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„Die Leute im ländlichen Raum wollen die Verkehrswende auch“

Dezernent Ulf-Birger Franz erklärt, warum der Fahrdienst Sprinti in der Region Hannover so erfolgreich ist.

Mobilität  |  12. Dezember 2023  |   Interview von Claudia Euen  |   Lesezeit: 4 Minuten

Sie haben Sprinti rund um Hannover ins Leben gerufen. Reisende können sich mithilfe einer App einen Kleinbus bestellen, je nachdem wo sie sind und wohin sie wollen. Ist das jetzt das Ende des öffentlichen Nahverkehrs?

Ulf-Birger Franz: Nein, auf gar keinen Fall. Wenn es beispielsweise innerhalb der nächsten 15 bis 20 Minuten ein reguläres Angebot des öffentlichen Nahverkehrs gibt, dann können Sie gar keinen Sprinti bestellen, sondern Sie werden auf Bus oder Bahn verwiesen – selbst wenn Sie einmal umsteigen müssen. Das heißt, ich bekomme nur ein On-Demand-Angebot, wenn kein regulärer Linienbus fährt. Der Sprinti ist ein klassischer Lückenschluss gerade für Strecken, auf denen nur einmal die Stunde ein Bus fährt, beispielsweise auf dem Land. Deshalb bieten wir den Sprinti gar nicht im Innenstadtbereich an, sondern nur im ländlichen Raum, als dichtere Vertaktung des Nahverkehrs.

Ulf-Birger Franz ist Dezernent für Wirtschaft, Verkehr und Bildung für die Region Hannover und vor allem zuständig für den Nahverkehr. Er ist Gründungsvater des Sprinti-Projektes, einem Mobilitätsangebot im Großraum Hannover. 250.000 Menschen haben Zugang zu diesem On-Demand-Fahrdienst – und das bisher mit großem Erfolg. Pro Tag nutzen rund 1300 Fahrgäste die Sprinti-Busse mit dem Deutschlandticket oder zu ÖPNV-Preisen – fast eine kleine Revolution im Verkehrssektor. Ein Gespräch über das Fahrverhalten von Jugendlichen, gesellschaftliche Teilhabe und den öffentlichen Nahverkehr.

Nahverkehr auf Bestellung – dieses Angebot ist ja nicht neu und gibt es ja inzwischen mehr als 80-mal in Deutschland, zählte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Ende 2022. Was ist der Unterschied zu bestehenden Systemen?

Wenn ich pünktlich zum Zug muss, ist es wichtig, genau zum richtigen Zeitpunkt und schon Minuten vor Abfahrt des Zuges da zu sein. Das heißt, mein Algorithmus muss vom Zielpunkt zurückrechnen: Wann muss ich abgeholt werden, damit ich genau diesen Zug erreiche? Das ist eine besondere Herausforderung, gerade wenn mehrere Personen abgeholt werden. Da haben die Software-Entwickler von Via nächtelang herum programmiert, bevor sie das so hinbekommen haben. Und das ist eben auch eine besondere Leistung, dass das jetzt ziemlich reibungslos funktioniert. Das ist einmalig in Deutschland.

Im Mai rutschte Clevershuttle, eine Tochter der Deutschen Bahn, in die Insolvenz, auch der Berliner Berlkönig ist schon wieder eingestellt – um nur zwei Negativ-Beispiele zu nennen. Was machen die anderen falsch?

Für die Genannten kann ich das nicht beurteilen. Aber es gibt andere Verkehrsverbünde in Deutschland, die haben das alles mit eigenen Fahrzeugen sehr viel kleiner umgesetzt. Sie haben eine Software gekauft und versucht, alles selber zu machen. Damit sind viele überfordert. Das liegt an der enormen Herausforderung, den Algorithmus wirklich dem ÖPNV anzupassen. Das ist eine besondere Situation.

Gab es Anfangsschwierigkeiten mit dem Sprinti-Projekt oder lief alles glatt?

Wir hatten in der Anfangsphase natürlich auch Probleme technischer Art: Also zum Beispiel, dass Fahrgäste ihren Zug eben nicht erreicht haben und das hing damit zusammen, dass die Nutzung der App am Anfang noch ein wenig sperrig war. Aber das ist im Laufe der Zeit immer weiter verbessert worden. Zum 1. Oktober 2023 haben wir nach den ersten drei Kommunen vier weitere dazu genommen und ich habe keine einzige Beschwerde hier. Es gibt sonst nichts im Nahverkehr, wo ich keine Beschwerden bekomme.

Die Busse werden mit einer App bestellt. Ist das nicht gerade für die älteren Leute ein Problem, die vielleicht ein Smartphone haben, aber trotzdem nicht technikaffin sind?

Wir bemerken, dass auch die älteren Leute super klarkommen. Wir haben viele Schulungsveranstaltungen vor Ort durchgeführt, es gibt Volkshochschulkurse: „Wie bestelle ich meinen Sprinti?“ In Seniorenheimen und -treffs haben wir gezielt Kurse veranstaltet. Das funktioniert total super und ist auch ziemlich witzig. Am Ende wird dann immer ein Sprinti bestellt und wenn er um die Ecke kommt, jubeln die älteren Damen und Herren. Dann machen alle zusammen eine kleine Spritztour.

