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Von Petra Keller und Sarah Gräf
Kriminalisierung von Aktivist*innen, bürokratische Hürden, Einschüchterungsversuche und Hassreden: Auch in Deutschland schränken staatliche und nicht-staatliche Akteur*innen den Raum für zivilgesellschaftliches Engagement zunehmend ein. Der Begriff "Shrinking Spaces" beschreibt dieses Phänomen. Wo stehen wir gesellschaftlich bei der Stärkung der Zivilgesellschaft? Das Demokratiefördergesetz bleibt bislang ein Entwurf, und eine umfassende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ist seit Jahrzehnten überfällig. Dabei sichert eine starke, unabhängige Zivilgesellschaft den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
In diesem Thema im Fokus beleuchten wir das Phänomen "Shrinking Spaces" in Deutschland und diskutieren, wie zivilgesellschaftliches Handeln eingeschränkt wird. Wie können sich Non-Profit-Organisationen strategisch aufstellen und sich gegen Angriffe schützen?
"Shrinking Spaces" beschreibt das Phänomen, bei dem der Raum für zivilgesellschaftliches Engagement und Aktivitäten zunehmend eingeschränkt wird. In Deutschland, wie auch in anderen Ländern, betrifft dies Organisationen, Aktivist*innen und Bürger*innen, die sich für soziale, politische oder ökologische Anliegen einsetzen. Diese Entwicklungen verringern den Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Akteur*innen und bedrohen letztlich die demokratische Partizipation und Meinungsvielfalt. Die Einschränkungen zivilgesellschaftlichen Handelns können auf verschiedene Weise geschehen:
Der Erfolg der in Teilen als rechtsextrem eingestuften AfD hat spürbaren Einfluss auf die Arbeit und das Leben von den Menschen, die sich beruflich oder aktivistisch für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzen. Die Bedrohung durch rechte Kräfte gehört vielerorts zum Alltag. Acht von zehn Engagierte haben laut dem Projekt „BEWARE: Bedrohte Demokratieprojekte wappnen und resilient machen“ bereits Bedrohungen erfahren. Diese reichen von unmittelbarer Körperverletzung und Sachbeschädigung über Diffamierungen bis zur bloßen Erwartung einer Gefahrensituation. Manche Menschen geben deshalb ihr Engagement auf.
Der CIVICUS Report 2024 analysiert die Trends und Herausforderungen, denen die Zivilgesellschaft im Vorjahr weltweit gegenüberstand. Laut dem Bericht ist der Zustand der Zivilgesellschaft seit dem Start der globalen Berichterstattung im Jahr 2018 so schlecht wie nie zuvor. In 118 Ländern gibt es ernsthafte Einschränkungen des zivilen Raums, und nur 2,1 % der Menschen leben in offenen Gesellschaften. Einschüchterung, Störung von Protesten und Verhaftungen von Demonstranten waren 2023 die häufigsten dokumentierten Verstöße, wobei Demokratie-, Klima- und Umweltaktivist*innen sowie Frauen und LGBTQI+ Personen besonders betroffen waren.
Besonders hebt der CIVICUS Report u.a. die Klimakrise als globalen Notfall hervor. Der Umgang deutscher Behörden mit der Aktionsbewegung Die Letzte Generation wird als Beispiel angeführt, wie auch in Ländern des globalen Nordens der Raum für Klimaaktivismus eingeschränkt wird – im Fall Deutschlands durch die Anwendung von Gesetzen zu organisierter Kriminalität.
Dr. Siri Hummel ist Direktorin des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft und ist Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin. Mit ihr sprechen wir über Shrinking Spaces in Deutschland, das Verteidigen von Handlungsspielräumen und das geplante Steuerfortentwicklungsgesetz.
Eter Hachmann ist Dezernentin für Soziales, Bildung, Jugend und Senioren in Dessau-Roßlau und Vorsitzende von DaMOst, dem Dachverband der Migrantenorganisationen im Osten. Mit ihr sprechen wir über Herausforderungen zivilgesellschaftlichen Engagements im Osten Deutschlands. Welche Tipps kann sie NPOs mit auf den Weg geben?
