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Eine digitale Agenda für Europa - Blogbeitrag von Aida Ponce Del Castillo
Dieser Beitrag ist Teil der Blogreihe zum #DigiCap-Kongress vom 15. Bis 19. November 2021 Digitale Agenda für Europas Wirtschaft: – demokratisch • nachhaltig • gerecht.
Um die globalen und durch die Covid-19-Krise teilweise noch verschärften Herausforderungen zu bewältigen, braucht die EU eine digitale Transformation, die mehr als nur einen gemeinsamen Markt schafft. Europa braucht ein digitales Ökosystem, das auf Vertrauen basiert – und das kann nur gelingen, wenn alle Interessengruppen einbezogen werden, einschließlich der Beschäftigten. Die Beteiligung der Arbeitnehmer_innen, sozialer Dialog und Tarifverhandlungen sind Schlüsselelemente eines gerechten, nachhaltigen und zukunftsfesten digitalen Europas.
Die digitale Agenda der EU: ehrgeizige Pläne... Bei ihrem Amtsantritt 2019 erklärte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sie wünsche sich, dass die EU den Übergang zu einem gesunden Planeten und einer neuen, digitalen Welt anführe. In ihrer jüngsten Rede zur Lage der Union betont sie nochmal die Notwendigkeit, „Europas digitale Dekade“ zu verwirklichen und verwies darauf, dass die Corona-Pandemie nicht nur die „zentralen Vorteile der Digitalisierung“, deutlich gemacht habe, sondern auch, dass der „digitale Wandel in Europa weiter beschleunigt werden muss“.
Die Kommission hat vier wichtige Verordnungen vorgelegt, um diese Transformation voranzutreiben: das Daten-Governance-Gesetz, das Gesetz über digitale Dienste, das Gesetz über digitale Märkte und das Gesetz über künstliche Intelligenz (KI). In allen vier geht es um Daten, die als die „Lebensader der wirtschaftlichen Entwicklung“ beschrieben werden.
Das Daten-Governance-Gesetz legt den Schwerpunkt darauf, mehr Daten für eine Weiterverwendung und gemeinsame Nutzung zur Verfügung zu stellen. Die Verordnung führt Konzepte wie „sektor-spezifische Datenräume“ und „Datenaltruismus“ ein — letzterer soll Einzelpersonen motivieren, persönliche Daten für das Wohl der Allgemeinheit bereitzustellen.
Das Gesetz über digitale Dienste aktualisiert hingegen veraltete Verpflichtungen für Onlinevermittler wie soziale Medien oder digitale Marktplätze. Ziel der Verordnung ist es, die Sicherheit für Nutzer_innen zu gewährleisten, illegale Inhalte zu entfernen und Verbrauchergrundrechte im Internet zu schützen. Das Gesetz über digitale Märkte fügt dem eine weitere Ebene hinzu, indem die sogenannten „Gatekeeper“ reguliert werden. Dabei handelt es sich um Plattformen, die eine starke, dauerhafte und gefestigte Vermittlerrolle innehaben (z.B. Amazon Marktplatz, Facebook Messenger oder die App-Stores von Google und Apple).
Das Gesetz über künstliche Intelligenz untersagt bestimmte Einsatzmöglichkeiten von KI und unterwirft KI-Systeme mit hohem Risiko besonderen Vorschriften – alles vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass die breite Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) unser Leben, unsere Arbeit und unsere Gesellschaft radikal veränder. Letztlich steht jedoch auch in diesem Gesetzentwurf der Begriff „Regulierung“ eher für einen Ansatz der „Deregulierung“ und das Werben für eine stärkere Akzeptanz von KI in der Gesellschaft.
Die letzten drei genannten Verordnungen haben auch eine extraterritoriale Dimension – ein klares Zeichen für die Absicht der EU, die Welt mitzugestalten, aber auch die Kontrolle über Europas digitales Umfeld zu behalten. Die digitale Souveränität der EU ist ein zentrales Anliegen der Europäischen Kommission, was nicht zuletzt auch darin begründet sein dürfte, dass mit der Covid-19-Pandemie das sich große Teile des Lebens in Europa sehr schnell digitalisiert haben, wodurch die Macht der Big-Tech-Unternehmen noch gewachsen ist.
...aber wo bleiben die Arbeitnehmer_innen?
Die Gestaltung eines starken digitalen Europas, das in der Lage ist, neue und aufstrebende Technologien zu nutzen und damit Wachstum zu schaffen, sowie Wissensaustausch zu ermöglichen und ökologische Herausforderungen zu meistern, ist begrüßenswert und notwendig. Leider sind die von der Europäischen Kommission in Gang gesetzten digitalen Gesetzesvorhaben von der fixen Ideen geprägt, einen digitalen Markt zu schaffen, in dessen Zentrum nicht Menschen und ein digitales, von Menschen gesteuertes Ökosystem stehen, sondern allein Daten.
