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von Monique Goyens und Agustin Reyna
Durch die schnelle Entwicklung digitaler Dienstleistungen und Informationstechnologien hat sich der traditionelle Konsum in den vergangenen beiden Jahrzehnten grundlegend verändert: Mit wenigen Mausklicks können wir bei Amazon Waren und Lebensmittel bestellen, die dann innerhalb von Stunden geliefert werden. Auch eine Reise zu buchen war dank Seiten wie booking.com noch nie so leicht wie heute. Und angesichts dessen, dass Verbraucher_innen über Netflix – aus ihrer Sicht völlig mühelos – auf immer mehr Filme und Serien zugreifen können, verliert die Zeit ihre Bedeutung. Außerdem ist Google inzwischen de facto das Tor zum Web, und Facebook hat sich mit seinen vielen Diensten wie WhatsApp und Instagram für Millionen Menschen zur neuen Norm sozialer Interaktion entwickelt.
Obwohl die Digitalkonzerne die Bedingungen für die Verbraucher_innen verbessert haben, lösen ihre Praktiken ernsthafte Besorgnis darüber aus, wie sie unsere Daten sammeln und verwenden, wie sie unsere Konsumvorlieben prägen durch Informationsüberflutung und manipulative Methoden (Dark Patterns), durch personalisierte Angebote und individualisierte Preise. All das geschieht ohne unser Wissen, ist den Unternehmen aber, da sie unsere Profile und Verhaltensweisen kennen, sehr bewusst. Darüber hinaus hat die Kombination aus großen Datenmengen, analytischen Fähigkeiten, Netzwerkeffekten, kontrollierten digitalen Ökosystemen und hohen Kosten für den Wechsel von Anbietern ein digitales Umfeld geschaffen, das zwar dynamisch wirkt, aber in der Regel von starker Konzentration und Marktmacht bestimmt ist.
Das Wettbewerbsrecht in der EU zielt darauf ab, das Wohl der Verbraucher_innen zu verbessern. Wie in einem Bericht des Europäischen Verbraucherverbands BEUC von 2019 betont wird, ist das Wohl der Verbraucher_innen in Europa vielschichtig. Es umfasst nicht nur Preiseffekte, sondern ist auch davon beeinflusst, wie ein unverzerrter Wettbewerbsprozess die Auswahl und die Qualität der Produkte verbessert. In den digitalen Märkten stellen die größten Akteure eine Art Torhüter dar, die den Zugang der Verbraucher_innen zu Produkten, Dienstleistungen und Informationen kontrollieren. Durch Lock-in-Strategien und einen Mangel an konsumfreundlichen, gut funktionierenden Alternativen – vermutlich aufgrund von wettbewerbsfeindlichem Verhalten dieser Torhüter – werden die Verbraucher_innen daher in personalisierte digitale Ökosysteme getrieben.
Das Dilemma der Behörden zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts ist bekannt: Sollen sie darauf vertrauen, dass sich die Märkte ohne Eingriff selbst regulieren? Oder müssen sie angemessene Maßnahmen treffen, um die Verbraucher_innen zu schützen und auf den Märkten jetzt und in Zukunft einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten? Die traditionelle Durchsetzung des Wettbewerbsrechts stößt bei den digitalen Märkten an ihre Grenzen. Es ist deswegen notwendig, Vorschläge zu erarbeiten, wie sichergestellt werden kann, dass die Gesetze und deren Durchsetzung ihren Zweck, die digitalen Märkte verbraucherfreundlicher zu machen, erfüllen können.
In diesem Abschnitt stellen wir aus Sicht der Verbraucher_innen einige Empfehlungen vor, wie die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts optimiert werden kann. Wir beziehen uns dafür auf vergangene Erfahrungen und berücksichtigen die spezifischen Eigenschaften der digitalen Märkte.
