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Migration fungiert oft als "Hülle" für lokale, länderbezogene Probleme

Eine neue FES-Studie untersucht Onlinediskurse zu Migration in allen 28 EU-Ländern. Über die Ergebnisse sprachen wir mit Daniel Fazekas von Bakamo Social.

Bild: Daniel Fazekas von FES

FES: Sie untersuchten die Onlinediskurse zu Migration innerhalb eines Jahres in allen 28 EU-Ländern. Was haben Sie gefunden?

Daniel Fazekas: Wir versuchten die tieferliegenden Erzählrahmen (narrative frames), die für die Migrationsdiskurse charakteristisch sind, zu identifizieren. Hierbei fanden wir fünf Narrative, die im Diskurs der einzelnen EU-Länder präsent waren - allerdings mit unterschiedlichem Umfang und anderer Intensität. Die Narrative Sicherheit und Humanität waren am weitesten verbreitet. Auffällig ist, dass das Narrativ Identität, welches auf die vermeintliche Gefahr des (nationalen) Identititätsverlusts durch Zuwanderung abzielt, oft in Kombination mit dem Sicherheitsnarrativ steht. Diese zwei Narrative ergänzen sich und überlagern gemeinsam die Wirkung des humanitären Narrativs in vielen Ländern. Außerdem beeinflussen sie auch andere – demographische oder ökonomische – Aspekte.

Die Argumente, nach der die Zuwanderung positiv sei, weil sie der Wirtschaft billige Arbeitskräfte sichert und dem Bevölkerungsrückgang in Europa entgegenwirkt, werden durch die Furcht überlagert, dass wir uns die Integration von Migrant_innen nicht leisten könnten und dass Migration die nationale Identität gefährde. Sogar die humanitäre Argumentation hat eine alternative Variante: früher wurde die Unterstützung von Migration als humanitäre Leistung anerkannt. Heute wird viel häufiger gefragt, warum nicht erst die örtlichen Probleme gelöst werden.

Sind die Debatten und Themen eher lokal oder europäisch?

Die Untersuchungen in allen 28 Ländern zeigen, dass sich die Diskurse sehr ähneln. Im Kontext von Migration geht es in fast allen Ländern um persönliche Sicherheit, materielle Sicherheit oder Identität und die Sorge diese Sicherheit zu verlieren. Wir sehen eine tief sitzende Angst, die – unserer Meinung nach – nicht durch Migration entsteht, sondern durch eine schwer definierbare Unsicherheit, die viele Menschen fühlen, wenn sie sich in einer wandelnden Welt umschauen. Diese Unsicherheit lässt sich im Zusammenhang mit Einwanderung sehr einfach erzählen.

Sie behaupten auch, dass die Ängste an ganz lokale Themen gebunden sind.

Migration ist wie eine Hülle. Die tatsächlichen, konkreten Probleme sind lokal und länderbezogen. Man kann gut verfolgen, wie unterschiedliche lokale Themen mit der Migrationsproblematik verbunden werden. Ein Beispiel: Im rumänischen Social Media Diskurs gab es die Debatte, dass Migrant_innen sich noch nicht einmal in Rumänien niederlassen würden. Sie verlassen das Land, so schnell wie möglich; genauso wie die jungen Rumän_innen. Das zeigt das tatsächliche osteuropäische Problem: die massenhafte Auswanderung. Die jungen Menschen entfliehen der Korruption und den fehlenden Perspektiven im Land. Je mehr Menschen gehen, desto aussichtsloser ist die Zukunft der Zurückgebliebenen. Diese Spannung wird auf die Migrant_innen aus Drittländern projiziert.

Wie sollte man auf die von Ihnen untersuchten Diskurse und politischen Akteure reagieren?

Am wichtigsten ist es, dass man nicht so tun darf, als ob alles in Ordnung wäre. Man muss aussprechen, dass wir uns in einem agressiven Kommunikationskrieg gegen die EU und die etablierten politischen Parteien befinden. Darauf muss man reagieren. Humanitäre Argumentationen und die damit verbundenen klassischen Werte haben sich ausgehöhlt. Sie haben keinen konkreten Inhalt. Wenn sich ein_e Politiker_in auf sie bezieht, schafft sie/er eine Distanz zu den Wähler_innen, anstatt eine Gemeinschaft mit ihnen zu übernehmen. Man muss erkennen und akzeptieren, wenn Menschen Angst haben und sich unsicher fühlen. Der Mittelstand lebt wirklich schlechter, die Zukunft der Kinder ist auch unsicherer geworden. Nicht alle können Gewinner_innen der Globalisierung werden. Manche Ängste lassen sich mit rationellen Argumenten nicht lösen, sondern nur mit mehr Zuwendung und Bekämpfung der wirklichen Probleme.

Eine letzte Frage zur Methodik: Wo ist der Unterschied zwischen Social Media Listening im Vergleich zur herkömmlichen qualitativen Inhaltsanalyse?

Social Media Listening macht eine empirische Forschung möglich, in der die gestellten Fragen die Antworten der Diskussionsteilnehmer_innen in keinster Weise beeinflussen. Es ist vielmehr ein gezieltes Zuhören: Die Forschung kann erfassen, was Menschen wirklich denken und glauben, weil sie sich nicht in einer Interviewsituation befinden und sich vollkommen ungefiltert äußern. Diese Art der Forschung hat aber auch Grenzen, weil der Hintergrund der Befragten und ihr sozioökonomischer Status nicht bekannt sind. Dementsprechend sind die Ergebnisse nicht repräsentativ.

Daniel Fazekas ist Mitgründer & CEO des britischen Startups Bakamo Social.

Die Studie in englischer Sprache finden Sie hier.


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