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Fokus NorD: Vielfalt im öffentlichen Dienst in Schweden. Ein Beitrag von Nazem Tahvilzadeh.
Bild: gray folding chair von Zoran Nayagam / Unsplash lizenziert unter CC0 1.0
Schweden gilt als führend in Sachen Integration. Wohlfahrtsreformen haben eine der sozial gleichberechtigtsten Gesellschaften der Welt geschaffen. Diese Maßnahmen umfassen Wohnraum, kostenlose Bildung, Sozialversicherung, Gesundheitsfürsorge, ein breites Netz öffentlicher Bibliotheken, unterrichtsfreie Universitäten und Zugang zu Foren der öffentlichen Bildung. Diese politischen Maßnahmen sicherten die Integration von Migrant_innen in die schwedische Gesellschaft, indem sie ausgeglichener Chancen für den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt boten. Insbesondere eine für alle zugängliche Sekundarschulbildung und ein gebührenfreier Zugang zu Hochschulen haben zu einer gut ausgebildeten Erwerbsbevölkerung geführt. Wenn wir uns jedoch die Arbeitsplätze von Zugewanderten genauer ansehen, ist ihre Verteilung ungleich. So sind viele der aus dem Ausland zugewanderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Arbeiterberufen überrepräsentiert, in Berufen mit höherem Status sehen wir hingegen weniger Inklusion.
Schweden ist auch ein Vorreiter multikultureller Politik. Die Einwanderungspolitik der 1970er Jahre zielte auf beschäftigungsbezogene Themen ab, förderte jedoch auch das Streben der Migrantinnen und Migranten nach Wahrung ihrer ethnischen Identität sowie nach uneingeschränkter und gleicher Staatsbürgerschaft und Einbeziehung in die Zivilgesellschaft. Ein Regierungsvorschlag mit dem Titel "Schweden, die Zukunft und Vielfalt - von der Einwanderungspolitik zur Integrationspolitik" (Gesetzentwurf 1997/98: 16) wurde vom Parlament angenommen. Dieser erweiterte die multikulturelle Vorstellung von Schweden als einem vielfältigen Land und erkannte die unterschiedlichen Sprachen und Religionen von Minderheiten als Teil der neuen Identität des Landes an. Der Großteil der staatlichen Unterstützung für Migrant_innen wird in den ersten Jahren nach der Einreise einer Person in das Landgeleistet. Durch Maßnahmen wie doppelte Staatsbürgerschaft und gruppenspezifische Rechte, bilinguale Erziehung und die Unterstützung des Zusammenlebens von ethnischen Minderheiten und Migrant_innengruppen unterstütze die Integrationspolitik die multikulturelle Staatsbürgerschaft. So wurden beispielsweise Migrant_innen- und Minderheitenverbände in beratende Gremien einer partizipativen Staatsstruktur einbezogen. Diese Konsultationen haben die Erfahrungen von Migrant_innen in Regierungsangelegenheiten zum Ausdruck gebracht und indirekt die Aufnahme in die Tagesordnung gefördert. Andere Maßnahmen zielten auch auf öffentliche Einrichtungen ab, um nichtdiskriminierende Maßnahmen zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen und zur Einstellung von Arbeitskräften zu fördern.
Seit den 2000er Jahren wird die multikulturelle Agenda aus zwei Richtungen kritisiert. Die einen argumentieren, dass Multikulturalismus nicht effektiv sei, da die assimilationistische Ideologie immer noch vorherrscht. Das Problem sei daher die strukturelle Diskriminierung von Migrant_innen und die Schwierigkeit, sich an Normen anzupassen, die von einer vagen und unerreichbaren „Schwedenhaftigkeit“ vorgegeben werden. Aus dieser Richtung wird eine egalitärere Wohlfahrtspolitik vorgeschlagen. Auch Rassismus wird als ein Problem erkannt und die Notwendigkeit betont, dagegen vorzugehen. Eine viel diskutierte, aber marginalisierte Regierungskommission - "Die Kommission für die Untersuchung von Macht, Integration und struktureller Diskriminierung" - schlug diese Haltung nach der Veröffentlichung einer Reihe von forschungsbasierten Berichten vor.
