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Fokus NorD: Die finnische Integrationspolitik nimmt international einen hohen Stellenwert ein, wird aber auch kritisiert. Von Linda Bäckman.
Integrationsdienstleistungen gibt es in Finnland erst seit relativ kurzer Zeit, sie gelten jedoch als recht umfassend und zeigen in gewissem Maße einen Erfolg. Herausforderungen bestehen etwa in der Anerkennung von bereits erworbenen Kenntnissen und der Verwirklichung des Potenzials von Migrant_innen sowie in der tatsächlichen Berücksichtigung ihrer individuellen Pläne und Wünsche. Die Beschäftigungsquote, insbesondere unter Frauen mit Einwanderungsgeschichte, ist in Finnland niedriger als in den anderen nordischen Ländern, unabhängig vom Bildungsniveau und den Sprachkenntnissen der Frauen. Trotz des internationalen Renommees des finnischen Bildungssystems erreichen die in Finnland geborenen Kinder von Zugewanderten seltener einen Hochschulabschluss als gleichaltrige junge Menschen mit finnischen Eltern. Dieser Artikel skizziert die Integrationsdienstleistungen in Finnland und den nordischen Ländern und fordert eine stärker ganzheitliche Sicht auf Integration, eine engere Zusammenarbeit verantwortlicher gesellschaftlicher Institutionen und ein größeres Augenmerk auf Rassismus und Diskriminierung.
Finnland war lange eher ein Auswanderungs- statt Einwanderungsland; im 20. Jahrhundert zogen eine Million Finn_innen ins Ausland. Die Bevölkerung des Landes ist allerdings seit jeher von vielen Kulturen und Sprachen geprägt, nicht zuletzt aufgrund der geografischen Lage zwischen „Ost“ und „West“. Die internationale Einwanderung begann wieder in den 1970er-Jahren als viele Menschen aus Chile und Vietnam aus humanitären Gründen nach Finnland flohen. Doch erst anlässlich der vermehrten Einwanderung von Geflüchteten in den 1990er-Jahren wurde mit der Gestaltung von Integrationspolitik begonnen, besonders in der Region Helsinki. Ein wichtiges Phänomen, das sich auf den Bedarf an Integrationsdienstleistungen auswirkte, war auch die Einreise von 30.000 als „Rückkehrer_innen“ bezeichnete Menschen, hauptsächlich Ingrier_innen, denen 1990 die Möglichkeit eingeräumt wurde, aus der ehemaligen Sowjetunion wieder nach Finnland umzusiedeln. Die erste Rechtsvorschrift zur Förderung der Integration von Einwandernden in Finnland trat 1999 in Kraft. Die anderen nordischen Länder (insbesondere Schweden) und die Niederlande dienten als Modelle bei der Entwicklung von Plänen für Integrationsdienstleistungen. Das grundlegende Ziel war die gleiche Teilhabe von Einwandernden in der Gesellschaft, insbesondere am Arbeitsmarkt, und der gleichzeitige Schutz ihrer Rechte, ihre eigene Sprache und Kultur beizubehalten. Im Jahr 2018 machten im Ausland geborene Menschen etwa 7% der finnischen Bevölkerung (5,5 Millionen Menschen) aus. 180 verschiedene Nationalitäten sind unter den ausländischen Staatsbürger_innen vertreten; die wichtigsten Herkunftsländer sind Estland, Russland, Irak, China und Schweden. Hinsichtlich ihres Wohnortes gibt es jedoch große regionale Unterschiede: 58% der im Ausland geborenen Menschen leben in der Region Helsinki. 2019 wurden die meisten neuen Aufenthaltsgenehmigungen aufgrund von Familiennachzug gewährt (38,8%), gefolgt von Arbeit (28,5%), Studium (19,9%), internationalem Schutz (11,2%) und sonstigen Gründen (1,7%).
