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Arbeitsmigrant_innen aus den Philippinen verlassen ihr Zuhause voller Hoffnung und Träume. Der Belastungen der Migration, an denen sie leicht zerbrechen können, sind sie sich nicht bewusst. Aber manchmal ist auch Hilfe zur Stelle, zumindest für einige von ihnen.
TRIGGERWARNUNG: Sexuelle Gewalt
Über 10 Millionen philippinische Menschen arbeiten im Ausland. Die FES Philippinen sammelt gemeinsam mit dem Center for Migrant Advocacy (CMA) internationale Geschichten von Arbeitsmigrant_innen, um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Im Folgenden lesen Sie die Geschichten von Jennifer, Jose und Mona.
Jennifer, 31, hielt den Schwangerschaftstest ganz fest in der Hand.
Drei Monate war es her, seit der sexuelle Missbrauch begonnen hatte. Als Jennifer zu Hause die Zusage für einen Job im Ausland erhielt, sah sie im Geiste all die Möglichkeiten vor sich, die nun greifbar würden. Diese hier gehörte nicht dazu. Sie atmete aus und blickte auf den Test. Langsam bildeten sich zwei Linien, die ein positives Ergebnis anzeigten.
Auf den Philippinen lebte Jennifer mit ihren drei kleinen Kindern bei ihren Eltern. Mit ihrem Mann war sie zerstritten, Unterstützung erhielt sie von ihm nicht. Wie viele andere philippinische Arbeitsmigrant_innen war Jennifer voller Hoffnung und Träume, als sie ihr Zuhause verließ. Der versteckten Kosten der Migration, an denen sie leicht zerbrechen können, sind sich die Migrant_innen nicht bewusst.
Jennifer erhielt einen Zweijahresvertrag und wurde im April 2019 in Saudi-Arabien als Hausangestellte eingesetzt. Aber schon nach wenigen Monaten bettelte sie darum, zurück nach Hause geschickt zu werden. Denn Jennifer wurde von ihrem männlichen Arbeitgeber sexuell belästigt. Sie weigerte sich zu arbeiten und flehte ihre Agentur an, sie nach Hause zu schicken. Die Antwort der Agentur war, das sei nicht möglich, schließlich ginge dadurch die beachtliche Geldsumme verloren, die sie für Jennifers Vermittlung habe aufbringen müssen.
„Meine ganze Welt brach zusammen. Ich dachte an meine Kinder zu Hause auf den Philippinen und daran, was meine Familie wohl über mich sagen würde,” berichtete Jennifer in einem Interview mit dem CMA über ihre Schwangerschaft.
Anstatt nach Hause wurde sie zu einem neuen Arbeitgeber in den Libanon geschickt, um ihren Vertrag als Hausangestellte zu erfüllen. Jennifer erinnert sich schmerzlich daran, wie nahe sie dem zweijährigen Kind stand, um das sie sich kümmern musste, was aber von ihrem männlichen Arbeitgeber schamlos ausgenutzt wurde.
Jennifers Nein blieb unbeachtet, als die Annäherungsversuche ihres Unterdrückers immer aufdringlicher wurden. Ihre Kolleginnen bemerkten den Missbrauch, schwiegen aber aus Angst ihren Job zu verlieren. Jennifer flehte ihren Unterdrücker an, sie gehen zu lassen, aber zu jenem Zeitpunkt wurden in vielen Städten auf der ganzen Welt strenge Quarantäneregelungen eingeführt. Der Anstieg an COVID-19-Fällen war alarmierend. Jennifers Arbeitgeber nutzte dies als Ausrede, um sie in seinem Haus festzuhalten.
Die Pandemie führte zu einem Anstieg der geschlechtsspezifischen Gewalt unter Arbeitsmigrant_innen. Die Migrant_innen waren in ihrem gewalttätigen Haushalt eingesperrt und deshalb nicht in der Lage, die schrecklichen Vorfälle anzuzeigen oder zu fliehen.
Jennifer wollte eine Abtreibung. Man versprach ihr Abtreibungspillen, aber diese kamen nie bei ihr an. In einer der vielen Nächte, in denen sie missbraucht wurde, wurde die Tat endlich hinreichend dokumentiert und an Hilfsgruppen gemeldet und Jennifers Rettung organisiert. Sie blieb fast drei Monate lang in einem Frauenhaus, ehe sie nach Hause zurück geschickt wurde.
