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Thema im Fokus

Shrinking Civic Spaces – Zivilgesellschaft unter Druck

Von Petra Keller und Sarah Gräf 

Kriminalisierung von Aktivist*innen, bürokratische Hürden, Einschüchterungsversuche und Hassreden: Auch in Deutschland schränken staatliche und nicht-staatliche Akteur*innen den Raum für zivilgesellschaftliches Engagement zunehmend ein. Der Begriff "Shrinking Spaces" beschreibt dieses Phänomen. Wo stehen wir gesellschaftlich bei der Stärkung der Zivilgesellschaft? Das Demokratiefördergesetz bleibt bislang ein Entwurf, und eine umfassende Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ist seit Jahrzehnten überfällig. Dabei sichert eine starke, unabhängige Zivilgesellschaft den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

In diesem Thema im Fokus beleuchten wir das Phänomen "Shrinking Spaces" in Deutschland und diskutieren, wie zivilgesellschaftliches Handeln eingeschränkt wird. Wie können sich Non-Profit-Organisationen strategisch aufstellen und sich gegen Angriffe schützen? 


Einschränkungen der Zivilgesellschaft

"Shrinking Spaces" beschreibt das Phänomen, bei dem der Raum für zivilgesellschaftliches Engagement und Aktivitäten zunehmend eingeschränkt wird. In Deutschland, wie auch in anderen Ländern, betrifft dies Organisationen, Aktivist*innen und Bürger*innen, die sich für soziale, politische oder ökologische Anliegen einsetzen. Diese Entwicklungen verringern den Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Akteur*innen und bedrohen letztlich die demokratische Partizipation und Meinungsvielfalt. Die Einschränkungen zivilgesellschaftlichen Handelns können auf verschiedene Weise geschehen:

Hürden in Bürokratie und Verwaltung

  • Zusätzliche Berichts- und Dokumentationspflichten erhöhen die bürokratischen Anforderungen und verlangsamen oder verteuern den Betrieb von NPOs.
  • Komplizierte Registrierungsprozesse werden eingeführt.
  • Parlamentarische Anfragen mit unangemessener Detailtiefe bündeln Ressourcen.
  • Forderungen nach einer Prüfung der Gemeinnützigkeit sollen die Aktionsräume der Zivilgesellschaft über deren Finanzierung beschränken.

Einschränkungen bei Finanzierung und Förderung

  • Öffentliche Fördermittel für bestimmte zivilgesellschaftliche Projekte oder Organisationen werden reduziert oder eingestellt.
  • Strengere Finanzkontrollen werden eingeführt.

Rechtliche Einschränkungen und Kriminalisierung

  • Starre, reformbedürftige Gesetze wie das Gemeinnützigkeitsrecht, schaffen Rechtsunsicherheit.
  • Strengere Regulierungen und Polizeimaßnahmen gegen öffentliche Demonstrationen und Versammlungen schränken den öffentlichen Protest ein.
  • Änderungen von Polizei- und Versammlungsgesetzen beschränken zivilgesellschaftliche Aktivitäten, etwa bei den geplanten Aktualisierungen am Bundespolizeigesetz, die Meldeauflagen bei unbestimmten Kriterien vorsehen.
  • Gesetze, die zur Vorbeugung schwerer Straftaten wie Terroranschlägen gedacht sind, werden zweckentfremdet, wie bei der Präventivhaft von Aktivist*innen der Letzten Generation im Jahr 2023.

Einschüchterung, Bedrohung und Diffamierung

  • Gewalttätige Angriffe, Körperverletzungen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen gefährden Aktivist*innen und die gesamte zivilgesellschaftliche Demokratiearbeit.
  • Aktivist*innen und Organisationen werden diffamiert, um deren Glaubwürdigkeit und Wirkung zu mindern. Beispielsweise wird ihnen vorgeworfen, ideologisch, demokratiefeindlich oder gesetzeswidrig zu handeln.
  • (Benachteiligte) Gruppen werden gegeneinander ausgespielt, benachteiligte Menschen diffamiert, Falschaussagen und Gerüchte werden verbreitet.
  • SLAPPs (strategic lawsuits against public participation): Zivilgesellschaftliche Akteur*innen werden verklagt, um sie durch Einschüchterung und Ressourcenbindung an der Verfolgung ihrer Ziele zu hindern.

