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Anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November sprachen wir mit den Anwältinnen ohne Grenzen.
FES: Gewalt gegen Frauen existiert weltweit. Lässt sich beziffern, wie viele Frauen beispielsweise in Deutschland von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind und wie viele Frauen, um ihr zu entgehen, auf der Flucht sind?
Nizaqete Bislimi-Hošo und Jasmina Prpić:Weltweit sind nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen über 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Etwa die Hälfte aller Geflüchteten sind Frauen und Mädchen. Frauen fliehen nicht nur vor Hunger und Zerstörung, sie fliehen auch vor geschlechtsspezifischen Gewalterfahrungen, die sie bereits in ihren Herkunftsländern gemacht haben und die sich häufig auch auf der Flucht fortsetzen.
Viele dieser Frauen wurden zwangsverheiratet und erlebten in diesem Zusammenhang Gewalt innerhalb der Herkunftsfamilie aber auch durch den Ehemann. Viele Frauen wurden wegen der so genannten „Familienehre“ mit dem Tode bedroht und fliehen deshalb. Auch sind es die Frauen und Mädchen, denen in ihrem Herkunftsland regelmäßig der Zugang zu Bildung und Ausbildung verweigert wird. In Kriegen und gewaltsamen Konflikten wird die Vergewaltigung von Frauen als Kriegswaffe eingesetzt.
Gewalt gegen Frauen ist auch Alltag in Deutschland. Dies beweist der Bericht des Bundeskriminalamtes zur Gewalt in der Partnerschaft, welchen Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey am 20. November 2018 in Berlin anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2018 vorgestellt hat.
Das traurige Ergebnis dieses Berichtes ist, dass jeden zweiten oder dritten Tag ein Mensch durch Gewalt in der Partnerschaft sein Leben verliert. Überwiegend sind Frauen die Opfer dieser Gewalt. 2017 starben 141 Frauen und 32 Männer durch sogenannte Partnerschaftsgewalt. Insgesamt 138.893 Personen, davon 113.965 Frauen, wurden Opfer versuchter und vollendeter Straftaten wie: Mord, Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Bedrohung, Stalking und Nötigung, Zuhälterei und Zwangsprostitution. 82 Prozent der Betroffenen sind Frauen. „Für ein modernes Land wie Deutschland eine unvorstellbare Größenordnung“, so Giffey.
Gewalt an Frauen wurde viel zu lange nicht thematisiert, verschwiegen, tabuisiert. Große Debatten in diesem Bereich wurden nur angestoßen, wenn Menschen mit Migrationhintergrund beteiligt waren. So wie in der Silvesternacht in Köln, in Kandel, wie auch jüngst in Freiburg.
Die Zahlen des Kriminalamtes zeigen aber ein anderes Bild: Mehr als zwei Drittel der Tatverdächtigen in Fällen häuslicher Gewalt sind Deutsche. Gewalt gegen Frauen ist kein und war nie ein ursächlich mit Einwanderung verknüpftes Problem. Die erste repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frauen in der Bundesrepublik Deutschland, „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“, Bestandteil des nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen von 1999, zeigt bereits auf, „dass Gewaltbetroffenheit nicht auf bestimmte Gruppen oder Schichten begrenzt ist“.
In welcher Form äußert sich geschlechtsspezifische Gewalt und wo (privater oder öffentlicher Raum) sind Frauen besonders davon betroffen?
Geschlechtsspezifische Gewalt erfahren Frauen meistens am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit, zu Hause und im Internet. Körperliche, sexuelle und seelische Misshandlungen, die größtenteils in den eigenen vier Wänden stattfinden, werden in der Gesellschaft „häusliche“ Gewalt genannt. Sie ist keine Privatsache, kein Privatproblem, obwohl Gewalt gegen Frauen meistens hinter verschlossener Tür stattfindet.
Und doch behandelt die Gesellschaft Gewalt gegen Frauen noch immer so, als wäre sie genau das: reine Privatsache. Es handelt sich oft um schwerste Straftaten, wie Mord oder Totschlag, aber in der Öffentlichkeit oder der Presse wird über ein „Familiendrama“ berichtet. Die Bestrafung der Täter fällt aufgrund der Partnerschaft der Beteiligten häufig vergleichsweise milde aus. Erst 1997 wurde die Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Um Frauen vor Gewalt zu schützen, braucht es politische und gesellschaftliche Verantwortung und vor allem die angemessene Bestrafung der Täter.