Außer unter geschlechtsspezifischer Gewalt leiden Arbeitsmigrant_innen auch unter ungerechten Arbeitspraktiken wie Lohndiebstahl. Außerdem nutzen Arbeitgeber die vielfältigen pandemiebedingten Beschränkungen aus.
Jose, 34, arbeitete als leitender Angestellter in einem Café in Riad, Saudi-Arabien. Sein Arbeitgeber erklärte ihm, die Umsätze seien durch das Virus eingebrochen und er müsse Kosten einsparen. Nach einem Jahr und 10 Monaten Arbeit wurde Jose gekündigt.
Er dachte an die vielen Aufgaben, die er für das Café übernommen hatte, die weit über seinen Arbeitsbereich hinausgingen. Er dachte auch an die vielen Male, die sein Arbeitgeber ihm seinen Lohn nicht ausbezahlt hatte.
Während seiner Zeit im Café bekam José immer häufiger Bauchschmerzen, sein Stuhlgang veränderte sich und er verlor seinen Appetit. Er wollte diese Symptome untersuchen lassen, aber ohne Krankenversicherung konnte er die Arztkosten nicht bezahlen.
Jose verzichtete darauf, seinen Arbeitgeber beim Philippine Overseas Labor Office POLO (Philippinisches Auslandsarbeitsamt) zu melden, weil er dadurch die von ihm gestellte Unterkunft verlieren würde. Er wusste, dass er krank war, und er konnte es sich nicht leisten, nun auch noch obdachlos zu werden.
Im Juli 2020 wurde Jose schließlich in seine Heimat zurück gebracht. Dort wurde er in ein privates Krankenhaus aufgenommen und ein Tumor in seiner Leber gefunden. Er musste sofort operiert werden.
Joses Krankenhausrechnungen belaufen sich auf 183.277,85 Pesos. Sein nicht ausbezahlter Lohn beträgt insgesamt 1.529 EUR oder 90.008 Pesos. Jose wusste, dass er zumindest einen Teil seiner Rechnungen begleichen könnte, wenn ihm nur bezahlt würde, was ihm zusteht.
Schließlich kontaktierte er im August 2020 CMA Phils. Inc. und bat um Hilfe bei der Beantragung seiner DOLE-AKAP, einem Programm für finanzielle Beihilfen des Philippinischen Ministeriums für Arbeit und Beschäftigung. Er wollte außerdem Klage gegen seinen früheren Arbeitgeber einreichen.
Wie Jennifer und Jose verließ Mona die Philippinen, weil sie im Ausland auf bessere Chancen hoffte. Aber nach ihrer Vermittlung wurde sie sowohl von ihrem Arbeitgeber als auch der Vermittlungsagentur misshandelt.
Mona wurde gezwungen, außer dem Haus ihres Arbeitgebers noch weitere Häuser zu putzen. Das war nicht im Arbeitsvertrag vorgesehen, und sie musste sich ohnehin schon um die fünf Kinder des Arbeitgebers kümmern. Sie war erschöpft und überarbeitet und hatte oft nichts zu essen. Ihrem Arbeitgeber war es egal, ob sie genug aß. Um sich selbst Lebensmittel zu kaufen, reichte ihr magerer Lohn nicht aus, der außerdem nie pünktlich ausbezahlt wurde. Mona hatte kaum genug Geld, um etwas davon nach Hause zu schicken.
Sowohl ihrer Vermittlungsagentur als auch ihrem Arbeitgeber war bekannt, dass Mona an einer Knochenkrankheit leidet. Sie musste während ihrer Anstellung zwei Mal ins Krankenhaus. Die einzige Reaktion ihrer Agentur war „Magtiiis ka dyan kasi malaki binayad niyan.” („Da musst du durch, dein Arbeitgeber hat schließlich eine Menge Geld für dich bezahlt.”)
Wegen Erschöpfung und Mangelernährung wurde Mona arbeitsunfähig. Sie flehte ihren Arbeitgeber an, sie nach Hause zurück zu schicken, aber stattdessen wurde sie zur Polizei gebracht.
Anstatt auf die Philippinen zurück zu fliegen, wurde Mona gezwungen, bei ihrer Vermittlungsagentur zu bleiben.
