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Zongyuan Zoe Liu ist eine der renommiertesten Expertinnen zur Rolle verschiedener Währungen im internationalen Handel und an den internationalen Finanzmärkten. Im ausführlichen Zeitenwende-Interview antwortet sie auf die Frage, ob die Zeit der globalen Dominanz des US-Dollars vor dem Ende steht.
Die Fragen stellte Hanna Voss.
Frau Liu, vielleicht beginnen wir mit einem Überblick, was Entdollarisierung eigentlich bedeutet und warum sie seit einigen Jahren immer stärker in den Fokus des Interesses rückt.
Gern. Ich denke, dass Entdollarisierung zwei Seiten hat, einmal im Hinblick auf die Wirtschaft eines einzelnen Landes und dann im Hinblick auf das globale Finanzsystem oder auf den globalen Kontext. Auf die Wirtschaft eines Landes bezieht sich Entdollarisierung auf bestimmte Länder, die den US-Dollar nicht selbst drucken, aber eine auf dem Dollar basierende Wirtschaft haben. Es sind also Nicht-US-Länder, die den US-Dollar als Währung im eigenen Land als Zahlungsmittel oder Recheneinheit, ihren jeweiligen Konditionen entsprechend, nutzen. Manchmal ist dies gekoppelt an Finanz- und Währungsschwierigkeiten, und wenn die Umstände sich dann bessern, werden die Länder wieder weniger dollarisiert. Das, was aber beunruhigender im Hinblick auf die Entdollarisierung ist, finden wir im globalen Kontext oder in der so genannten Dollarisierung des globalen Finanz- oder Wirtschaftssystems. Es geht einher mit dem Status des US-Dollars als dominanter Währung im globalen Wirtschafts- und Finanzsystems und diese Dominanz ist deutlich quer durch unterschiedliche Bereiche sichtbar, darunter internationaler Handel, Devisenverkehr, internationales Finanzwesen, Entwicklungsfinanzierung, Aktienmärkte und die Rolle des Dollars als sichere Zufluchtswährung in Krisenzeiten.
Wie wir auch nach der russischen Invasion der Ukraine beobachten konnten, als viele Währungen an Wert verloren, der Dollar aber anzog. Zu welchem Zeitpunkt in der Geschichte begann die Vormachtstellung des Dollars und wann setzte er sich so allgegenwärtig durch?
Der genaue Zeitpunkt, wann der US-Dollar die vorherrschende Währung im internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem wurde, ist Gegenstand vieler Diskussionen, denn der Status als Leitwährung bedeutet, dass der Dollar die Reservewährung der Welt ist, die wichtigste Währung zur Abwicklung im Handel und für die Rohstoffpreise, die führende Währung in der internationalen Finanz- und Entwicklungsfinanzierung und dann auch die erste Wahl als Krisenwährung. Allgemein sagt man, dass der Dollar in der Folge des Zweiten Weltkriegs bei der Bretton Woods Conference 1944 die globale Reservewährung wurde. Doch Wissenschaftler wie Barry Eichengreen und Marc Flandreau betonen, dass der Dollar das Pfund ablöste und schon Mitte der 1920er die führende Reservewährung wurde, aber die Abwertung des Dollars 1933 dazu führte, dass das Pfund diesen Platz wieder einnahm. Im Hinblick auf die Nutzung des US-Dollars im Bereich Rohstoffpreise und -handel, besonders im globalen Erdölmarkt, kann es auf 1975 datiert werden, als Saudi-Arabien und die Vereinigten Staaten ein Abkommen für Ölverkäufe ausschließlich in US-Dollar unterzeichneten. Saudi-Arabien drängte die OPEC dazu, das Gleiche zu machen und bis Ende 1975 hatten alle OPEC-Mitglieder zugestimmt, den Ölpreis in Dollar festzusetzen. Das damalige Abkommen ging mit US-Sicherheitsgarantien einher, daher die enge Verbindung von Dollar – Öl – Sicherheit. Die Entscheidung der OPEC, den Ölpreis ausschließlich in Dollar festzusetzen, markierte einen wichtigen Moment, für die Entwicklung des Dollars zur dominierenden Währung in der Weltwirtschaft.