Gegenmaßnahmen, wie ein breites Aktionsprogramm, hat sie Bundesfamilienministerin bereits angekündigt. Ziel sei es, vor allem die Arbeit von Frauenhäusern und ambulanten Hilfs- und Betreuungseinrichtungen auszubauen und finanziell abzusichern. Hierzu will der Bund „ein umfangreiches Förderprogramm auflegen, um von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern einen gesicherten Zugang zu Schutz und Beratung in Frauenhäusern zu gewährleisten“.
Es ist gut, dass mehr Geld für Frauenhäuser vorgesehen ist. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es braucht aber auch und vor allem Aufklärungsarbeit. Und dies nicht nur für die Täter, die, den Angaben zufolge, meist zwischen 30 und 39 Jahre alt, also noch recht jung sind: Männern gerade aus islamisch geprägten Ländern ist oft nicht bewusst, dass Gewalt gegen Frauen in Deutschland eine Straftat ist. Die deutschen Täter müssen sich von überkommenen Geschlechterbildern lösen, wonach der Mann der Haupternährer der Familie ist und damit „das Sagen“ hat und die Frau sich aufgrund ihrer (insbesondere finanziellen) Abhängigkeit seinen Wünschen zu fügen hat. Jedoch brauchen auch die betroffenen Frauen selbst mehr Mut, um ihr Schweigen zu brechen: Nur jede Fünfte wendet sich überhaupt an die Behörden, viele schwiegen aus Angst oder auch aus Scham. Geschlagen und misshandelt zu werden, passt nicht zum Selbstbild einer modernen, starken, selbstbewussten Karrierefrau. Das Leben in einem modernen Staat, in dem laut Art. 3 Absatz 2 des Grundgesetzes Frauen und Männer gleichberechtigt sind, sieht anders aus!
Geschlechtspezifische Gewalt und Verfolgung kann für Frauen auch eine Fluchtursache sein. Inwiefern wird diese vom Asylrecht erfasst und anerkannt?
Die Verfolgung aufgrund des Geschlechts ist in § 3 b Abs. 1 Nr 4 Halbs 4 AsylG normiert. Der Begriff „Geschlecht“ ist in § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dem Verfolgungsgrund „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ zugeordnet. Unter diesem Verfolgungsgrund werden die vielfältigen Formen von Gewalt gegen Frauen erfasst u. a. Verfolgung durch häusliche Gewalt, Verfolgung wegen Verletzung religiöser und kultureller Normen, Verfolgung in Form von Vergewaltigung und sexuelle Gewalt, Verfolgung in Form der Genitalverstümmelung, Verfolgung wegen Verstoßes gegen faktische oder rechtliche Heiratsverbote, Verfolgung in Form der drohenden Zwangsverheiratung, Verfolgung wegen normabweichender Familienplanung, Verfolgung, weil der Frau ein „Ehrenmord“ droht oder Verfolgung, weil die Frau Opfer von Frauenhandel geworden ist.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt zunächst voraus, dass eine Verfolgung durch quasistaatliche und nichtstaatliche Akteure gemäß § 3 b Nr. 3-4 und § 3 c Nr.3 AsylG wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, nämlich der Frauen, festgestellt werden kann. Dann wird geprüft, ob die Behörden des Herkunftslandes den erforderlichen Schutz bieten können oder diesen verweigern, weil die Betroffenen Frauen sind. Weiterhin wird geprüft, ob für die Frauen ein interner Schutz besteht, sie also innerhalb des Herkunftslandes sich eine Existenz aufbauen können. Im Falle einer geschlechterspezifischen Verfolgung wegen häuslicher Gewaltanwendung durch den Ehemann muss die Frau Umstände vorbringen, die darauf hinweisen, dass die Art und Weise der Gewaltausübung durch den Ehemann den männlichen Dominanzanspruch kennzeichnen und somit Ausdruck seiner generellen Einstellung Frauen gegenüber darstellen und nicht nur Ausdruck von Angst und Frust sind.
Gewalt gegen Frauen findet häufig im familiären Bereich statt. Welche Problematik kann sich vor diesem Hintergrund für Frauen im Asylverfahren oder auch nach dessen erfolgreichem Abschluss ergeben?