Gemeinsam mit anderen Hausangestellten, die nicht wussten, wohin sie gehen sollten, musste Mona vorübergehend im Büro der Agentur wohnen. Ohne Einkommen und ohne Unterstützung von der Agentur bekamen die philippinischen Arbeiterinnen nur einmal pro Tag zu essen. Sie mussten außerdem Zwangsarbeit innerhalb des Büros leisten. Zu allem Übel drohte die Agentur ihnen körperliche Strafen an, falls sie die Unterschrift eines Dokuments verweigerten, mit dem sie auf eine Anzeige gegen die Agentur verzichteten. Mona fürchtete um ihr Leben und hatte keine Wahl.
Um diesem Martyrium zu entfliehen, liehen sich Mona und ihre Kolleginnen Geld für ein einfaches Flugticket. Am 29. Oktober 2020 kam sie zu Hause an.
Jose war früher Fahrer auf den Philippinen. Nun erholt er sich von seiner Krankheit und wartet darauf, medizinische Hilfe von der OWWA (Overseas Workers‘ Welfare Administration, Wohlfahrtsverwaltung für ArbeitsmigrantInnen) zu erhalten, die seiner Familie durch diese schwere Zeit helfen soll. Ein Teil seiner Krankenhausrechnungen wurden vom CMA übernommen. Jose eröffnete mit seiner Partnerin einen kleinen Obstladen und engagiert sich in seiner Gemeinde aktiv in der Beratung zu Themen der Arbeitsmigration.
Mona legte Beschwerde gegen ihre Vermittlungsagentur ein, aber aufgrund der Verzichtserklärung, die sie unterschreiben musste, entging diese einer Verpflichtung zur Auszahlung der zurückbehaltenen Löhne. Man bot Mona eine Zahlung von 5.000 Pesos an, und sie willigte ein. Für Mona war dies eine bessere Lösung als die ständigen Fahrten in verschiedene Regionalbüros, wo sie in ihrem Fall vorsprechen musste.
Jennifer ist nun Mutter von vier Kindern. Sie brachte im September 2020 ein kleines Mädchen zur Welt. Die Organisation KAFA (Enough) Violence and Exploitation wandte sich an das CMA, damit Jennifer Geldleistungen, Lebensmittelpakete und Hilfe bei Antragsstellungen erhielt. Am 3. März 2022 wird sie sich zum ersten Mal virtuell mit ihren Anwälten treffen, um einen außergerichtlichen Vergleich anzustreben.
Dies sind nur einige der Probleme, die für viele Arbeitsmigrant_innen an der Tagesordnung sind. Organisationen wie das CMA empfehlen Untersuchungen darüber, wie geschlechtsspezifische Gewalt und ausbeuterische Beschäftigungspraktiken nach der Rückkehr der ArbeitsmigrantInnen in ihre Heimat als transnationale Verbrechen behandelt werden können – das würde bedeuten, dass sie auch dann eine Klage einreichen können, wenn sie sich bereits wieder in ihrem Herkunftsland befinden. Für diese Maßnahmen setzt sich die vom Migrant Forum Asia initiierte „Justice for Wage Theft Campaign” (Kampagne für Gerechtigkeit bei Lohndiebstahl) ein.
Im Hinblick auf Löhne gibt es Bemühungen, starke internationale Verbände und Gewerkschaften von Arbeitsmigrant_innnen zu bilden, die sich grenzüberschreitend organisieren. Dies ist auch ein Versuchsmodell, dass von SENTRO, einem philippinischen Arbeits- und Gewerkschaftszentrum (auch Partner von CMA und FES Philippinen) angewandt wird und Arbeitgeber ausländischer Arbeitskräfte, ihre Agenturen und die Arbeitnehmer_innen selbst zusammenbringt, um auf lokaler Gewerkschaftsebene Lohnstreitigkeiten beizulegen. Diese Maßnahmen sollen eine Kultur globaler Solidarität für Arbeitskräfte pflegen, die in vorderster Front einer sich verändernden Welt stehen.
Brenda Pureza ist Programmkoordinatorin des Women and Gender Institute (WAGI). Sie macht derzeit ihren Masterabschluss in Gemeindeentwicklung an der University of the Philippines
Der Artikel erschien am 27.9.2021 in englischer Sprache auf asia.fes.de.
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