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Über den ungleichen Kampf zwischen Beschäftigten und Amazon in den USA berichtet schonungslos unser Kollege Knut Panknin von der FES Washington.
Der Schauplatz für eine der wichtigsten US-Gewerkschaftskampagnen in den letzten Jahren ist auf den ersten Blick recht unscheinbar. Bessemer, Alabama ist eine Kleinstadt von 27.000 Einwohnern, knappe 20 Autominuten von Birmingham entfernt. Dort steht BHM1, eines von mehr als 100 Amazon-Logistikzentren in den USA. Das gut elf Fußballfelder große und 325 Mio. US-Dollar teure Zentrum liegt neben einem kleinen Wasser-Vergnügungspark und gegenüber einer öffentlichen Universität, dem Lawson State Community College.
Amazon hatte der Kleinstadt 1.500 neue Jobs versprochen. Dazu einen Mindestlohn von 15 US-Dollar pro Stunde und weitere Leistungen wie Zuschüsse zu privater Rentenvorsorge. Das hatte nicht nur bei lokalen politischen Vertretern für Vorfreude gesorgt. Die anfängliche Aufbruchsstimmung war angesichts eines Mindestlohns von nur 7,25 US-Dollar in Alabama und einer Armutsrate in Bessemer von mehr als 25 Prozent nicht überraschend. Der Bürgermeister der Stadt, Kenneth Gulley, sagte, er freue sich auf die Zusammenarbeit mit der Firma, die Arbeitsplätze und die neuen Möglichkeiten, die die Firma in die Stadt und Region bringe.
Die Ansiedlung Amazons war für die Stadt und die Region Jefferson County mit Kosten verbunden. Zur Anwerbung des Dienstleisters gab es u.a. Steuergeschenke von mehr als 40 Mio. US-Dollar. Dies ist in den USA nicht ungewöhnlich. Amazon hat in den letzten 20 Jahren fast 3,8 Mrd. an öffentlichen Zuschüssen erhalten, um sich an bestimmten Standorten anzusiedeln.
Das Fullfillment Center öffnete im März 2020, inmitten der Corona-Pandemie. Das Gelände war früher der Standort einer Stahlfabrik, die in den 1980er Jahren ihre Türen schloss. Seit Jahrzehnten gab es keinen Arbeitgeber in der Gegend, der annähernd so groß war. Und Amazon stellte weit mehr Beschäftigte ein, als der Konzern versprochen hatte. Dank des geänderten Konsumverhaltens in der Pandemie profitierte Amazon massiv von der Krise. Heute arbeiten fast 5.800 Beschäftigte im Fulfillment Center. Mehr als acht von zehn Beschäftigten sind Afro-Amerikaner_innen. Sie sind Teil der Wertschöpfungskette, die den Amazon-Gründer Jeff Bezos zum reichsten Mann der Welt gemacht hat. Laut Forbes ist sein aktuelles Vermögen dank steigender Aktienkurse auf 177 Mrd. US-Dollar angewachsen – 64 Mrd. mehr als noch vor einem Jahr.
