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Migration – eine feministische Perspektive

Aus einer grenzkritischen, feministischen Perspektive beleuchtet dieser Artikel die Politiken von Gewalt im Rahmen von Migration und Asyl. Er untersucht die Verantwortung, die feministischen Bewegungen bei der Gestaltung einer alternativen, revolutionären Politik zukommt.


Im Kern ist Feminismus ein revolutionärer Rahmen, der sich für Menschen am Rande der Gesellschaft einsetzt und eine revolutionäre Politik der Gerechtigkeit, Solidarität und Emanzipation einfordert. Daher kann feministische Theorie auch wichtige Fragen im Bereich Migration, Asyl und Grenzen aufgreifen, um Konzepte von Nation, Ethnizität, Klasse, Sexualität, Kolonialismus und Krieg zu dekonstruieren.

Feministische Beiträge zu Grenzen und Migration finden sich in den Werken vieler Theoretiker_innen, insbesondere von postkolonialen, Schwarzen, Chicana- und Dritte-Welt-Feminist_innen, die sich intensiv mit den Themen Grenzen und Migration auseinandersetzen.

In Borderlands (La Frontera) zeigt Gloria Anzaldúa auf, wie Grenzen über Länder, Individuen und Gemeinschaften hinweg durchgesetzt werden. Sie thematisiert die psychologischen und emotionalen Folgen des Lebens in Grenzregionen und gibt Erzählungen über Migration und Grenzen ein menschliches Gesicht. Dabei dekonstruiert sie den rechts-konservativen Diskurs durch eine feministische Perspektive, die die kapitalistischen, patriarchalen und kolonialen Strukturen hinterfragt, welche Räume und Körper eingrenzen und verhindern, dass letztere sich ungehindert über Grenzen hinweg bewegen können.

In ihrem Buch Undoing Border Imperialism stellt Harsha Walia wichtige theoretische Ansätze zu Grenzen und Migration vor. Sie untersucht die Rolle, die der kolonialen Besiedlung und dem Kapitalismus bei der Aufteilung von Völkern entlang gewalttätiger Hierarchien zukommen. Sie arbeitet heraus, wie entlang dieser Hierarchien Legitimität zugewiesen wird – und wie dadurch Körper in einer Position der Ausbeutung und Unterdrückung gefangen bleiben, während im Gegenzug Land und Ressourcen geplündert werden.

Fiktive Grenzen und kontrollierte Körper

Grenzen sind Produkte des Kolonialismus und des modernen Staates. Als solche basieren sie in erster Linie auf den Werten und Ideologien unterdrückerischer Systeme wie dem Patriarchat, dem Kapitalismus und dem Kolonialismus. In diesem Sinne entstehen Grenzen durch die Einteilung von Menschen in „legal“ und „illegal“. Dadurch entstehen Hierarchien durch die – unter dem Vorwand von Nationalismus und Patriotismus – eine umfassendere Kontrolle angestrebt wird. Wir müssen genau die Werte abbauen, die zur kolonialen und kapitalistischen Ausplünderung führen; die die Welt in hegemoniale, von Stacheldraht umgebene Schutzgebiete verwandeln, in Gebiete, die von Kriegsminen, Plünderungen, Vertreibungen und Umweltzerstörung heimgesucht werden.

Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte sind Menschen in ständiger Bewegung – sie wandern aus oder wechseln ihren Wohn- und Aufenthaltsort aufgrund politischer, wirtschaftlicher oder ökologischer Bedingungen oder aus sozialen und persönlichen Gründen. Vor dem Aufkommen der modernen Grenzen wurde diese Bewegung nicht durch gewalttätige Strukturen eingeschränkt, die Menschen kontrollieren, jagen, einsperren oder zwingen, in das Schicksal zurückzukehren, vor dem sie geflohen sind. Das soll uns an die Überlappung von Gewaltsystemen und an die physischen und symbolischen Grenzen erinnern, die geschaffen wurden, um Macht zu vergrößern und disziplinarischen Terror zu verbreiten. Stacheldraht, Grenzmauern und Passierscheine, die unsere Legitimität in Frage stellen, sind den Grenzen ähnlich, die von patriarchalen Systemen gesetzt werden und den Regeln, die die Systeme den Körpern auferlegen, um sie einzugrenzen und zu kontrollieren. Diese Umstände versetzen feministische Bewegungen in eine kritische Position, nicht nur gegenüber solchen Gesetzen, die die Bewegungsfreiheit einschränken und Migrant_innen und Geflüchtete kriminalisieren, sondern auch gegenüber Grenzen selbst sowie an den Systemen, die sie produzieren und reproduzieren.