Empfehlungen zur Optimierung der wettbewerbsrechtlichen Durchsetzung 1. Einen ganzheitlichen Ansatz gegenüber digitalen Märkten einnehmen: In den digitalen Märkten sind Maßnahmen, die dem eigenen Vorteil dienen, einflussreicher als je zuvor: Ein Unternehmen, das in einem Markt dominant ist, kann seine Macht in einem angrenzenden Markt beispielsweise dazu nutzen, Wettbewerber zu verdrängen. Der Fall von Google Shopping, einem Dienst zum Vergleich von Einkaufsseiten, zeigt genau das. Google hat seine Marktmacht als dominante Suchmaschine dazu genutzt, den Marktanteil seines eigenen Vergleichsportals zu erhöhen. Crémer et al. betonen in ihrem Bericht an die Europäische Kommission daher die Notwendigkeit, statt zu sehr auf die Analyse der Marktdefinition zu fokussieren, Theorien der Schädigung und die Bestimmung wettbewerbsfeindlicher Strategien stärker miteinzubeziehen. Aus Perspektive der Verbraucher_innen ist das absolut sinnvoll. Wir müssen den digitalen Märkten mit einem holistischen Ansatz begegnen. Das bedeutet, die Behörden sollten sich nicht auf die Marktdefinition beschränken, sondern auch untersuchen, wie Unternehmen und Verbraucher_innen gleichzeitig in unterschiedlichen Märkten interagieren. Sie müssen herausfinden, wie Firmen, die auf einem Markt dominant sind, ihre Marktmacht nutzen können, um auf anderen Märkten, wo diese Dominanz nicht notwendigerweise vorhanden ist, den Wettbewerb zu unterlaufen.
2. Auf Endkonsumentenmärkte mit der Konsumentenbrille schauen: Da die Märkte durch die Digitalisierung der Wirtschaft komplexer werden, ist es wichtig nachzuvollziehen, wie diese neue Marktdynamik die Verbraucherprodukte beeinflusst. Die Behörden können sich nicht ausschließlich auf die Annahme verlassen, dass die Verbraucher_innen gut informiert und vernünftig sind. Im digitalen Zeitalter profitieren viele Unternehmen, die ihre Kenntnisse zum eigenen Vorteil verwenden wollen, vom Verhalten der Verbraucher_innen (z. B. indem sie die Zahlungsbereitschaft der Menschen einschätzen oder sie mit Waren oder Werbung für Produkte versorgen, die sie laut der von den Unternehmen erstellten Konsumprofile voraussichtlich kaufen werden). Aufgrund der nahtlosen Integration von Systemen zur Erhebung, Weitergabe und Verarbeitung von Daten mit Technologien zur Analyse und Beeinflussung von Verhalten können Verbraucher_innen in einem Teufelskreis von Überwachung und Verhaltensanalyse gefangen und hin zu einem kommerziell wünschenswerten Verhalten gedrängt werden. Gerade deshalb ist es wichtig, sich hier einen Schritt von der ökonomischen Theorie zu entfernen und zu überlegen, wie sich die Verbraucher_innen tatsächlich infolge solcher Unternehmenspraktiken verhalten – Unternehmenspraktiken, die durchaus weit entfernt von dem sein können, was objektiv gesehen im Interesse der Verbraucher_innen liegt. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn die Effektivität der Gegenmittel davon abhängt, dass die Verbraucher_innen bestimmte Konsummuster ändern.
