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Theodor Yorck: Vordenker der Einheitsgewerkschaft

Theodor Yorck (1830–1875) war eine herausragende Persönlichkeit für die Entwicklung der deutschen Gewerkschaften. Sein Ziel war es, einen Dachverband zu schaffen, der ebenso wie die Einzelgewerkschaften und Fachverbände parteiunabhängig organisiert war.

Wie sein Vater absolvierte der am 13. Mai 1830 geborene Theodor Yorck ab 1844 eine Tischlerlehre. Die Wanderjahre führten ihn durch Österreich und Deutschland. Nachdem es ihn 1856 nach Harburg bei Hamburg gezogen hatte, wurde er 1857 Mitglied im dort frisch gegründeten Arbeiterbildungsverein. Er lernte so die Ideenwelt der Arbeiterbewegung kennen und wurde zu einem führenden Vertreter der frühen Hamburger Arbeiterbewegung. Die Anregung zur Schaffung einer Krankenkasse oder das Drängen auf politische Aktivitäten der Harburger Arbeiter_innen machte sein Engagement jener Jahre aus. Im Zuge seiner Teilnahme 1862 an einer Delegation des Deutschen Nationalvereins zur Londoner Weltausstellung knüpfte er Verbindung mit dem Londoner Arbeiterverein. Der Austausch ließ in ihm letztlich die Überzeugung wachsen, dass sich die Interessen der deutschen Arbeiter_innen nur losgelöst von bürgerlichen Konzepten entwickeln konnten.

Das „Offene Antwortschreiben“ Ferdinand Lassalles vom 1. März 1863 motivierte Yorck, am 24. April 1863 den „Harburger Allgemeinen Arbeiter-Verein“ zu gründen. Am 23. Mai 1863 nahm er als Delegierter an der Gründungsversammlung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ (ADAV) in Leipzig teil und wurde in dessen Vorstand gewählt. Er konnte sich aber mit dem teils autoritativen Führungsstil Lassalles, den auch dessen Nachfolger Johann Baptist von Schweitzer fortsetzte, nicht abfinden, was er auch in seinem Zeitungsbeitrag „Offene Antwort an Herrn Leo Fränkel“ im „Demokratischen Wochenblatt“ zum Ausdruck brachte. Letztlich führte ihn dies zur „Sozialdemokratischen Deutschen Arbeiterpartei“ (SDAP), die sich am 8. August 1869 auf Initiative August Bebels und Wilhelm Liebknechts in Eisenach gegründet hatte und dort auch ein Programm gab.

Die Weiterentwicklung der deutschen Gewerkschaftsbewegung


Für Theodor Yorck standen vor allem gewerkschaftliche Fragen im Vordergrund. Bereits am 27./28. September 1868 hatte er als Präsident des „Gewerkvereins der Deutschen Holzarbeiter“ am „Allgemeinen Deutschen Arbeiterkongress“ in Berlin teilgenommen, auf dem die Gründung eines „Allgemeinen Deutschen Arbeiterschaftsverbandes“ beschlossen wurde. Sein Hauptziel war es, die Zersplitterung in eine Vielzahl kleiner Berufsorganisationen aufzuheben und lokale Gewerkschaften, Unionen, Fachvereine und zentralisierte Berufsgewerkschaften unter ein Dach zu bringen. Dies schloss auch ein, künftig flächendeckend eine Unterstützung von Gewerkschaftsmitgliedern zu organisieren. Yorcks flexibel ausgestaltetes Unions-Konzept fand jedoch keine Mehrheit. Der Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen wurde von ihm nur auf dem Boden der „Internationalen Arbeiterassoziation“ (IAA) als realisierbar erachtet. In einem später angenommenen Antrag, der mit einem Antrag August Bebels zusammengelegt worden war, formulierte er:

„Die sozial-demokratische Arbeiterpartei betrachtet es als eine Pflicht eines jeden Parteigenossen auf eine Einigung der Gewerkschaften mit allen Mitteln hinzuwirken, hält aber als Bedingung fest, daß die Gewerkschaften sich von dem Arbeiterschafts-Präsidium des Hrn. v. Schweitzer lossagen. Zugleich empfiehlt der Congreß die weitere Bildung von Gewerksgenossenschaften auf internationaler Grundlage.“ (Protokoll über die Verhandlungen des Allgemeinen Deutschen sozial-demokratischen Arbeiterkongresses zu Eisenach am 7., 8. und 9. August 1869. Leipzig 1869, S. 70f.)

„Auf dem neutralen Boden einer einheitlichen Gewerkschaftsorganisation …“


Für Yorck, der Anfang der 1870er-Jahre Aufgaben in Parteikontrollkommission (1870) und Parteiausschuss der SDAP (1871–1873) übernahm, blieb die Ausgestaltung der Gewerkschaftsbewegung vorrangiges Ziel. Sein Wirken im Rahmen der „Internationalen Gewerkschaftsgenossenschaften“, die als „Gewerkschaftsflügel“ der SDAP in Konkurrenz zum ADAV-nahen „Allgemeinen Deutschen Arbeiterschaftsverband“ standen, folgte der Zielsetzung, die Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung durch Umsetzung einer parteipolitischen Unabhängigkeit aufzuheben. Am Gewerkschaftskongress, der vom 15. bis 17. Juni 1872 in Erfurt stattfand und den Theodor Yorck mit vorbereitet hatte, nahmen 52 Delegierte teil. Hauptthema war die Schaffung einer einheitsgewerkschaftlichen Bewegung:

„In Erwägung, daß die Kapitalmacht alle Arbeiter, gleichviel ob sie konservativ, fortschrittlich-liberal oder Sozialdemokraten sind, gleichsehr bedrückt und ausbeutet, erklärt der Kongreß es für die heiligste Pflicht der Arbeiter, allen Parteihader beiseite zu setzen, um auf dem neutralen Boden einer einheitlichen Gewerkschaftsorganisation die Vorbedingung eines erfolgreichen kräftigen Widerstandes zu schaffen, die bedrohte Existenz sicherzustellen und eine Verbesserung ihrer Klassenlage zu erkämpfen.