Globaler Kapitalismus und gewaltsame Vertreibung

Viele feministische Theoretiker_innen setzen sich mit Grenzen und Migration im Kontext des globalen Kapitalismus, der Umweltvertreibung und des Kolonialismus auseinander. Sie untersuchen insbesondere, wie der Kapitalismus mit der Verlagerung der Produktion vom Norden in den Süden zunehmend prekäre Lebensbedingungen, niedrige Löhne und gefährliche Arbeit im globalen Süden schafft – Veränderungen, von denen Frauen besonders betroffen sind. Dieser Prozess hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, da Frauen, die in diesen Sektoren arbeiten, gegen ihre Umstände aufbegehren und versuchen, Organisationen zu gründen, die ihre Anliegen vertreten. So wird die Feminisierung der Migration immer wieder thematisiert: Frauen wandern aus, um an anderen Orten Hausarbeit zu verrichten und die Kinder anderer Frauen aus der Mittelschicht und dem Bürgertum zu betreuen, die sie für diese Pflege- und Betreuungsarbeit anstellen. Die Länder unserer Region sind bekannt dafür, systematische Gewalt gegenüber ausländischen Arbeitskräften (darunter vielen Frauen) anzuwenden. Das gilt besonders für Länder des Nahen Ostens wie dem Libanon und den Golfstaaten, die ein System der Versklavung von Arbeitssuchenden aus anderen Teilen der Welt eingeführt haben (das sogenannte Sponsoring- oder Kafala-System). Dieses System führt zu direkter Versklavung: Den Arbeitskräften werden Ausweispapiere abgenommen, ihre Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt und sie sind sexueller, physischer, psychischer und wirtschaftlicher Gewalt ausgesetzt. Das Kafala-System ist tief im Kapitalismus und im Patriarchat verwurzelt und lebt von nationalstaatlichen Werten. Die Hierarchien, die dadurch entstehen, setzen alle Außenstehenden Gefahr und Verfolgung aus.

Asyl und die Politik der Rechten

Das Leid der Geflüchteten in den Lagern im Libanon, in Jordanien, in der Türkei und in Ägypten ist nur ein Beispiel dafür, wie Menschen aus Syrien, Palästina und dem Jemen unter gewaltsamen Bedingungen leben, meist als Folge der flüchtlingsfeindlichen Politik rechter und autoritärer Regime, die Geflüchtete für wirtschaftliche Krisen verantwortlich machen, um von Ausbeutung und repressiver Politik abzulenken.

In anderen Ländern ist die Situation von Geflüchteten und Migrant_innen nicht besser. Die Küsten Libyens sind voll von Auffanglagern für Menschen, die das Mittelmeer Richtung Europa überqueren wollen. Die Europäische Union finanziert dort Infrastruktur für Migrationssteuerung und Grenzschutz und verlässt sich darauf, dass dadurch die Fortbewegung der Migrant_innen eingedämmt und sanktioniert wird. Letztlich haben sich libysche Auffanglager zu Sklavenmärkten entwickelt, auf denen Frauen, Kinder und Jugendliche, insbesondere aus afrikanischen Ländern, verkauft werden und sexueller, physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt sind, zusätzlich zu der völligen Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit und dem Verbot, ihre Religion auszuüben.