3. Effektive und stärkende Gegenmaßnahmen entwerfen: Im Nachhinein angewendete wettbewerbsrechtliche Gegenmittel könnten allein schon von der Natur digitaler Märkte untergraben werden – insbesondere dann, wenn sich der Markt aufgrund von Missbrauch zugunsten des etablierten Unternehmens entwickelt. Liegt ein solcher Missbrauch vor, könnte ein zunächst effektiv erscheinendes Gegenmittel darin bestehen, ihn einfach zu beenden. Doch werden so kaum die ursprünglichen Marktbedingungen wiederhergestellt, da die Wettbewerber, bei denen es sich in der digitalen Welt oft um Jungunternehmen handelt, bereits erfolgreich aus dem Markt gedrängt wurden. Die Wettbewerbsbehörden müssen daher Gegenmaßnahmen so gestalten, dass ein mögliches Kippen des Marktes, die Rolle von Daten und Netzwerken sowie die Auswirkungen auf Markteintritte und Wachstum berücksichtigt sind. In Fällen, in denen es um Benutzeroberflächen geht, sollten die Behörden Erkenntnisse der Verhaltensforschung in ihre Maßnahmen integrieren, um zu verhindern, dass Unternehmen den Anbieterwechsel von Verbraucher_innen durch ein gezieltes Verkomplizieren des Wechselvorgangs erschweren. Beispielsweise könnte das Generaldirektorat für Wettbewerb der Europäischen Kommission von der Expertise des Gemeinsamen Forschungszentrums über Verhaltensprüfung profitieren oder sogar eine Einheit zur Verhaltensforschung in das Team des Chefökonomen integrieren.
4. Gegenmaßnahmen überwachen und aus vergangenen Erfahrungen lernen: Der Erfolg einer Intervention kann nur durch angemessenes Monitoring und eine nachträgliche Umsetzungsprüfung der Gegenmittel eingeschätzt werden. Es ist wichtig, die Entwicklung der Märkte und des Verbraucherverhaltens regelmäßig zu überwachen, um aus früheren Fehlern zu lernen. Außerdem müssen wir effektive Maßnahmen finden, die als Inspirationsquelle für die Bearbeitung ähnlicher Fälle dienen, zugleich aber in unterschiedlichen Kontexten und Märkten Anwendung finden können. In dieser Hinsicht sind die Verbraucherorganisationen natürliche Verbündete der Wettbewerbsbehörden, da eine ihrer zentralen Aktivitäten darin liegt, die Märkte und die Zufriedenheit der Verbraucher_innen zu überwachen.
5. Befugnisse der Wettbewerbsbehörden ausweiten und mit Ressourcen stärken: Auch wenn die bestehenden Wettbewerbsregeln, die in den EU-Verträgen festgelegt sind, aktiv gegen illegales Verhalten der Marktteilnehmer_innen eingesetzt werden müssen, sind zusätzliche Fähigkeiten zur Marktuntersuchung erforderlich. Sie sollen gewährleisten, dass die Wettbewerbsbehörden über alle erforderlichen Werkzeuge verfügen, die sie im Kampf gegen strukturelles Marktversagen benötigen. Angesichts ihrer strukturellen Eigenschaften ist dies insbesondere bei digitalen Märkten wichtig. Denn an ihnen zeigt sich, dass die Wettbewerbsregeln manchmal schlecht dazu geeignet sind, Probleme wie Monopolisierungsstrategien nichtdominanter Unternehmen oder parallele Ausbreitungsstrategien dominanter Unternehmen, die in eine Vielzahl angrenzender Märkte drängen, zu bewältigen. Außerdem könnten kartellrechtliche Untersuchungen unter den momentanen Regeln zu langsam sein, um eine irreparable Schädigung der Märkte zu verhindern. Mit ihrem Vorschlag des Inception Impact Assessment untersucht die Europäische Kommission gegenwärtig die Möglichkeit, mit einem neuen Wettbewerbsinstrument rechtzeitig zu intervenieren. Dieses neue Instrument würde es der Kommission ermöglichen, strukturelle Wettbewerbsprobleme zu finden und zu beseitigen, die durch das EU-Wettbewerbsrecht nicht effektiv bewältigt werden können. Inspiriert von der Marktprüfungsmacht der britischen Wettbewerbs- und Marktbehörde (Competition and Market Authority) würde das Instrument die Gefahr verringern, dass die Verbraucher_innen durch wettbewerbshemmende Praktiken dauerhaft geschädigt werden.