Kann die Herangehensweise der Kommission funktionieren? Werden die Bürger_innen einem marktorientieren digitalen Europa vertrauen und es annehmen? Verschiedene Pläne und Strategien sind in Arbeit (z.B. Aktionsplan für Demokratie in Europa, Neue Kompetenzagenda, Aktionsplan zu 5G und 6G, Aktionsplan für digitale Bildung, Jugendgarantie und Verbraucheragenda), die versuchen sollen, bei Bürger_innen und Verbraucher_innen gesellschaftliche Akzeptanz zu erzeugen, aber eine wichtige Gruppe wurde dabei übersehen: die Arbeitnehmer_innen. Der Umstand, dass Arbeitnehmer_innen den Arbeitgeber_innen formal unterstellt sind, bedeutet, dass sich die Beschäftigten de facto in einer eigenen Welt bewegen. Die vier EU-Verordnungen enthalten allerdings keine besonderen Bestimmungen für Arbeitnehmer_innen, machen weder Aussagen über deren Rolle in dieser schönen neuen digitalen Welt, noch zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit.
Wenn Arbeitnehmer_innen in einer digitalen Grauzone bleiben, die nicht ausreichend Schutz und Privatsphäre bietet und in der sie Gefahr laufen, in der digitalen Arbeitswelt durchs Raster zu fallen, dann kann kein Vertrauen entstehen. Plattformbasierte Arbeit ist der Inbegriff dieses Risikos. Die Kommission plant im Dezember eine Gesetzesinitiative zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von auf Online-Plattformen Beschäftigten vorzulegen, nachdem sie die europäischen Sozialpartner zu dieser Frage angehört und das Europäische Parlament eine entsprechenden Entschließung verabschiedet hat.
Bei genauerer Betrachtung der vier oben aufgeführten Gesetzesvorlagen fällt jedoch auf, dass zwar alle eine Rechtsgrundlage für den Binnenmarkt enthalten (Artikel 114 AEUV), keine von ihnen jedoch ein Kapitel zu Beschäftigung. Jeden Tag entstehen neue digitale Dienstleistungen und KI-Anwendungen. Als aktive Nutzer_innen und passive Subjekte dieser Anwendungen sollten Arbeitnehmer_innen deshalb in der Lage sein, die Gesetze darüber, wie diese Dienstleistungen und Anwendungen am Arbeitsplatz umgesetzt werden, mitzugestalten. Algorithmisches Management, das gewisse Managementkomponenten automatisiert, wird durch bestehende Rechtsbestimmungen noch nicht ausreichend begrenzt und reguliert. Algorithmisches Management ist jedoch die treibende Kraft hinter dem Geschäftsmodell der Plattformen. Die Nutzung dieses Modells muss daher diskutiert und möglicherweise unterbunden werden, da es sozialen Schaden verursacht und nicht nachhaltig ist.
Darüber hinaus wird in keinem der Vorschläge die Einbeziehung von Sozialpartnern – und hier besonders der Arbeitnehmer_innenseite – in die von diesen Vorschlägen vorgesehenen Leitungsorgane erwähnt, genauso wenig wie der Beitrag, den die Sozialpartner für die Weiterentwicklung der Rechtsvorschriften leisten können. Die durch das Gesetz über digitale Dienste und das KI-Gesetz geschaffenen Governance-Strukturen stützen sich auf „Expert_innenengruppen“, deren Mitglieder in der Regel eher aus der Industrie als aus der Zivilgesellschaft stammen. Wenn es wirklich das Ziel der Europäischen Kommission ist, ein gerechtes, offenes und sicheres digitales Umfeld zu schaffen, sollten Arbeitnehmer_innen darin als handlungsfähige Akteure und nicht als passive Zuschauer_innen behandelt werden. Es gilt Schutzmaßnahmen zu etablieren, die es Beschäftigten ermöglichen, Technologie und ihren Einsatz mitzugestalten. Wenn Algorithmen Fehler machen – und das kommt vor – muss es möglich sein, solche automatisierten Entscheidungen oder Empfehlungen anzufechten. Bis jetzt ist das nicht möglich. Es bedarf hier also des Zugangs zu Rechtsbehelfen und des Rechtsschutzes. Im Falle des KI-Gesetzes gibt es solche Mechanismen nicht.
Außerdem setzt der von der Europäischen Kommission gewählte regulatorische Ansatz in hohem Maße auf eine Selbstkontrolle seitens der Industrie. Auch hier vertraut das KI-Gesetz auf Konformitätsbewertungen durch interne Überprüfung und Standardisierung – ohne die Erfordernis, unabhängige Dritte damit zu betrauen. Das Gesetz über digitale Dienste erlaubt es sehr großen Online-Plattformen sogar, sowohl systemische Risiken selber zu identifizieren als auch die notwendigen Abhilfemaßen zu definieren. Auch hier muss der Kreis für eine Beteiligung von Bürger_innen, Arbeitnehmer_innen und externen Akteuren geöffnet werden.
Damit der digitale Wandel ein Erfolg wird, muss die Demokratie am Arbeitsplatz und das Gestaltungspotenzial von Arbeitnehmer_innen mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Indem man Beschäftigten ein Mitspracherecht beim Einsatz von Technik am Arbeitsplatz einräumt und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Rechte wahrzunehmen, wird es auch möglich, die disruptiven Folgen neuer Technologien einer gewissen Art von geteilter kollektiver Kontrolle zu unterwerfen. Dann wird Vertrauen greifbar – und genau das ist es, was die Gesellschaft und der digitale Markt brauchen, um gedeihen zu können.
Zur Autorin
Aida Ponce Del Castillo ist „Senior Researcher – Foresight“ am Europäischen Gewerkschaftsinstitut (European Trade Union Institute for Research ETUI).
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