Was wären Ihrer Einschätzung nach die wichtigsten Faktoren, die den Trend der weltweit zu beobachtenden Entdollarisierung beeinflussen? Oder fragen wir zunächst so: Nehmen Sie diesen Trend auch wahr?
Es gibt einen Unterschied zwischen Entdollarisierung und dem Gebrauch regionaler Währungen. Entdollarisierung meint eine systematische Reduzierung des US-Dollars im Weltfinanz- und Handelssystem und eine Verringerung des US-Dollars als Zentralbankreserve. Im Moment lässt sich ein Anstieg bei der Nutzung anderer Währungen, wie den chinesischen Renminbi, im internationalen Handel und bei Investitionen beobachten. Das ist aber nicht unbedingt mit einer Entdollarisierung gleichzusetzen. Der US-Dollar dominiert immer noch das internationale Finanzsystem, die Rohstoffpreise und andere entscheidende Bereiche. Auch wenn es einen globalen Trend zur Nutzung alternativer Währungen, allen voran den Renminbi, gibt, bleibt es wichtig anzumerken, dass es momentan nichts mit einer globalen Entdollarisierung oder eine Entmachtung des US-Dollars Vergleichbares gibt. Doch die Geschichte zeigt uns, dass es keine Garantie gibt, dass der Dollar seine Vormachtstellung für immer wird halten können.
Eine stärkere Nutzung lokaler Währungen führt also nicht automatisch zu einer systematischen Entdollarisierung?
Ja, genau, es gibt einen Unterschied zwischen beiden. Lokale Währungen häufiger im internationalen Handel zu nutzen, ist nicht unbedingt mit einer systematischen Entdollarisierung gleichzusetzen. Das internationale Finanzsystem ist umfangreich und kann mehrere Währungen, sowohl regionale als auch globale, beinhalten. Auch wenn es einen Trend gibt, lokale Währungen besonders im regionalen Handel zu nutzen, bedeutet das keine Ersetzung des US-Dollars. Obwohl es die weltweit größte Handelsnation ist, nutzt sogar China den US-Dollar noch in weiten Teilen für seine Import- und Export-Aktivitäten. Dies zeigt sich vor allem im Bereich Erdölhandel, wo China immer noch ganz auf den US-Dollar baut. Der Dollar bleibt also in allen wichtigen Bereichen der globalen Finanzmärkte führend. Hinzu kommt, dass viele Volkswirtschaften weiterhin dollarisierte Wirtschaften sind und ihre Hauptexporte, wie Rohstoffe, immer noch in Dollar gehandelt werden.
Welche geopolitischen Entwicklungen treiben ihrer Ansicht nach diesen Trend, vor allem in Ländern wie Russland, Iran und weiteren?
Die Ursache für die aktuelle Beschleunigung der Entdollarisierung liegt in den geopolitischen Entwicklungen und Sanktionen. Länder wie Russland, Iran und andere haben aufgrund ihrer Bedenken, Sanktionen unterworfen zu werden oder den Zugang zum Dollar-basierten Finanzsystem zu verlieren, aktiv nach Alternativen zum US-Dollar gesucht. Geopolitische Spannungen haben eine bedeutende Rolle dabei gespielt, diese Entwicklung voranzutreiben. Doch es gibt auch berechtigte ökonomische Gründe dafür, lokale Währungen im internationalen Handel zu nutzen, vor allem wenn Länder in viel Handel miteinander betreiben. Die ökonomischen Gründe sind etwa, die Transaktionsgebühren wie auch das Währungskursrisiko niedrig halten zu wollen. Außerdem ziehen es Länder vor, Kapital in lokalen Währungen zu beschaffen, wenn sie dadurch die Inkongruenz zwischen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten verringern können, die ein weiterer wirtschaftlicher Grund dafür sein können, eher lokale Währungen als den US-Dollar zu nutzen. Die wirtschaftlichen und geopolitischen Faktoren sind im Prozess der Entdollarisierung miteinander verwoben.