6. Verbraucherorganisationen einbeziehen: Verbraucherorganisationen können den Wettbewerbsbehörden zeigen, „wo sie graben müssen“. Sie können die Probleme aufzeigen, denen Verbraucher_innen in bestimmten Märkten ausgesetzt sind. Diese Probleme können mit mangelndem Wettbewerb oder wettbewerbsfeindlichem Verhalten zusammenhängen, was wiederum zu Preiserhöhungen führt oder die Auswahl und Qualität der Produkte beeinträchtigt. In einigen Ländern gibt es bereits gute Beispiele einer Zusammenarbeit zwischen Verbrauchergruppen und Wettbewerbsbehörden. So wurden in den Niederlanden und Griechenland Absichtserklärungen zwischen Behörden und Verbraucherorganisationen vereinbart, um formale Kommunikationskanäle zu schaffen. Um die Zusammenarbeit zwischen Verbraucherverbänden und Behörden zu fördern, muss aber noch mehr getan werden. Die Erfahrungen und Bemühungen beider Akteure müssen zusammengeführt werden – beispielsweise bei gemeinsamen Treffen im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzwerks oder der Verbraucherorganisationen selbst. Das würde dazu beitragen, eine Kultur der Zusammenarbeit zu schaffen, in der die Interessen von Behörden, Verbraucher_innen und Unternehmen enger miteinander in Einklang gebracht werden.
Die ergänzende Rolle der Regulierung
Um mit den Eigenschaften digitaler Märkte umzugehen, könnte die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts nicht ausreichen. Es ist deshalb wichtig, die ergänzende Rolle der Regulierung zu erkennen, die ein effektiveres Instrument gegen marktschädigende Praktiken sein könnte. Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden können zusammenarbeiten, was wir auf vielen Märkten – von der Liberalisierung der Energie- und Telekommunikationssektoren bis hin zu den Finanzdienstleistungen – bereits kennen. Nach den Wettbewerbsfällen folgten häufig die Regulierungsbehörden und führten Regeln ein, um die Bedingungen für florierende Märkte zu schaffen. Die EU hat bereits genügend Erfahrungen mit monopolistischem Verhalten. Das zukünftige Gesetz für Digitale Dienstleistungen kann eine Gelegenheit bieten, die Umsetzung des Wettbewerbsrechts in den digitalen Märkten zu ergänzen – beispielsweise dadurch, dass bestimmte Praktiken (wie die Selbstbevorzugung einer dominanten Plattform unter bestimmten Bedingungen) verboten werden oder dass unter klar umrissenen Umständen bestimmte Auflagen stattfinden (beispielsweise die Verpflichtung, innerhalb der sozialen Medien Zugriff auf Schnittstellen zur Programmierung von Anwendungen zu gewähren).
Schlussfolgerung
Viele wettbewerbsrechtliche Fälle in Europa haben gezeigt, dass die Annahme eines „sich selbst korrigierenden Marktes“ nicht mehr überzeugend ist. Dies gilt umso mehr für die digitalen Märkte. Aufgrund der sehr realen Bedrohungen des Wettbewerbs werden die Behörden dazu gezwungen, sich durch intelligente Weiterentwicklung an die neue Lage anzupassen. Dabei müssen sie nicht nur ihre Durchsetzungsprioritäten, ihre analytischen Fähigkeiten und ihre Schadenstheorien erneuern, sondern auch ihre Werkzeuge und Ressourcen anpassen, um diese neuen Herausforderungen bewältigen zu können. Im Zuge dieser Entwicklung muss auch die Notwendigkeit anerkannt werden, über enge, preisbezogene Kartellmaßnahmen hinauszugehen und im Rahmen der einzelnen Fälle die Ziele des EU-Wettbewerbsrechts zu erreichen, die in den EU-Verträgen enthalten sind.Der Text wurde aus dem Englischen übersetzt.
Monique Goyens ist Generaldirektorin bei der Europäischen Verbraucherorganisation BEUC (www.beuc.eu).
Agustin Reyna ist Direktor für juristische und wirtschaftliche Angelegenheiten bei der Europäischen Verbraucherorganisation BEUC (www.beuc.eu).
Bei dem Beitrag handelt es sich um eine gekürzte Vorabveröffentlichung. Die im Beitrag zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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