Die andere Seite hingegen argumentiert, dass die Integrationspolitik nicht assimilationistisch genug war. Dieses Argument konzentriert sich auf die hohe Arbeitslosigkeit bei Bürger_innen mit Einwanderungsgeschichte. Assimilation hätte demnach eine hohe Bedeutung für die Beschäftigungsfähigkeit durch die Eingliederung in eine „schwedische“ Kultur und durch Sprachunterricht. Diese Position dominierte die Politik der liberal-konservativen Regierungen von 2006-2014 und das politische Programm der ersten im Ausland geborenen Kabinettsministerin (und ersten nicht-weißen Ministerin) in Schweden, Nyamko Sabuni. Sabuni, ehemalige Ministerin für Integration und Gleichstellung und jetzt Vorsitzende der Liberalen Partei, setzte eine Mischung aus Assimilations- und Antidiskriminierungspolitik um, ohne die Hauptmerkmale des Multikulturalismus zu verändern. Die Auflösung des staatlichen „Integrationsausschusses“ und die Befugnis der/des „Gleichstellungsbeauftragten“, die/der auch die Durchsetzung der Antidiskriminierungsgesetze überwacht, sind ein Zeichen für den Vertrauensverlust in den Multikulturalismus.
Das derzeitige Kabinett aus Sozialdemokrat_innen und Grünen hat in einem Strategiedokument den Antirassismus hervorgehoben, jedoch keine wesentlichen Änderungen an seiner Integrationspolitik vorgenommen. Der Einfluss der wachsenden - und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung populärsten - Partei, der rechtspopulistischen "Schwedendemokraten", hat die assimilatorischen Ideen verstärkt. Parallel zum Zerfall des Wohlfahrtsstaates hat dies eine Debatte ausgelöst, die auf weniger integrative staatliche Ansätze hindeutet. Inwieweit diese Ideen tatsächlich umgesetzt werden, ist noch unklar. Parallele Entwicklungen sind auf kommunaler Ebene zu beobachten. Einige Gemeinden treiben assimilatorische Ideen voran, größere Stadtverwaltungen nicht.
Der öffentliche Dienst in Schweden fördert weiterhin die Vielfalt und gleichberechtigte Teilhabe. Obwohl dies nie vorgeschrieben war, nahmen die staatlichen Arbeitgeber eine Politik der Vielfalt an, die ab den 1990er Jahren die Diversität im öffentlichen Dienst förderte. Diese Diversity-Strategien stützten sich auf eine landesweite Infrastruktur, die in den gesetzlich vorgeschriebenen Gleichstellungsmaßnahmen festgelegt war, legten jedoch einen Schwerpunkt auf Multikulturalismus. Jüngste Entwicklungen haben diese politischen Strukturen entlang der Diskurse um „Gleichbehandlung“ verändert, wobei intersektionale Ansätze und Menschenrechte hervorgehoben wurden. Es gibt nur wenige Anhaltspunkte dafür, dass diese Ambitionen ins Stocken geraten sind, doch die Erforschung der Strukturen und Auswirkungen der Diversitätspolitik ist aufgrund liberal-konservativer Regierungsstrategien seit 2006 zurückgegangen. Ein zentraler politischer Bezugspunkt ist die als „Diskriminierungsgesetz“ („Diskrimineringslag”, 2008) bekannte Antidiskriminierungsreform, die die Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung von ethnischen und religiösen Minderheitengruppen weiter betont und auch andere Kategorien wie Geschlecht und Alter berücksichtigt. Folglich müssen öffentliche Dienstleistungen weiterhin integrativ sein und allen Bürgerinnen und Bürgern, die eine Karriere im öffentlichen Dienst anstreben, gleiche Chancen bieten. Akademische Untersuchungen darüber, wie inklusiv öffentliche Dienstleistungen tatsächlich sind, sind selten.