Außer dass einzelne Länder ihre eigene Währung nutzen, gibt es noch Zusammenschlüsse wie BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika). Vor kurzem wurde beschlossen, sechs weitere Länder, darunter Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Iran, als Mitglieder aufzunehmen. Was bedeutet das für den internationalen Finanzmarkt und die Vormachtstellung des Dollars?
Die Erweiterung der BRICS durch Hinzunahme wichtiger Energieexporteure wie Saudi-Arabien, die VAE und Iran verbessert die nominale Bedeutung der BRICS als Energie- und Finanzpartnerschaft. Länder wie Iran, Russland und China haben eine starke Motivation, ein alternatives Währungssystem zu entwickeln, aufgrund ihrer Sorge vor Sanktionen und davor, aus dem Dollar-basierten System ausgeschlossen zu werden. Diese Erweiterung vergrößert zugleich das Potenzial für die Nutzung von Nicht-Dollar-Währungen bei Energiepreisen, -handel und -abrechnung. Die Erweiterung der BRICS mit der Hinzunahme von neuen Energiemächten könnte dazu führen, dass alternative Märkte für den Energiehandel, sowohl für Erdöl wie auch für Erdgas, entstehen. So hat sich beispielsweise der 2018 gegründete, in Renminbi gehandelte Öl-Futures stark entwickelt. Die chinesische Regierung ist auch stark daran interessiert, die Nutzung des Renminbi für den Erdgashandel voranzutreiben.
Doch diese Erweiterung bedeutet lediglich ein „nominales“ Gewicht, da die BRICS-Mitgliedsstaaten nicht alle in gleichem Maße Interesse und Möglichkeiten haben, die Entdollarisierung zu beschleunigen. Indien rückt aktuell beispielsweise eher näher an den Westen und tendiert daher mit Blick auf wichtige Bereiche, darunter Sicherheit, Handel und Finanzmärkte, zu einer anderen Strategie als China. Da die BRICS eine konsensbasierte Gruppe bilden, ist es unwahrscheinlich, dass die erweiterte Gruppe darauf hinarbeiten wird, den Dollar zu entthronen. Sie haben jedoch abgesehen davon ein gemeinsames Interesse daran, den Gebrauch lokaler Währungen für den Handel und die Entwicklungsfinanzierung zu stärken. Die Einbeziehung Saudi-Arabiens wird auch der New Development Bank, bei der die VAE schon Mitglied sind, zusätzliches Gewicht verleihen.
Was sind potenzielle Vorteile für einen Staat, die Entdollarisierung aktiv zu verfolgen?
Da gibt es mehrere. Zuerst einmal kann die Nutzung der eigenen Währung Transaktionskosten im internationalen Handel verringern und das Währungskursrisiko abmildern. Davon können sowohl der Handel als auch die Wirtschaft eines Landes profitieren. Zweitens kann es dem Land eine größere Autonomie verleihen, da es nicht länger von der US-dominierten Infrastruktur und deren Bestimmungen abhängig sein muss. So entsteht eine größere Kontrolle über das eigene Finanzsystem. Und schlussendlich ist da ein Element von Prestige und Souveränität, wenn die eigene Währung in internationalen Zusammenhängen eine wichtigere Rolle spielt.
Lassen Sie uns annehmen, dass, vielleicht auch nur im Kleinen, eine Art von Entdollarisierung eintritt. Was bedeutet das für die Geldpolitik eines Landes und die Zentralbanken? Wie würden die Zentralbanken auf diese Änderung der Finanzlandschaft reagieren?
