten gefeiert. Im Gegenzug wurden jedoch bisher keine legalen Wege in ausreichendem Umfang eingerichtet. Noch immer sind Tausende auf den gefährlichen Routen unterwegs. Für andere bedeutet es, dass sie weiterhin und auf absehbare Zeit in z. T. gefährlichen und unwürdigen Verhältnissen ausharren müssen, etwa in den libyschen Gefängnissen, in denen laut Drahtbericht des Auswärtigen Amts „KZ-ähnliche Verhältnisse“ herrschen.
Seit Jahren gibt es in Politik und Wissenschaft Forderungen zur Einrichtung umfangreicher sicherer und legaler Wege nach Europa. Dabei handelt es sich keineswegs um etwas, das neu erfunden oder entwickelt werden muss. In Deutschland und vielen anderen Staaten gibt es bereits einen großen Instrumentenkasten. Zu nennen sind hier etwa das Resettlement-Programm des UNHCR oder Humanitäre Aufnahmeprogramme. Auch privat finanzierte Aufnahmeprogramme (Private Sponsorship) und humanitäre Visa, die zum Stellen eines Asylantrags berechtigen, wurden in einigen Staaten erfolgreich erprobt. Darüber hinaus könnten auch nicht-humanitäre Migrationskanäle wie der Familiennachzug, die Arbeits- und Bildungsmigration als legale und sichere Einreisewege weiter geöffnet werden, und zwar sowohl für Flüchtlinge, als auch für andere Migrant_innen. Alle diese Instrumente wurden und werden bereits angewandt.
Der Ausbau scheitert also weniger an rechtlichen Hürden oder den durchaus anspruchsvollen organisatorischen Details. Entscheidende Barrieren sind der mangelnde politische Wille sowie die fehlende Akzeptanz für Migration in Teilen der Bevölkerung. Dabei kann gerade der Ausbau legaler Wege die Akzeptanz von Migration erhöhen. Denn so können zumindest die – politisch instrumentalisierten – Ängste vor Kontrollverlust reduziert werden.
Von zentraler Bedeutung für die künftige Gestaltung legaler Migrationswege ist die bisher ungelöste Frage der internationalen Kooperation. Denn wenn sich nur wenige Staaten beteiligen, befürchten deren Entscheidungsträger_innen, dass zum einen die Akzeptanz in der Bevölkerung schwindet („Warum nur wir?“). Zum anderen fürchten sie, dass zu kleine Kontingente nicht zur erwünschten Umleitung von irregulärer zu regulärer Migration führen und dass zusätzlich zu den legal eingereisten Migrant_innen ebenso viele wie bisher auf irregulären Wegen kommen könnten.
Die Umleitung von Migration in legale Wege kann nur dann gelingen, wenn migrationswillige und -fähige Personen diese Wege als realistische Chance wahrnehmen. Dazu ist ein substantielles Volumen und das langfristige Offenhalten von Migrationswegen erforderlich. Um dies zu erreichen, müssen Zielstaaten international zusammenarbeiten. Wie die innereuropäische Umverteilung von Schutzsuchenden im Rahmen des Relocation-Programmes gezeigt hat, kann die Aufnahmebereitschaft jedoch nicht per Mehrheitsbeschluss erzwungen werden. Auch wenn die politischen Vorzeichen derzeit ungünstig erscheinen, so muss an dem Aufbau einer Koalition der Willigen dauerhaft weitergearbeitet werden, insbesondere innerhalb der EU, aber auch darüber hinaus.
Für eine langfristige und strategische Ausrichtung der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik werden unterschiedliche Wege und Instrumente benötigt. Die jüngsten Vorschläge der EU-Kommission (50.000 Resettlement-Plätze bis Ende Oktober 2019, Erprobung von Private Sponsorship und Pilotprojekt zu legaler Arbeitsmigration) gehen in die richtige Richtung. Entscheidend ist, dass man deren weitere Gestaltung nicht nur im Geiste der Angst vor Kontrollverlusten betrachtet, sondern als langfristigen kollektiven Lernprozess, bei dem auch neue Wege ausprobiert werden dürfen. Nur so ist eine zukunftsfähige Migrations- und Fluchtpolitik erreichbar.
Autor
Dr. Marcus Engler ist Migrationsforscher und Politikberater. Seit vielen Jahren befasst er sich mit Trends, Debatten und politischen Entwicklungen im Themenfeld Migration, Integration, Flucht und Asyl, insbesondere in Deutschland und Europa.
E-Mail: engler(at)migration-analysis.eu
Persönliche Webseite: https://www.migration-analysis.eu/
Kontakt: Felix Braunsdorf, FES-Referent für Migration und Entwicklung
Dieser Beitrag greift die Botschaft "Aus den Augen aus dem Sinn? Abschottung ist keine Lösung" des Projekts "Migration gestalten - gerecht und global!" auf.
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Dr. Johannes Crückeberg
030 26935-8332Johannes.Crueckeberg(at)fes.de
Marcus Hammes
0228 883-7149Marcus.Hammes(at)fes.de