Im laufenden Asylverfahren ist bereits die Schilderung des Verfolgungsgrundes „häusliche Gewalt“ problematisch. Zum einen, wenn Ausreise und Asylantragstellung gemeinsam mit der Person erfolgt, von der die Gewalt ausgeht. Zum anderen muss der Verfolgungsgrund so früh wie möglich vorgetragen werden. In der Regel also im Rahmen der persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. In vielen Fällen bestehen kulturelle Hemmungen über Vorfälle die innerhalb der Familie geschehen zu sprechen. Diese Hemmung wird verstärkt, wenn die persönliche Befragung durch einen männlichen Anhörer und/oder einen männlichen Dolmetscher durchgeführt wird.
Wenn es gelungen ist, Schutz wegen geschlechterspezifischer Verfolgung durch häusliche Gewalt zu bekommen und die entsprechende Aufenthaltserlaubnis wird erteilt, kann es problematisch werden, wenn etwaige Kinder Unterlagen aus dem Herkunftsstatt benötigen, für deren Ausstellung eine Mitwirkungshandlung des Vaters erforderlich ist.
Anwältinnen ohne Grenzen setzen sich gegen jede Form von Gewalt an Frauen weltweit ein. Wie gehen Sie dabei in Ihrer Arbeit vor?
Trotz aller Fortschritte und Erfolge bei der Bekämpfung von Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Frauen bestehen auch in ganz Europa nach wie vor unübersehbare Unterschiede zwischen der rechtlichen und der faktischen Gleichstellung der Geschlechter. Dies gilt übrigens auch für hoch entwickelte Staaten, in denen oft die Auffassung vertreten wird, Frauen würden zwar in anderen Ländern diskriminiert, jedoch nicht im eigenen.
Aus diesem Grund haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, uns mit Kolleginnen weltweit zu vernetzen und austauschen, Missstände zu benennen, sichtbar zu machen und anzuprangern, sowie Betroffene zu schützen und juristisch zu unterstützen.
Im Einzelnen wollen wir:
Derzeit hat der Verein 63 Mitglieder aus Deutschland und weiteren 31 Ländern.
Nizaqete Bislimi-Hošo ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Migrationsrecht in Essen. Sie stammt aus dem Kosovo und gehört der Minderheit der Roma an. 1993 ist sie als Jugendliche mit ihrer Familie nach Deutschland geflüchtet und hat 13 Jahre im ungesicherten Aufenthaltsstatus gelebt. Seit 2013 ist sie Vorsitzende des BundesRomaVerbandes e. V. der bestehende Roma-Vereine, -Initiativen und -Gruppen unter ein Dach bringt. Frau Bislimi-Hošo setzt sich politisch gegen Abschiebungen und für ein Bleiberecht von Roma ein. Im September 2015 ist ihre Autobiografie „Durch die Wand. Von der Asylbewerberin zur Rechtsanwältin“ erschienen. Seit 2017 ist Frau Bislimi-Hošo Mitglied des Vereins Anwältinnen ohne Grenzen.
Jasmina Prpić, LL.M., die in Bosnien und Herzegowina geborene Juristin arbeitete als Richterin und Rechtsanwältin in ihrer Heimatstadt Banja Luka. Nach Ausbruch des Krieges im ehemaligen Jugoslawien 1992 kam sie als Kriegsflüchtling nach Deutschland und lebt seitdem in Freiburg. Mit Kolleginnen verschiedener Herkunft gründete sie 2007 den Verein „Anwältinnen ohne Grenzen e.V.“ deren Vorsitzende sie 10 Jahre lang blieb und zurzeit die Funktion der ehrenamtlichen Geschäftsführerin inne hat. Zwischen anderen Auszeichnungen wurde sie für ihr ehrenamtliches Engagement mit dem Preis Frauen Europas 2012 der Europäischen Bewegung Deutschlands (EBD) geehrt.
Wenn Sie mehr über die Arbeit der "Anwätinnen ohne Grenzen" erfahren oder sie bei Ihrer Arbeit unterstützen wollen, finden Sie alle wichtigen Informationen auf ihrer Homepage.
Ein Kurzfilm über die Herausforderungen von Frauen und Familien in Indien, deren Männer auf der Suche nach Arbeit migriert sind.
Nisren Habib über sexualisierte Gewalt in Massenunterkünften, Anliegen geflüchteter Frauen und Möglichkeiten, ihre Integration zu fördern.
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