Ein Szenario der Entdollarisierung, wie Sie es beschreiben, hätte tatsächlich deutliche Auswirkungen auf die Geldpolitik und die Zentralbanken weltweit. Man könnte sagen, zurzeit dient die amerikanische Federal Reserve als Zentralbank der Welt. Wenn die Federal Reserve Entscheidungen trifft, wie zum Beispiel eine Erhöhung des Leitzinses, hat das in der ganzen Welt weitreichende Folgen. So hatten beispielsweise bei der Bewältigung der Finanzkrise 2007–2008 die quantitative Lockerung und das spätere Tapering, die Verlangsamung und der Ausstieg aus dem Anleihenankauf, einen direkten Einfluss auf die Volkswirtschaften in der ganzen Welt. In der Vergangenheit waren viele Krisen in den Emerging Markets mit der Stärke des Dollars und US-Zinserhöhungen verbunden. Ein stärkerer Dollar und US-Zinserhöhungen zwingen die Entwicklungsländer, ihre Geldpolitik zu straffen, um ihre eigenen Währungen zu schützen und sich gegen den Inflationsdruck abzusichern. US-Zinserhöhungen lassen auch die Kreditkosten in US-Dollar steigen wie auch die Kosten für die Bedienung von Schulden, die auf Dollar laufen.
Oft sehen wir, wie andere Zentralbanken, etwa die Europäische Zentralbank (EZB), die Bank of Japan und die Bank of England, ihre Geldpolitik eng an die der Federal Reserve anpassen. Schreitet die Entdollarisierung jedoch deutlich voran, so könnte sich die Bedeutung der Federal Reserve verringern. In solch einem Szenario müssten die Zentralbanken verschiedener Länder ihre Strategien wie auch ihre Geldpolitik ändern.
Hinzu kommt noch, dass die Möglichkeit für die US-Regierung, Geld zu guten Konditionen zu leihen, abnehmen könnte, was wiederum nicht nur auf die USA, sondern auf das ganze Finanzsystem Einfluss haben könnte. Aus einer geopolitischen Perspektive könnte der Status des US-Dollars als ein Mittel dafür, Sanktionen durchzusetzen, geschwächt werden, was auch einen Einfluss darauf hätte, wie sich Staaten in internationalen Beziehungen verhalten.
Und wann könnten wir rein theoretisch tatsächlich von einer systematischen Entdollarisierung sprechen?
Das dramatischste Szenario, das eine Entdollarisierung anzeigen könnte, wäre das Ende des Dollar-basierten Finanzsystems. Das würde eine systematische Wertminderung des US-Dollars gegenüber führenden Währungskörben und einen deutlichen Verlust an Vertrauen in das US-Finanzsystem beinhalten. In solch einem Szenario würden andere Währungen und alternative Finanzsysteme immer dominanter werden. Doch es ist wichtig anzumerken, dass solch ein Szenario unwahrscheinlich bleibt, solange das US-Finanzsystem im Großen und Ganzen bestehen bleibt, US-Staatsanleihen weiterhin weltweit als risikoarmer Maßstab dienen, die US-Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt, der US-Markt beständig attraktiv ist und internationale Investoren weiterhin ihr Vertrauen in die US-Wirtschaft setzen. Zurzeit ist eine graduelle Verschiebung mit dem Anstieg alternativer Finanzinfrastrukturen und -instrumenten zu beobachten, aber dies bedeutet, wie gesagt, keine systematische Entdollarisierung und auch keinen Versuch, den Dollar zu entthronen.
Einige äußern die Kritik, dass die Vereinigten Staaten heute den US-Dollar als Waffe nutzen, indem sie Staaten und Organisationen Sanktionen auferlegen, wodurch sie ihnen im Endeffekt den Zugang zum Dollar-basierten Finanzsystem versperren. Welchen Einfluss hat das auf den Trend der Entdollarisierung und was bedeutet es konkret?