Der Gemeinnützigkeitsstatus in Deutschland bietet viele Vorteile: steuerliche Vergünstigungen, Befreiung von der Körperschafts- und Gewerbesteuer und das Ausstellen von Spendenquittungen. Zudem erleichtert er den Zugang zu öffentlichen Fördermitteln. Doch das Gemeinnützigkeitsrecht ist veraltet und eine umfassende Reform steht aus. Mittlerweile greift die AfD durch parlamentarische Anfragen und Anzeigen beim Finanzamt gezielt die Gemeinnützigkeit von Vereinen an, die sich gegen ihre Positionen stellen.
Das Ausschließlichkeitsgebot
Nach dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs vom Januar 2019 fürchten viele Organisationen, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren, wenn sie sich politisch äußern. Der Bundesfinanzhof entschied, dass Attac ihre Gemeinnützigkeit verliert, da sie überwiegend allgemeinpolitische Ziele verfolgt, die nicht als gemeinnützig im Sinne der Abgabenordnung gelten. Die Abgabenordnung regelt das Ausschließlichkeitsgebot: Alle Tätigkeiten der Organisation müssen direkt und ausschließlich auf die Verwirklichung der satzungsmäßigen, gemeinnützigen Zwecke gerichtet sein.
Das Steuerfortentwicklungsgesetz
Am 24. Juli 2024 verabschiedete das Bundeskabinett den Entwurf des Steuerfortentwicklungsgesetzes. Danach dürfen gemeinnützige Organisationen „außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen“. Im Gesetzesentwurf heißt es: „‘Gelegentlich‘ bedeutet jedoch nicht, sich bei jeder Gelegenheit zu politischen Themen zu äußern. Die Äußerungen müssen aufgrund eines besonderen Anlasses erfolgen und der steuerbegünstigten Zweckverfolgung untergeordnet sein. (…) “
Siri Hummel, Politikwissenschaftlerin, im Gespräch mit MuP
„Der Grundkonflikt beim Gemeinnützigkeitsrecht dreht sich um die Frage, wie politisch Zivilgesellschaft sein darf. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist über 100 Jahre alt, wurde nie ausreichend reformiert, und spiegelt noch die Auffassung wider, dass die politische Meinungs- und Willensbildung bei den Parteien liegen und der gemeinnützige Sektor sich um andere Bereiche kümmern solle. Unser heutiges Demokratieverständnis und die Rolle der Zivilgesellschaft hat sich aber verändert. Der rechtliche Raum hinkt hier hinterher und das führt zu Unsicherheiten bei zivilgesellschaftlichen Organisationen. Auch das Steuerfortentwicklungsgesetz ist hier nicht klar genug, um dem Gefühl der Rechtsunsicherheit bei zivilgesellschaftlichen Organisationen entgegenzuwirken.“
Viele Engagierte fühlen sich in ihrem Einsatz für die Demokratie von der Politik im Stich gelassen. Besonders in Regionen, wo Entscheidungsträger*innen Rechtsextremismus verharmlosen, sinkt die Zahl der Aktivist*innen.
Mittlerweile gibt es deshalb immer mehr Angebote für engagierte Einzelpersonen oder zivilgesellschaftliche Organisationen, die Angriffen oder Diffamierungskampagnen ausgesetzt sind. Aber auch präventiv können NPOs strategische Schritte gegen Einschränkungen ihrer Handlungsspielräume gehen:
Bedrohung der zivilgesellschaftlichen Demokratiearbeit – Kurzbericht des Projekts BEWARE
Die Voraussetzungen fördern oder „How Democracies Survive – Verfassungsblog.de
Gemeinnützige Organisationen im Fadenkreuz der AfD – Pascal Siggelkow, ARD Tagesschau
Jahresrückblick 2023: Wie Rechtsextremismus näher rückt – und was dagegen hilft – Bundesverband Mobile Beratung
Shrinking Space in Deutschland, Shrinking Space in Europa – Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.
State of civil society report – CIVICUS.org
Themendossier Shrinking Spaces – Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung
Zivilgesellschaft in Deutschland: Daten, Fakten, Entwicklungen – Hagen Troschke, Maecenata Institut
Beratung zum Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und Verschwörungserzählungen.
weitere Informationen
HateAid bietet unmittelbare Beratung und rechtliche Unterstützung bei digitaler Gewalt.
Der Gegenrechtsschutz bietet Beratung und rechtliche Unterstützung bei rechtswidrigen Maßnahmen und Klagen.
Die No SLAPP Anlaufstelle unterstützt Journalist*innen und kritische Akteur*innen gegen rechtliche Einschüchterungsversuche.