Insbesondere aber haben die verschiedenen Fraktionen der sozial-demokratischen Arbeiterpartei die Gewerkschaftsbewegung nach Kräften zu fördern, und spricht der Kongreß sein Bedauern darüber aus, daß die Generalversammlung des Allg. Deutschen Arbeitervereins einen gegenteiligen Beschluß gefaßt hat.“ (Protokoll über die Sitzungen des Gewerkschafts-Kongresses zu Erfurt, den 15., 16. und 17. Juni 1872. Braunschweig [1872], S. 19)

Zwar wurde auf dem Kongress die Einigung auf ein von Yorck entworfenes Unionsstatut erzielt, jedoch fehlten dort nicht nur wichtige Fachverbände (z.B. die Holzarbeiter), sondern auch die Trennung von Partei- und Gewerkschaftsangelegenheiten konnte nicht auf den Weg gebracht werden. Die Schaffung einer einheitlichen Gewerkschaftsunion blieb also Theorie, zumal aus Kreisen der Polizei in Erfahrung gebracht wurde, dass man eine gewerkschaftliche Dachorganisation, die gemäß dem Statut ihren Sitz in Leipzig haben sollte, wieder aufgelöst hätte.

Im September 1873 wurde Theodor Yorck zum Vorsitzenden des „Central-Bureaus“ für die zu gründende Gewerkschaftsunion gewählt, was ihn an die Spitze des ersten provisorischen Dachverbands der deutschen Gewerkschaften sozialdemokratischer Richtung brachte. Auf dem Gewerkschaftskongress in Magdeburg (23.–25.6.1874) wurde er im Amt bestätigt. In seinem Vortrag „Die industrielle Arbeiterfrage und die Forderung eines neuen Arbeitsrechts“, den er auf der Volksversammlung des Kongresses der sozial-demokratischen Arbeiterpartei in Coburg am 19. Juli 1874 hielt, hob er die Bedeutung der Weiterentwicklung des Arbeitsrechts für die Klärung der Arbeiterfrage hervor.

Die zögerliche Unterstützung dieses Prozesses durch viele Gewerkschaften und Fachverbände verlangsamte jedoch die Entwicklung maßgeblich. Auch die Zeitung „Union. Organ für die Holzarbeiter Deutschlands“, die zusätzlich den Untertitel „Gewerkschaftsunion der Internationalen Gewerksgenossenschaften“ trug und für den Dachverband wirken sollte, wurde nur ungenügend unterstützt.

Ab der zweiten Jahreshälfte 1874 zwang das bereits lange andauernde Nierenleiden Theodor Yorck, seine partei- und gewerkschaftspolitische Tätigkeit zurückzuschrauben. Zwar wurde er noch in erste Gespräche um die Vereinigung von SDAP und ADAV im Oktober 1874 einbezogen, starb aber am 1. Januar 1875, erlebte somit das wöchentliche Erscheinen der „Union“ ab Januar 1875 nicht mehr. Laut einem Bericht in „Der wahre Jakob“ nahmen mehr als 5.000 Trauergäste an seiner Beisetzung am 4. Januar 1875 in Hamburg teil.

Hubert Woltering

Literatur

Protokoll über die Sitzungen des Gewerkschafts-Kongresses zu Erfurt, den 15., 16. und 17. Juni 1872. Braunschweig [1872].
(Bibliothek der FES: A 98-11477)

Theodor Yorck, Die industrielle Arbeiterfrage und die Forderung eines neuen Arbeitsrechts. Vortrag, gehalten auf der Volksversammlung des Congresses der sozial-demokratischen Arbeiterpartei zu Coburg am 19. Juli 1874, Hamburg 1874
(Bibliothek der FES: http://library.fes.de/pdf-files/netzquelle/01507.pdf)

Theodor Yorck, Offene Antwort an Herrn Leo Fränkel. In: Demokratisches Wochenblatt. Leipzig 1869. Nr. 44, S. 493 f.
(Historische Presse der deutschen Sozialdemokratie [FES]: https://collections.fes.de/historische-presse/periodical/zoom/215256 und https://collections.fes.de/historische-presse/periodical/zoom/215257)

Theodor York, in: Der Wahre Jacob, Nr. 107, 1890, S. 855 f.
(UB Heidelberg: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/wj1890/0119, https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/wj1890/0120)

Werner Ettelt, Yorck, Theodor, in: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Biographisches Lexikon. Berlin 1970, S. 494 f.
(Bibliothek der FES: A 07-3576)

Arno Herzig, York, Theodor, in: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.), Hamburgische Biografie (Bd. 5), Göttingen 2010, S. 390 f.
(Bibliothek der FES: GESCH 260 DEU Kopit)

Angelika Voss-Louis, Hamburgs Arbeiterbewegung im Wandel der Gesellschaft. Eine Chronik (Bd. 1: 1842 bis 1890), Hamburg 1987.
(Bibliothek der FES: A 88-2051)


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