Dimensionen von Bedrohung

Der Erfolg der in Teilen als rechtsextrem eingestuften AfD hat spürbaren Einfluss auf die Arbeit und das Leben von den Menschen, die sich beruflich oder aktivistisch für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzen. Die Bedrohung durch rechte Kräfte gehört vielerorts zum Alltag. Acht von zehn Engagierte haben laut dem Projekt „BEWARE: Bedrohte Demokratieprojekte wappnen und resilient machen“ bereits Bedrohungen erfahren. Diese reichen von unmittelbarer Körperverletzung und Sachbeschädigung über Diffamierungen bis zur bloßen Erwartung einer Gefahrensituation. Manche Menschen geben deshalb ihr Engagement auf.

Shrinking Spaces weltweit: Der CIVICUS Report 2024

Der CIVICUS Report 2024 analysiert die Trends und Herausforderungen, denen die Zivilgesellschaft im Vorjahr weltweit gegenüberstand. Laut dem Bericht ist der Zustand der Zivilgesellschaft seit dem Start der globalen Berichterstattung im Jahr 2018 so schlecht wie nie zuvor. In 118 Ländern gibt es ernsthafte Einschränkungen des zivilen Raums, und nur 2,1 % der Menschen leben in offenen Gesellschaften. Einschüchterung, Störung von Protesten und Verhaftungen von Demonstranten waren 2023 die häufigsten dokumentierten Verstöße, wobei Demokratie-, Klima- und Umweltaktivist*innen sowie Frauen und LGBTQI+ Personen besonders betroffen waren.

Besonders hebt der CIVICUS Report u.a. die Klimakrise als globalen Notfall hervor. Der Umgang deutscher Behörden mit der Aktionsbewegung Die Letzte Generation wird als Beispiel angeführt, wie auch in Ländern des globalen Nordens der Raum für Klimaaktivismus eingeschränkt wird – im Fall Deutschlands durch die Anwendung von Gesetzen zu organisierter Kriminalität. 


MuP-Interview mit Siri Hummel

Profilbild Siri Hummel

Dr. Siri Hummel ist Direktorin des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft und ist Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin. Mit ihr sprechen wir über Shrinking Spaces in Deutschland, das Verteidigen von Handlungsspielräumen und das geplante Steuerfortentwicklungsgesetz.


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MuP-Interview mit Eter Hachmann

Profilbild Eter Hachmann

Eter Hachmann ist Dezernentin für Soziales, Bildung, Jugend und Senioren in Dessau-Roßlau und Vorsitzende von DaMOst, dem Dachverband der Migrantenorganisationen im Osten. Mit ihr sprechen wir über Herausforderungen zivilgesellschaftlichen Engagements im Osten Deutschlands. Welche Tipps kann sie NPOs mit auf den Weg geben?

 


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Gemeinnützigkeit als Konfliktfeld

Der Gemeinnützigkeitsstatus in Deutschland bietet viele Vorteile: steuerliche Vergünstigungen, Befreiung von der Körperschafts- und Gewerbesteuer und das Ausstellen von Spendenquittungen. Zudem erleichtert er den Zugang zu öffentlichen Fördermitteln. Doch das Gemeinnützigkeitsrecht ist veraltet und eine umfassende Reform steht aus. Mittlerweile greift die AfD durch parlamentarische Anfragen und Anzeigen beim Finanzamt gezielt die Gemeinnützigkeit von Vereinen an, die sich gegen ihre Positionen stellen.

Das Ausschließlichkeitsgebot

Nach dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs vom Januar 2019 fürchten viele Organisationen, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren, wenn sie sich politisch äußern. Der Bundesfinanzhof entschied, dass Attac ihre Gemeinnützigkeit verliert, da sie überwiegend allgemeinpolitische Ziele verfolgt, die nicht als gemeinnützig im Sinne der Abgabenordnung gelten. Die Abgabenordnung regelt das Ausschließlichkeitsgebot: Alle Tätigkeiten der Organisation müssen direkt und ausschließlich auf die Verwirklichung der satzungsmäßigen, gemeinnützigen Zwecke gerichtet sein.