Doch mit Amazons Ansiedlung gab es nicht nur Gewinner. Auf der Strecke blieben ausgerechnet die Beschäftigten. Da Amazon seine Verteilzentren durch die Pandemie hindurch nicht nur weiter laufen ließ, sondern expandierte und zudem fahrlässig beim Arbeitsschutz war, infizierten sich in den USA allein in den ersten sechs Monaten der Pandemie fast 20.000 Amazon-Beschäftigte mit dem Coronavirus. Dazu kamen die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, die bereits vor der Pandemie beim Versandhändler bestanden. Jennifer Bates, Ausbilderin bei Amazon BHM1, sagte bei einer Senatsanhörung im März 2021: „Auch die Arbeit selbst ist zermürbend. Wir müssen mit dem Tempo mithalten. Mein Arbeitstag fühlt sich jeden Tag wie ein 9-stündiges, intensives Training an. Und sie verfolgen jede unserer Bewegungen - wenn der Computer nicht scannt, wird diese Zeit als arbeitsabwesend gerechnet.“
Dazu kommen unzureichende Pausen – Beschäftigte haben während ihrer 10-Stunden-Schichten nur zwei 30-minütige Pausen – und die Belastung, stundenlang im vierstöckigen Gebäude Treppen zu steigen. Am schwersten aber wiegt für viele Beschäftigte, dass sie sich respektlos behandelt und in ihrer Arbeit nicht wertgeschätzt fühlen. Jennifer Bates drückte das so aus: „[…] wir sind keine Roboter, die nur leben, um zu arbeiten. […] Wir, die Arbeiter, verdienen es, mit Würde und Respekt behandelt zu werden, und wir verdienen es, dass man uns mit dem gleichen Engagement begegnet, das wir jeden Tag bei der Arbeit an den Tag legen.“
Das Gefühl, wie eine von Algorithmen kontrollierte Maschine behandelt zu werden, weckte bei einigen der Amazon-Beschäftigten den Wunsch nach gewerkschaftlicher Interessenvertretung. Bisher ist allerdings noch keines der Amazon-Logistikzentren in den USA gewerkschaftlich organisiert. Warum tun sich die Gewerkschaften so schwer damit, die großen technologie-getriebenen Unternehmen zu organisieren?
Das liegt zum einen am schwachen US-Arbeitsrecht. US-Gewerkschaften müssen jeden Betrieb einzeln organisieren. Das macht Gewerkschaftskampagnen in großen Unternehmen mit vielen Standorten wie bei Amazon schwer. Hinzu kommt eine weitere Hürde: Seit einer Entscheidung der US-Aufsichtsbehörde für Arbeitsbeziehungen (National Labor Relations Board / NLRB) aus dem Jahr 2019 haben Arbeitgeber das Recht, Gewerkschaftsvertretern, die nicht Angestellte des Betriebs sind, das Betreten ihres Betriebsgeländes zu untersagen. Das gilt auch für Bereiche des Geländes, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Gewerkschaften gehen deshalb oft zu Angestellten nach Hause, aber dies war während der Pandemie nicht möglich. Viele der Organisationstreffen fanden in einem Motel und Restaurants in der Nähe des Amazon-Standortes statt. Amazon bat die Gemeinde sogar darum, die Stehzeiten an einer Ampel in der Nähe zu verkürzen. Vordergründig sollte es um besseren Verkehrsfluss gehen, aber der eigentliche Grund war, dass das Unternehmen den Organisatoren weniger Gelegenheit zu Gesprächen mit Beschäftigten an ihren Autos geben wollte. Die Gemeinde folgte Mitte Dezember Amazons Wunsch.
Es gibt noch weitere, strukturelle Gründe für die Schwäche der Gewerkschaften gegenüber Unternehmen. Heute ist der Süden der USA fast gewerkschaftsfrei: Nur acht Prozent der Beschäftigten in Alabama sind Gewerkschaftsmitglied. Der Bundesstaat gehört zu denen mit „Right-to-Work“-Gesetzgebung. Dieses Gesetz schwächt die Gewerkschaften, indem es die Gewerkschaftsmitgliedschaft in organisierten Betrieben frei stellt. Beschäftigte genießen die Vorteile der gewerkschaftlich ausgehandelten Vereinbarungen, müssen aber keine Beiträge zahlen. Dies zehrt an den Ressourcen der Gewerkschaften und verringert deren Möglichkeiten, Betriebe zu organisieren.
Daneben wuchs in den letzten dreißig Jahren in den USA eine ganze Industrie an Beratungs-firmen, die sich darauf spezialisiert haben, Unternehmen gewerkschaftsfrei zu halten. Auch Amazon engagiert professionelle Anti-Gewerkschaftsberater, sog. Union Buster.