In Marokko wurden bei dem so genannten Massaker von Melilla Migrant_innen aus afrikanischen Ländern getötet und verhaftet. Bei diesem Verbrechen verbanden sich die von der Europäischen Union finanzierte und geförderte Grenzpolitik mit einem bilateralen Abkommen zwischen Marokko und Spanien, dass das Schicksal von Menschen als Ware handelt.

Regionale feministische Bewegungen und revolutionäre Verantwortung

Die Migrations- und Asylsituation ist ein Spiegelbild der bestehenden Systeme, die die Welt regieren – Systeme, die Zwangsumsiedlungen und die kapitalistische Ausbeutung von Land und einheimischen Ressourcen durchsetzen, sowie rassistische Politiken, die auf Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit basieren. Das führt dazu, dass Gesellschaften und Völker gegeneinander ausgespielt werden, während die herrschenden Klassen eine Stabilität genießen, die aus der einwanderungsfeindlichen Ideologie resultiert. Diese Verbrechen sind nicht nur ein Problem für Bewegungen die sich explizit gegen Grenzgewalt und rassistische Einwanderungspolitik einsetzen, sondern auch von feministischen Bewegungen. Der revolutionäre Charakter dieser Initiativen beruht auf Prinzipien und Praktiken, die darauf abzielen, die Systeme abzuschaffen, die Grenzen, rechte Politik und kapitalistische Ausplünderung hervorbringen; Systeme, die nicht nur die Ressourcen der Völker ausbeuten und ihnen vorenthalten, was ihnen rechtmäßig zusteht, sondern auch ökologische Verwüstungen anrichten; Systeme, die Menschen dazu zwingen, auf der Suche nach Sicherheit oder alternativen Ressourcen zu migrieren.

Als Feminist_innen müssen wir uns an einem Diskurs und einer Praxis beteiligen, die gegen Grenzen und rassistische Einwanderungspolitiken ankämpft. Unsere revolutionäre Praxis kann nicht den Anspruch erheben, im Namen von Migrant_innen zu sprechen, noch können wir ihre Anliegen, Gesichter oder Stimmen benutzen, um die diskursive Landschaft zu verschönern oder ein falsches Bild von Intersektionalität zu vermitteln. Stattdessen müssen wir eine Politik und einen Diskurs einfordern, die das Thema Asyl und Migration dekonstruieren, indem sie die Ausbeutung von Ressourcen, den Kolonialismus, die Kolonisierung, die Zwangsumsiedlung und die Zerstörung der Umwelt, der Lebensräume und der Lebensweisen indigener Völker in den Blick nimmt. Wir sind Teil eines kollektiven Kampfes, der Menschen mit Flüchtlings- oder Migrationsstatus in die Ausarbeitung dieser Politik einbezieht und Pläne und Visionen definiert, die ihren Kontext und ihre Bestrebungen als Erfinder_innen umwälzender Veränderungen widerspiegeln.

Feministische Bewegungen in der arabischsprachigen Welt stehen vor großen Herausforderungen, die ihren Diskurs, ihre Grundlagen, ihre Agenda und das Ausmaß, in dem sie die Anliegen marginalisierter Gruppen wie Geflüchtete, Einheimische, Hausangestellte und ausländische Arbeitskräfte einbeziehen, in Frage stellen. Dies gibt uns den Anstoß, unser anhaltendes Engagement für revolutionäre feministische Grundsätze zu bekräftigen. Diese zielen auf einen radikalen Wandel ab, der die Strukturen ersetzen soll, die Hierarchien und Gewalt erzeugen und festigen, um alternative Gesellschaften und Systeme zu schaffen, in denen alle frei leben können und die gleichen Möglichkeiten haben, sich zu bewegen, zu leben und niederzulassen.

 

Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen der Gastautorin spiegelt nicht die Haltung der Redaktion oder der Friedrich-Ebert-Stiftung wieder.


Über die Autorin

Souad Swailem ist eine Feministin, die sich für die Dokumentation alternativer Erzählungen und die Analyse von feministischen und queeren Themen an der Schnittstelle von Patriarchat, Kolonialismus und Kapitalismus interessiert.


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