Das Steuerfortentwicklungsgesetz

Am 24. Juli 2024 verabschiedete das Bundeskabinett den Entwurf des Steuerfortentwicklungsgesetzes. Danach dürfen gemeinnützige Organisationen „außerhalb ihrer Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen“. Im Gesetzesentwurf heißt es: „‘Gelegentlich‘ bedeutet jedoch nicht, sich bei jeder Gelegenheit zu politischen Themen zu äußern. Die Äußerungen müssen aufgrund eines besonderen Anlasses erfolgen und der steuerbegünstigten Zweckverfolgung untergeordnet sein. (…) “

Wie politisch darf Zivilgesellschaft sein?

Siri Hummel, Politikwissenschaftlerin, im Gespräch mit MuP

„Der Grundkonflikt beim Gemeinnützigkeitsrecht dreht sich um die Frage, wie politisch Zivilgesellschaft sein darf. Das Gemeinnützigkeitsrecht ist über 100 Jahre alt, wurde nie ausreichend reformiert, und spiegelt noch die Auffassung wider, dass die politische Meinungs- und Willensbildung bei den Parteien liegen und der gemeinnützige Sektor sich um andere Bereiche kümmern solle. Unser heutiges Demokratieverständnis und die Rolle der Zivilgesellschaft hat sich aber verändert. Der rechtliche Raum hinkt hier hinterher und das führt zu Unsicherheiten bei zivilgesellschaftlichen Organisationen. Auch das Steuerfortentwicklungsgesetz ist hier nicht klar genug, um dem Gefühl der Rechtsunsicherheit bei zivilgesellschaftlichen Organisationen entgegenzuwirken.“

Shrinking Spaces: Strategische Aufstellung und praktische Tipps

Viele Engagierte fühlen sich in ihrem Einsatz für die Demokratie von der Politik im Stich gelassen. Besonders in Regionen, wo Entscheidungsträger*innen Rechtsextremismus verharmlosen, sinkt die Zahl der Aktivist*innen.

Mittlerweile gibt es deshalb immer mehr Angebote für engagierte Einzelpersonen oder zivilgesellschaftliche Organisationen, die Angriffen oder Diffamierungskampagnen ausgesetzt sind. Aber auch präventiv können NPOs strategische Schritte gegen Einschränkungen ihrer Handlungsspielräume gehen:  

Kommunikation und Umgang mit Desinformation

  • Einrichten eines Verfahrens zur Beobachtung und Überprüfung von Meldungen, um Desinformation frühzeitig zu erkennen und widerlegen zu können. 
  • Entwickeln klarer Kommunikationsstrategien, die Haltung und demokratische Positionen in den Vordergrund stellen.
  • Nutzen von Faktenchecks und regelmäßiges Verbreiten korrekter Informationen, um Falschmeldungen entgegenzuwirken.
  • Einbeziehen der Öffentlichkeit bei Angriffen und Diffamierungen.

Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung

  • Nutzen empirischer Daten und Analysen zur Unterstützung von Advocacy und dem Entwickeln politischer Forderungen.
  • Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen, bspw. bei gemeinsamen Forschungsprojekten.

Datensicherheit

  • Verschlüsseltes Übertragen von vertraulichen Daten.
  • Regelmäßige Aktualisierung der Sicherheitssoftware und Nutzung sicherer Kommunikationskanäle, um sensible Informationen zu schützen.
  • Beantragen einer Auskunftssperre beim Einwohnermeldeamt.

Demokratische Bündnisse und Organizing

  • Aufbauen von Netzwerken und Allianzen mit anderen Organisationen und demokratischen politischen Akteur*innen.
  • Bilden von breiten, überparteilichen Koalitionen, die sich für gemeinsame demokratische Werte einsetzen.
  • Zusammenschlüsse von möglichst vielen Akteur*innen einer Stadt- und Dorfgesellschaft, darunter Parteien, Nachbar*innen, Schulen, Feuerwehrvereine, Kirchen etc.
  • Unterstützung von lokalen Gruppen durch Schulungen und Ressourcen, um ihnen zu ermöglichen, selbst aktiv zu werden.