Die BHM1-Beschäftigten, die sich gewerkschaftlich organisieren wollten, wandten sich an die Einzel- und Großhandelsgewerkschaft RWDSU – eine eher kleine, aber progressive Gewerkschaft, die im Süden vor allem Erfahrungen in der Organisation von Betrieben in der Geflügelverarbeitung hatte. Die RWDSU startete daraufhin eine Organisationskampagne und erhielt bis Dezember 2020 mehr als 2.000 unterschriebene Absichtserklärungen von Beschäftigten, sich von der Gewerkschaft vertreten lassen zu wollen. Die nationale Arbeits-behörde ließ daraufhin eine offizielle Gewerkschaftswahl zu. Befürworter der Gewerkschaft erhofften sich unabhängig vom Ausgang der Wahl ein landesweites Signal für die Rechte von Arbeitnehmer_innen.
Die Organisationskampagne machte wegen ihrer möglichen Signalwirkung landesweit Schlagzeilen und erhielt prominente Unterstützung. Präsident Joe Biden veröffentlichte im Februar ein Kurzvideo, in welchem er Amazon nicht beim Namen nannte, aber deutlich machte, dass Beschäftigte frei von Druck durch den Arbeitgeber entscheiden können müssen, ob sie sich von einer Gewerkschaft vertreten lassen wollen. Senator Bernie Sanders lud Jennifer Bates zur Senatsanhörung ein und auch Birmingham Bürgermeister Randall Woodfin äußerte sich unterstützend.
Es gab bisweilen sogar kuriose Auseinandersetzungen, wie die zwischen dem Demokratischen Abgeordneten Mark Pocan und Amazon. Pocan warf dem Konzern auf Twitter vor, dass Amazon-Beschäftigte nicht genügend Zeit hätten, auf Toilette zu gehen und in der Not zu Flaschen greifen müssten, um bei der Auslieferung der Waren nicht zu viel Zeit zu verlieren. Nachdem der Konzern das zunächst als absurd abstritt, entschuldigte er sich später bei Pocan, der mit folgendem Tweet antwortete: „Hier geht es nicht um mich, sondern um eure Beschäftigten, die ihr nicht mit genügend Respekt und Würde behandelt. Fangt damit an, die unzureichenden Arbeitsbedingungen anzuerkennen, die ihr für ALLE Beschäftigten geschaffen habt – bringt sie in Ordnung und lasst sie ohne Einmischung gewerkschaftlich organisieren.“
Amazon nutzte konsequent das schwache US-Arbeitsrecht aus und setzte die Beschäftigten in Bessemer unter Druck - vor allem diejenigen, die sich für die Vertretung durch die RWDSU einsetzten. Amazon richtete sogar eine Website gegen die Gewerkschaftswahl ein. „Wir wurden zu so genannten ‚Gewerkschaftsschulungen‘ gezwungen.“, so Jennifer Bates. „Sie dauerten bis zu einer Stunde und wir mussten manchmal mehrmals pro Woche hingehen. Die Firma bombardierte uns mit Gründen, warum die Gewerkschaft schlecht sei. […] Vieles von dem, was in diesen Treffen gesagt wurde, war unwahr, wie zum Beispiel, dass die Leute ihre Sozialleistungen verlieren würden, wenn sie der Gewerkschaft beitreten würden. […] Überall im Betrieb hatte Amazon gewerkschaftsfeindliche Schilder und Botschaften aufgestellt. Sie schickten Textnachrichten an die Beschäftigten. Sie hatten sogar Schilder in den Toiletten angebracht. Kein Ort war tabu.“
Die Wahl fand Corona-bedingt als Briefwahl statt. Auch dies hatte Amazon zunächst zu unterbinden versucht, war am Ende aber nicht erfolgreich. Dafür gelang es dem Konzern, die US-Post zu beauftragen, einen Briefkasten auf dem Werksgelände zu installieren. Dies wurde u.a. von der RWDSU mit dem Vorwurf kritisiert, der Briefkasten suggeriere, dass Amazon in die Annahme und Auszählung der Wahlzettel involviert sei, was Beschäftigte davon abhalten würde, an der Wahl teilzunehmen. Zwischen Februar und Ende März gingen insgesamt 3.215 Wahlzettel ein. Damit beteiligte sich mehr als die Hälfte der Beschäftigten an der Abstimmung.