Eine kurze Darstellung der Situation zeigt, dass trotz der Tatsache, dass ein Drittel der Bevölkerung eine Einwanderungsgeschichte hat (d.h. ein oder zwei im Ausland geborene Eltern) und 20 Prozent zugewandert sind, weder der Sektor des Zentralstaats noch die lokalen Gebietskörperschaften es vollständig geschafft haben, die Zusammensetzung der Bevölkerung widerzuspiegeln. Dies würde auf eine Diskriminierung sowohl bei der Einstellung als auch im Arbeitsumfeld und bei der beruflichen Entwicklung hinweisen. Öffentliche Dienstleistungen machen etwa ein Drittel des Arbeitsmarktes aus, wobei der größte Teil der Beschäftigten in den kommunalen Dienstleistungsorganisationen arbeitet. Insgesamt gesehen sind Migrant_innen in der Hälfte der 290 Gemeinden fair und in der anderen Hälfte unterrepräsentiert. Auf der Ebene des Zentralstaates haben rund 19 Prozent der Beschäftigten einen migrantischen Hintergrund, eine Zahl, die in den letzten zwei Jahrzehnten stetig zugenommen hat.
Wenn wir uns die Positionen von nach Schweden zugewanderten Menschen genauer ansehen, wird deutlich, dass ihre Präsenz verzerrt ist. Auswertungen aus dem Jahr 2007 zeigen, dass im migrantische Arbeitnehmer_innen in Kommunen in Arbeiterberufen überrepräsentiert sind: Reinigungskräfte, Kantinenbelegschaft, Gesundheits- und Pflegepersonal und so weiter. Dagegen sind sie in Wirtschaftsbereichen wie Sozialarbeit, Lehre und dem öffentlichen Dienst unterrepräsentiert, dort aber immer noch mehr als in Spitzenpositionen wie Manager_innen, Anwält_innen sowie Direktor_innen. Im staatlichen Sektor stammten nur etwa 10 Prozent der leitenden Beamt_innen aus dem Ausland. Je höher man also in der Führungsebene ist, desto geringer ist der Anteil bzw. die Teilhabe von Migrant_innen.
In den schwedischen Metropolen stellen im Ausland geborene Menschen und ihre Kinder einen Großteil der städtischen Bevölkerung dar - etwa 40 Prozent.. Allerdings sind nur 2,7 Prozent der höchsten Stadtbeamt_innen in einem anderen Land als Schweden geboren. Horizontale Statistiken aus dem staatlichen, regionalen und kommunalen Sektor zeigen, dass Minderheitengruppen eher in sozialen, kulturellen und pädagogischen Berufen tätig sind und weniger in technischen und Sicherheitsberufen. Letztere verfügen häufig über größere Ressourcen und Befugnisse in ihren Tätigkeiten.
Die Folgen eines nicht repräsentativ besetzten öffentlichen Dienstes können schwerwiegend sein. Etwa eine Million nicht-weiße Schwed_innen sind und fühlen sich in Bereichen, die sie finanzieren und die sie als Steuerzahlende und Wähler_innen bilden, nicht gerecht vertreten. Studien zeigen, dass ein fehlendes Verständnis für die Lebensrealitäten von Menschen, die einer Minderheit angehören, einen Einfluss darauf haben kann, wie diese Menschen in Vorgängen der Kommunalverwaltung behandelt werden oder wie sie sich selbst in diesen Prozessen verhalten. Repräsentationsdebatten sind jedoch selten. Ein Hindernis ist der allgemeine Glaube an meritokratische Prinzipien und die Umverteilungseffekte des Wohlfahrtsstaates. Da Schweden als Vorbild für Integration gilt, wird die Kritik an der Ungleichheit schnell vernachlässigt. Die Unterrepräsentation von Minderheitengruppen und das Fehlen fairer Karrieremöglichkeiten werden oft eher als individuelles denn als gesellschaftliches Problem gesehen. Zu behaupten, diskriminiert zu werden, ist ein soziales Tabu. Stattdessen werden Einzelpersonen ermutigt, härter zu arbeiten und die gebotenen Möglichkeiten effizient zu nutzen. Dieser ideologische Stillstand neigt eher dazu, das Gefühl der Ausgrenzung noch zu verschlimmern.
Autor:
Nazem Tahvilzadeh, PhD Public Administration, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung für Stadtplanung und Umwelt des Royal Institute of Technology (KTH) in Stockholm.
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