Finanzielle Absicherung

  • Verteilung der Finanzierung auf verschiedene Fördertöpfe.
  • Akquirieren von staatlich und wirtschaftlich unabhängigen Geldern, etwa durch private Spenden und Crowdfunding.

Strukturaufbau und Stärkung von Resilienz

  • Implementieren von klaren Richtlinien und Mechanismen zur Moderation und Meldung von Hatespeech und anderen Angriffen.
  • Entwickeln von Leitlinien für Veranstaltungen, Projekte und Zusammenarbeit.
  • Einrichten von Beschwerdestellen und Awareness-Teams mit klaren Konzepten und Befugnissen.
  • Anbieten von Schulungen zum Umgang mit Desinformation, Hatespeech und Bedrohungen.
  • Ermöglichen von Austausch, Supervision und Auszeiten.
  • Gefahrenabwehr und Betroffenenperspektiven in den Vordergrund stellen.
  • Festlegen von Grenzen für Engagement, auch die persönliche!  

Auf den Punkt: Zivilgesellschaft schützen!

  • Marginalisierte und diskriminierte Gruppen wie Migrant*innenorganisationen oder queere Vereine sind oft als erstes von eingeschränkten zivilgesellschaftlichen Räumen betroffen.
  • NPOs müssen sicherstellen, dass ihr politisches Engagement gesetzlich anerkannte Zwecke wie Umweltschutz verfolgt und in der Satzung verankert ist.
  • Engagierte und Verantwortliche brauchen Unterstützung und finanzielle Mittel, um sich selbst, ihre Büros und ihre Mitarbeiter*innen zu schützen.
  • Organisationen können präventiv Maßnahmen ergreifen, um sich strukturell zu stärken und bei Betroffenheit wehren zu können.
  • Breite Netzwerke und Allianzen in der Zivilgesellschaft schaffen nicht nur Sichtbarkeit und Solidarität, sondern entfalten auch eine politische Wirkung.
  • Die Vernetzung mit Akteur*innen und demokratischen Politiker*innen vor Ort eröffnen Handlungsspielräume und stärken das Gefühl, im Einsatz für die Demokratie nicht allein zu sein.
  • Zivilgesellschaftliche Organisationen brauchen klare Rahmenbedingungen, um ihre Strukturen politisch zu stärken, beispielsweise durch eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, die Verabschiedung des Demokratiefördergesetzes und eine strukturelle Förderung von Demokratiearbeit.

Quellen und Verweise

Bedrohung der zivilgesellschaftlichen Demokratiearbeit – Kurzbericht des Projekts BEWARE

Die Voraussetzungen fördern oder „How Democracies Survive – Verfassungsblog.de

Gemeinnützige Organisationen im Fadenkreuz der AfD – Pascal Siggelkow, ARD Tagesschau

Jahresrückblick 2023: Wie Rechtsextremismus näher rückt – und was dagegen hilft – Bundesverband Mobile Beratung

Shrinking Space in Deutschland, Shrinking Space in Europa – Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.

State of civil society report – CIVICUS.org

Themendossier Shrinking Spaces – Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung

Zivilgesellschaft in Deutschland: Daten, Fakten, Entwicklungen – Hagen Troschke, Maecenata Institut

Unterstützungsangebote

  • Bundesverband Mobile Beratung

    Screenshot Webseite der Mobilen Beratung

    Beratung zum Umgang mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und Verschwörungserzählungen.

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  • HateAid

    Logo HateAid

    HateAid bietet unmittelbare Beratung und rechtliche Unterstützung bei digitaler Gewalt.

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  • Der Gegenrechtsschutz

    Logo Der Gegenrechtsschutz

    Der Gegenrechtsschutz bietet Beratung und rechtliche Unterstützung bei rechtswidrigen Maßnahmen und Klagen.

    weitere Informationen

  • No SLAPP Anlaufstelle

    Logo NOSLAPP.de

    Die No SLAPP Anlaufstelle unterstützt Journalist*innen und kritische Akteur*innen gegen rechtliche Einschüchterungsversuche.

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