Also geht es auch um Teilhabe?

Ja, viele Menschen haben überhaupt kein Auto. Das sind nicht nur alte Leute oder Menschen mit geringen Einkommen. Es betrifft auch Minderjährige oder Menschen mit Behinderungen. Über ein Drittel der Bevölkerung hat keinen Zugang zum Auto. Es geht also gar nicht nur um die Frage von Wollen, sondern auch von Können.

Bisher ist das Sprinti-Projekt ein absolutes Erfolgsprojekt – die Kleinbusflotte soll weiter wachsen. War es schwierig, es durchzusetzen – politisch und finanziell?

Politisch nicht, finanziell schon. Auch die Verlängerung des Projekts ist ausgesprochen schwierig, weil es relativ teuer ist. Von den 20 Millionen Euro Kosten für die Region Hannover pro Jahr kriegen wir im Augenblick rund ein Drittel vom Bund gefördert. Aber die Förderung läuft Ende 2024 aus. Und natürlich wollen es auch weitere Kommunen unbedingt haben. Das ist schon eine finanzielle Herausforderung. Politisch wurde es von Anfang an breit unterstützt.

Welche Vorteile bietet so ein Fahrdienst, gerade auf dem Land?

Er löst unglaublich viele Probleme, was Mobilität betrifft. Es ist ja nicht nur eine ökologische Frage, dass man dadurch Autoverkehr ersetzt. Ungefähr 40 Prozent der getätigten Fahrten würden sonst mit dem Auto individuell zurückgelegt werden und weitere 30 Prozent der Fahrten würden sonst gar nicht stattfinden.

Haben Sie ein Beispiel?

Für 17-jährige Jugendliche ist es total würdelos, sich von einer Party von den Eltern im Auto abholen zu lassen. Auch sagen viele von denen: „Wenn ich nicht die Chance hätte, in den Nachbarort zu fahren und nach dem Training wieder zurückzukommen, dann würde ich diese Sportart dort gar nicht machen.“ Andere besuchen die Kulturveranstaltung oder das Schützenfest nur, weil sie abends die Gelegenheit haben, bequem und sicher wieder zurückzufahren. Ältere fahren leichter zum Einkaufen oder zum Arzt. Uns geht es nicht nur darum, Autoverkehr zu ersetzen, sondern auch die Mobilitätsarmut zu bekämpfen. Menschen sollen sich so bewegen können, wie sie es wollen.

Dann braucht es ja perspektivisch auch keine Taxis mehr.

Nein, auch das wird nicht passieren. Man kann mit dem Sprinti nur innerhalb der eigenen Kommune fahren, der Stadt oder Gemeinde. Es gibt sogenannte Sonderziele zu einem S-Bahnhof, der auch etwas außerhalb der Kommune liegen kann. Aber wir können nicht alle Mobilitätsbedürfnisse abdecken.

Warum ist das Projekt so erfolgreich?

Ich glaube, dass die Leute im ländlichen Raum genauso Lust auf Verkehrswende haben und gerne auch ohne Auto mobil sein möchten. Viele haben plötzlich eine Mobilität, die sie vorher gar nicht für möglich gehalten haben. Wenn ich im ländlichen Raum wohne, bin ich es gewohnt, dass immer einer fahren muss – das geht Erwachsenen genauso wie Jugendlichen oder Senioren. Diese neue Mobilität kannten bisher nur Großstadtbewohner.

Glauben Sie, dass es leicht ist, das Sprinti-Modell in andere Kommunen oder Regionen zu übertragen?

Wir haben den Algorithmus so entwickelt, dass er auch in anderen Kommunen funktionieren kann. Wir tauschen uns mit Akteuren wie dem Hamburger Verkehrsverbund HVV oder der Region Braunschweig aus. Gemeinsam versuchen wir mit dem Land Niedersachsen eine Finanzierungsperspektive zu entwickeln. Das wird eine harte Nuss.

Wäre eine bundesweite Lösung denkbar?

Ein bundesweites Angebot wäre für den Bund immer noch billiger als das Deutschlandticket oder das Dienstwagenprivileg. Das hätte natürlich eine wahnsinnige Hebelwirkung. Das Problem: Für viele erfolgreiche Modellprojekte – auch das Deutschland-Ticket – gibt es immer nur kurzfristige Finanzierungszusagen. So kann man keine Verkehrswende machen. Bisher fehlt sie ja auch für das Sprinti-Projekt über das kommende Jahr hinaus. Ein bundesweites On-Demand-Angebot wird es nur geben, wenn der Bund das finanziert. Ansonsten wird es eine Insellösung bleiben. Finanzschwache Regionen werden das nicht stemmen können.

Wie realistisch ist es denn, dass das Projekt überhaupt weiterläuft?

Wir verhandeln jetzt mit Land, Bund und EU, um eine Anschlussfinanzierung hinzubekommen. Wir glauben an die Zukunft von Sprinti.

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