Den US-Dollar durch Sanktionen als Waffe zu nutzen, hat tatsächlich eine bedeutende Rolle dabei gespielt, dass die Entdollarisierung mit Blick auf das Erstarken einer alternativen Finanzstruktur fortgeschritten ist, die durch Staaten vorangetrieben wurde, welche eher Gefahr laufen, sanktioniert zu werden. Wenn die Vereinigten Staaten Sanktionen gegen einen Staat oder eine Organisation verhängen, dann begrenzt dies häufig den Zugang zum Dollar-basierten Finanzsystem. Das kann das Einfrieren von bei US-Banken liegenden Vermögenswerten beinhalten und so die Möglichkeiten begrenzen, Vermögenswerte durch das Dollar-basierte Finanzsystem rund um den Globus zu bewegen oder internationalen Handel mit Dollar zu betreiben, wie auch das Sperren des Zugangs zu internationalen Geldmitteln.
Als Antwort darauf haben sanktionierte Staaten aktiv nach Alternativen zum US-Dollar gesucht, um einerseits die Sanktionen zu umgehen und andererseits ihre Abhängigkeit von der US-dominierten Finanzinfrastruktur zu verringern. Dies hat zu Bestrebungen geführt, stärker lokale Währungen zu nutzen, Digitalwährungen auszuloten, Alternativen zu SWITFT-CHIPS (wie Russlands SPFS und Chinas CIPS) zu entwickeln und zu fördern sowie wirtschaftliche Verbindungen zu Ländern zu stärken, die weniger vom Dollar abhängig sind.
Was könnte das für Folgen haben?
Dies bedeutet zweierlei. Zunächst kann es die Effektivität von US-Sanktionen untergraben, weil Staaten Wege finden, sie zu umgehen. Zweitens verstärkt es den Trend der Entdollarisierung, da mehr Staaten versuchen, einem alternativen System anzugehören, um gegen potenzielle Sanktionen gewappnet zu sein, da immer mehr Staaten sich vor der Nutzung des US-Dollars als Waffe in der internationalen Politik schützen wollen. Das unterstreicht, wie wichtig es ist, die geopolitischen Dimensionen der Entdollarisierung zusätzlich zu den ökonomischen Faktoren zu bedenken.
Der ehemalige US-Finanzminister Jack Lew hat auch hervorgehoben, dass je mehr Sanktionen genutzt werden, umso mehr Staaten motiviert werden, Alternativen zum US-Dollar auszuloten. Dies unterstreicht die Idee, dass die Nutzung des US-Dollars als Waffe auf wirtschaftspolitischer Ebene zu einer Beschleunigung der Entdollarisierung beitragen kann. Es ist ein komplexes und dynamisches Phänomen, das sorgfältiger Beachtung von politischen Entscheidungsträger:innen wie auch Marktteilnehmern bedarf.
Welche Rolle spielen digitale Währungen wie Digitales Zentralbankgeld (engl. Central Bank Digital Currency – CBDC) und Kryptowährungen im Kontext der Entdollarisierung?
Wenn wir die Landschaft der Digitalwährungen betrachten, ist es äußerst wichtig, zwischen Kryptowährungen und Digitalwährungen der Zentralbanken zu unterscheiden. CBDCs wie Chinas digitaler Yuan zeigen den Versuch, digitale Alternativen zu auf Papiergeld basierenden Fiatwährungen wie dem US-Dollar zu etablieren. Selbstverständlich sind sie immer noch Teil des jeweiligen lokalen Währungssystems wie dem Renminbi. Kryptowährungen hingegen wie Bitcoin und Ethereum operieren in einem ganz eigenen Bereich und sind Gegenstand von Spekulationen wie auch staatlicher Regulierung ausgesetzt. Sie sind an keine spezifische nationale Währung gebunden, was einzigartige Herausforderungen und Möglichkeiten mit sich bringt. Die wichtigste Herausforderung in der Welt der Kryptowährungen ist, dass sie kompatibel werden – die Fähigkeit erlangen, dass eine Kryptowährung nahtlos in eine andere umgewandelt werden kann und über die Plattformen hinweg Transaktionen vollzogen werden können. Zurzeit ist dies eine unüberwindbare Hürde, so dass Kryptowährungen die Vormachtstellung des US-Dollars im internationalen Finanzsystem noch nicht infrage stellen können.