Am 9. April war klar, dass Amazon diese Runde für sich entschieden hatte. Nach Auszählung der Stimmen hatten sich nur 738 der Beschäftigten für die Gewerkschaft, aber 1798 gegen diese ausgesprochen. Das Ergebnis ist enttäuschend, kommt aber angesichts der ungleichen Wettbewerbsbedingungen in den USA nicht überraschend. Gewerkschaftspräsident Richard Trumka vom Dachverband AFL-CIO sagte nach Bekanntgabe der Ergebnisse: „Die heldenhaften Amazon-Beschäftigten in Bessemer haben Geschichte geschrieben und dabei geholfen, den Weg für Gerechtigkeit am Arbeitsplatz für alle zu ebnen. Selbst unter systematischer Schikane und Einschüchterung durch eines der größten Unternehmen der Welt kämpften sie darum […], die Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Sie meldeten sich zu Wort und machten ihre Lebenswirklichkeit deutlich, die zu viele arbeitende Menschen kennen - die Brutalität, unterbezahlt und überarbeitet zu sein und ständig Angst vor dem zu haben, was vor ihnen liegt. Das ist der Grund, warum mehr als drei Viertel der US-Amerikaner diese Organisierungs-kampagne unterstützten […]. Die Beschäftigten, die sich um eine Mitgliedschaft in der RWDSU bemüht haben, stehen an der Spitze einer aufstrebenden Bewegung für Demokratie am Arbeitsplatz. […] Dies ist der Kampf unserer Zeit, und er beginnt mit der Verabschiedung des PRO Act.“
Trumka verband seine scharfe Kritik mit der Aufforderung an den Kongress, den „Protecting the Right to Organize Act“ (PRO Act) zu verabschieden. Dieser würde landesweit u.a. die "Right-to-Work"-Gesetze ungültig machen und dringend benötigte Reformen der US-Arbeitsgesetze einleiten, was es Gewerkschaften erleichtern würde, sich zu organisieren. Das Gesetz wurde zwar bereits vom Repräsentantenhaus verabschiedet, aber die Chancen für eine Senatsmehrheit stehen eher schlecht.
Die RWDSU-Gewerkschaft kündigte an, das Wahlergebnis beim NLRB anzufechten. Auch wenn noch unklar ist, ob die Wahl für ungültig erklärt werden wird, ist sicher, dass die Niederlage in Bessemer nicht das Ende, sondern der Startschuss für verstärkte Bemühungen um gewerkschaftliche Organisation in den USA sein wird. „Die Leute sollten die Ergebnisse der Wahl nicht falsch interpretieren“, sagte RWDSU-Präsident Stuart Appelbaum in einem Gespräch mit der FES in Washington, DC. Anlass des Gesprächs war die Aufzeichnung eines O-Tons für die Video-Reihe „Knuts Logbuch“. Appelbaum weiter: „Ich denke, was die Abstimmung wirklich gezeigt hat, war der starke Einfluss, den Einschüchterung und Einmischung durch den Arbeitgeber haben kann sowie Amazons Fähigkeit, den Leuten Angst zu machen, für die Gewerkschaft zu stimmen.“
Mit Blick auf die Zukunft äußerte sich Appelbaum optimistisch: „Die Gewerkschaft wird nicht verschwinden. […] Diese Kampagne ist noch lange nicht vorbei. Die Kampagne ist auch das beste Argument dafür, warum wir eine Arbeitsrechtsreform in den Vereinigten Staaten brauchen. [...]. Wir sind stolz darauf, dass wir eine globale Debatte über die Art und Weise, wie Amazon operiert, angestoßen haben. Ich denke, es ist ziemlich klar, dass Amazon diese Debatte verliert. Und das ist vielleicht das folgenreichste Ergebnis dessen, was in Bessemer passiert ist. Wir haben die Art und Weise aufgedeckt, wie Amazon seine Mitarbeiter behandelt, und ich denke, die Leute sind davon ziemlich angewidert.“
Knut Panknin ist Programmkoordinator für Wirtschafts- und Sozialpolitik im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington, D.C., USA.
Amazon: Guten Tag, wir möchten Ihnen hiermit mitteilen, dass wir Ihre Bestellung versandt haben…Nur zu welchem menschenverachtenden Preis? …
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