Verglichen mit seinen nordischen Nachbarn ist die Zahl der im Ausland geborenen Einwohner_innen in Finnland weiterhin niedrig (ca. 387.000 bzw. 7%). Fast 20% der Bevölkerung Schwedens (ca. 2 Millionen Menschen) sind im Ausland geboren; in Norwegen beträgt diese Zahl ca. 14% und in Dänemark 13%. Ziel der nordischen Integrationsprogramme ist, dass die Teilnehmer_innen so schnell wie möglich die Landessprache lernen und den Einstieg ins Berufsleben bzw. in ein weiterführendes Studium schaffen. Die Dienstleistungen basieren auf individuellen Plänen und sind für die Teilnehmer_innen kostenlos. Dänemark unterscheidet sich von den anderen nordischen Ländern: 2016 wurde dort ein Programm eingeführt, das aus kurzfristigen Jobs und einer Ausbildung mit entsprechendem Gehalt sowie 20-wöchigen Bildungskursen besteht. Die folgende Tabelle zeigt die Struktur der Integrationsdienstleistungen in den nordischen Ländern:
Da Integration ein facettenreiches Phänomen und an spezifische lokale Kontexte gebunden ist, ist es schwierig, einfache Schlussfolgerungen zur Wirksamkeit der verschiedenen Systeme zu ziehen. Eine Studie, welche die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten in Schweden, Norwegen und Dänemark verglich, stellte je nach Perspektive unterschiedliche Ergebnisse fest. Bei Frauen mit einer Fluchtgeschichte erzielt Norwegen die besten Ergebnisse. Während Geflüchtete in Dänemark schneller als in Norwegen und Schweden Arbeit finden, sind die langfristigen Beschäftigungsquoten in Schweden höher. Dänemark ist für die strengste Flüchtlingspolitik der nordischen Länder bekannt und die Integrationsdienstleistungen des Landes spiegeln dies teilweise wider. Das neue Modell mit Schwerpunkt Ausbildung ist von der Wissenschaft kritisiert worden, da es Geflüchtete in eine prekäre Position bringt mit dem Risiko, als billige Arbeitskräfte ausgebeutet zu werden.
Die Verantwortung für die Bereitstellung der staatlichen Integrationsunterstützung in Finnland liegt bei mehreren Institutionen, hauptsächlich Gemeinden und regionalen Arbeitsämtern. Wenn eine Person in Finnland eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, führt das Arbeitsamt ein erstes Mapping ihrer bestehenden Fähigkeiten durch. Für diejenigen, die nicht erwerbstätig sind, beispielsweise nicht berufstätige Mütter, bietet die Gemeinde die Integrationsdienstleistungen an. Der nächste Schritt ist die Erstellung eines individuellen Integrationsplans, der die Person an die erforderlichen Dienstleistungen vermittelt. Diese hängen von der Ausgangssituation der Person ab, die für einen Basiskurs bzw. einen langsameren oder schnelleren Kurs eingeteilt wird. Das Ziel der Finnisch- bzw. Schwedischkurse (theoretisch von der Person selbst gewählt, in der Praxis häufig von der Gemeinde bestimmt) ist das B1.1-Niveau nach CEFR/GER, welches auch für die finnische Staatsangehörigkeit Voraussetzung ist. Sprachkenntnisse gelten als Schlüssel für eine Beschäftigung und daher für die Integration in allen nordischen Ländern, wobei hohe Anforderungen an die Fach- und Sprachkenntnisse mit der Gehaltsstruktur korrelieren. In der Integrationspolitik wird die Beschäftigung oft dargestellt, als habe sie mit anderen Lebensbereichen, etwa Familie und sozialen Beziehungen, nichts zu tun. Es ist wichtig, die Integrationsarbeit in der Schule und der Frühpädagogik, auf die jedes in Finnland lebende Kind ein Recht hat, zur Kenntnis zu nehmen. Dass die in Finnland geborenen Kinder von Migrant_innen eine geringere Quote an Hochschulabschlüssen erreichen, wird mit verschiedenen Faktoren im Zusammenhang mit Sprachkenntnissen und sozioökonomischer Stellung erklärt, was auf verbleibende Herausforderungen im Bildungssystem hinweist, für jedes Kind dieselben Chancen zu gewährleisten.