Gibt es historische Beispiele für eine Entdollarisierung, die Staaten oder Regionen erfolgreich durchgeführt haben, und wenn ja, was können wir von ihnen lernen?
Historisch gesehen gibt es keine Beispiele für erfolgreiche Bemühungen zur Entdollarisierung, aber es gab aufgrund besonderer Umstände erfolgreiche regionale Währungstausch-Vereinbarungen. Die erste war die Chiang-Mai-Initiative, die von den ASEAN plus drei Ländern im Mai 2000 im Schatten der asiatischen Finanzkrise 1997–1998 aufgesetzt wurde.
Doch es ist wichtig zu betonen, dass regionale Entwicklungen die Vormachtstellung des Dollars als Leitwährung im internationalen System nicht aufheben. Die Lehren, die aus diesen Beispielen gezogen werden können, beinhalten, dass eine systematische Entdollarisierung herausfordernd sein kann und eine gründliche Koordination der Geld- und Finanzpolitik erfordert und es auch zusätzlichen Anstrengungen bedarf, Vertrauen in die lokalen Währungen und in die jeweiligen Volkswirtschaften aufzubauen.
Aber besteht nicht auch die Gefahr, dass wir die Folgen einer Entdollarisierung unterschätzen, solange wir sie für unrealistisch halten und zu starkes Vertrauen in den Dollar setzen?
Die Entdollarisierung ist ein vielschichtiger Prozess mit Folgen für das globale Finanzsystem. Auch wenn es einen Trend gibt, lokale Währungen und alternative Formen digitaler Währungen im internationalen Handel stärker zu nutzen, bleibt die Vormachtstellung des US-Dollars in Bereichen wie internationale Finanzmärkte, Rohstoffpreise und als eine sichere Währung deutlich. Der Trend zeigt aber auf, dass das globale Finanzsystem nicht statisch ist und Staaten wie auch Regionen Alternativen erkunden, um ihre Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern.
Es ist dennoch elementar wichtig, vorsichtig mit der Annahme zu sein, dass die Vormachtstellung des Dollars akut in Gefahr ist. Die genauen Zeitabläufe und der Umfang einer Entdollarisierung werden von Expert:innen kontrovers diskutiert, wobei einige davon ausgehen, dass es ein bedeutsames und nicht sehr wahrscheinliches Ereignis bräuchte, um den US-Dollar zu entthronen. Doch auch wenn die Vormachtstellung des Dollars anhält, sollten wir sie ganz sicher nicht als selbstverständlich hinnehmen.
Wenn wir zurzeit auch keine systematische Entdollarisierung beobachten können, lässt sich doch deutlich der Trend ablesen, dass Staaten unterschiedliche Währungen im internationalen Handels- und Finanzsystem nutzen. Die Rolle des US-Dollars wird sich langsam weiterentwickeln, und es ist für politische Entscheidungsträger:innen, Unternehmen und Investor:innen unabdingbar, diese Entwicklungen zu verfolgen und sich an mögliche Veränderungen in der globalen Finanzlandschaft anzupassen. Die Vormachtstellung des Dollars ist, wenn auch langanhaltend, so doch nicht unvergänglich, und seine zukünftige Rolle hängt von unterschiedlichen ökonomischen und geopolitischen Faktoren ab. Die deutlichste Gefahr für die Vormachtstellung des Dollars liegt jedoch in der US-Wirtschaft und der US-Innenpolitik.
Zongyuan Zoe Liu ist Maurice Greenberg Fellow for China Studies am Council on Foreign Relations, Autorin von „Can BRICS De-dollarize the Global Financial System“ ([Kann BRICS das globale Finanzsystem Entdollarisieren] Cambridge University Press, 2022) und „Sovereign Funds: How the Communist Party of China Finances Its Global Ambitions“ ([Staatsfonds: Wie die Kommunistische Partei Chinas ihre globalen Ansprüche finanziert] Harvard University Press, 2023).
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