Die finnische Integrationspolitik schneidet im internationalen Vergleich gut ab, wird aber auch wegen ihrer schwerfälligen Organisation und ihrer Fragmentierung kritisiert. Dies liegt teilweise daran, dass Gemeinden relativ frei darüber entscheiden können, wie sie die Dienstleistungen organisieren. Unzureichende Finanzierung und die „Projektisierung“ von Integrationsdienstleistungen und Ausbildung sind seit längerem bestehende Herausforderungen. Integrationstraining für Erwachsene wird auf dem freien Markt offen ausgeschrieben, was einerseits Fragen bezüglich der Qualität und Kontinuität aufwirft, aber andererseits für Flexibilität sorgt, da neue Kurse unabhängig von festgelegten Semesterterminen beginnen können. Viele Projekte haben versucht, Dienstleistungen zu verbessern und neue Methoden zu entwickeln, etwa zur Bekämpfung regionaler Unterschiede (z.B. E-Learning in Lappland), zur Ausrichtung auf verschiedene Gruppen (z.B. maßgeschneiderte Kurse für nicht berufstätige Mütter und hochqualifizierte Migrant_innen) und zur Entwicklung neuer pädagogischer Ansätze (z.B. Stärkung sozialer Netzwerke).
Die Wirksamkeit des Sprachtrainings ist bislang wenig erforscht: obwohl nachgewiesen ist, dass zwischen 2013 und 2016 nur ca. 35% während ihres Integrationskurses das angestrebte B1.1-Niveau erreicht haben, und dass die Arbeitslosigkeit bei Geflüchteten höher ist als beim Rest der Bevölkerung, sind die Gründe für diese Ergebnisse unklar. Anstatt Arbeitslosigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt zu messen, wäre es sinnvoller die Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf zu erheben, denn Geflüchtete brauchen für die Beschäftigungssuche länger als diejenigen, die als migrantische Arbeitskräfte einwandern und per Definition bereits eine Beschäftigung haben. Einstellungen unter Arbeitgeber_innen müssen ebenfalls berücksichtigt und thematisiert werden. Obwohl neuere Indikatoren der Integration auch Wohlergehen, Partizipation und Integration in beide Richtungen umfassen, gilt Beschäftigung weiterhin als sehr wichtiges Maß für Integration. Daher mangelt es an Wissen über andere Aspekte der Integration, z.B. die Auswirkungen strengerer Politiken zur Familienzusammenführung, die zu längeren Perioden der Familientrennung führen.
Die Heterogenität der Menschen, die sich bezüglich Alter, Bildungshintergrund, Gründe für die Einwanderung etc. unterscheiden, ist sowohl Herausforderung als auch Chance für die Integration. Integrationskurse sind kritisiert worden, weil sie Menschen „immigrantisieren“, ihre individuellen Wünsche und Ziele ignorieren und sie als passiv und entwicklungsbedürftig darstellen. Das soziale Klima – mit dem Aufstieg der extremen Rechten und dem Erfolg der Anti-Einwanderungspartei Die Finnen seit der Wahl 2011 und den vier Jahren ihrer Regierungsbeteiligung von 2015 bis 2019 – beeinflusst nicht nur Migrant_innen und Geflüchtete, sondern hat sich auch auf die Gesellschaft insgesamt ausgewirkt. Obwohl Integration häufig als Pfad in beide Richtungen dargestellt wird, scheint die Aufgabe, „sich zu integrieren“, weiterhin hauptsächlich den Einwandernden zugeschrieben zu werden.
Wenn Integration wirklich gleiche Teilhabe und ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Akzeptanz als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft bedeuten soll, müssen die diesbezüglichen Ansichten in Finnland und großen Teilen Europas überdacht werden.
Autorin:
Linda Bäckman hat in englischer Sprache und Literatur promoviert (Universität Åbo Akademi, 2017). Im Rahmen eines von der Gesellschaft für Schwedische Literatur in Finnland finanzierten Projekts erforscht sie derzeit Sprache und Integration in den schwedischsprachigen Gebieten Finnlands.
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