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Wie eine unaufgeregtere und ehrlichere Debatte zum Thema Migration gelingen könnte
Benjamin Franklin hat einmal das berühmte Zitat geprägt, dass „nichts in dieser Welt gewiss ist, außer der Tod und die Steuern.“ Aber neben diesen beiden ist auch zumindest ein weiteres Phänomen gewiss: Migration.
Menschen migrieren seitdem es Menschen gibt, was das Phänomen deutlich älter macht als Steuern. Aber wie auch Tod und Steuern wird die Geschichte der Migration eher negativ dargestellt.
Was sollten Organisationen und Individuen, die für eine humanere und moderatere Migrationspolitik eintreten daher tun, um der vorherrschenden negativen Berichterstattung entgegenzuwirken? Leider gibt es kein Patentrezept um die Migrationsdebatte zu verändern. Aber neue Forschung macht deutlich, dass zumindest der Versuch schlicht lauter zu sein als die Befürworter einer restriktiven Migrationspolitik kontraproduktiv ist. Dieser Ansatz verstärkt die öffentliche Wahrnehmung, von Migration als „Krise“. Stattdessen wären weniger Aufregung und mehr Ehrlichkeit auf beiden Seiten der Debatte wichtig.
Verstärkte Aufmerksamkeit und Migration in der „Krise“
In vielen europäischen Ländern konzentrieren sich die Migrationsdebatten in den Medien auf Flüchtlinge, Asylsuchende und irreguläre Migrant_innen. Daten von Eurostat zeigen jedoch, dass dieser Fokus irreführend ist. Im Jahr 2022 wurden in der EU 3,7 Millionen Aufenthaltstitel neu ausgestellt: Davon 42 Prozent für Arbeit, 24 Prozent für Familienmitglieder, 13 Prozent für Bildung und nur 11 Prozent für Asyl.
Die überwältigende Mehrheit der stattfindenden Migration ist also legal und weitestgehend unumstritten. Dennoch lässt sich in Europa ein Anstieg populistischer Politiken verzeichnen, in denen Migration eine zentrale Rolle spielt. Schlagworte wie „die Kontrolle zurückgewinnen“ oder der „Schutz unserer europäischen Lebensweise“ werden von Politiker_innen in Migrationsdebatten bemüht, um die Aufmerksamkeit der Medien zu gewinnen, wobei die Rhetorik der etablierten Politiker_innen und der extremen Rechten teils zu verschwimmen beginnt, wenn von "Invasionen" und "Fluten" gesprochen wird.
Diese erhöhte Aufmerksamkeit für Migration geht einher mit der Annahme, dass Migration gleichbedeutend ist mit der weltweiten Mobilität armer Bevölkerungsschichten und dass es eine Migrationsdauerkrise gäbe. Diese Annahme einer Dauerkrise, gepaart mit der erhöhten Aufmerksamkeit für das Thema dient der Agenda extrem rechter Parteien, denen es dadurch leichter fällt auch etablierte Politiker_innen näher an den rechten Rand zu ziehen.
Natürlich hat Migration negative, wie auch positive Folgen und vernünftige Menschen könnten darüber streiten mit welcher Politik man am besten mit dem Phänomen umgeht. Allerdings prägt die ausschließlich problemzentrierte Sicht auf Migration die öffentlichen Debatten so sehr, dass wir dazu neigen Migration nur noch aus dieser Perspektive wahrzunehmen. Wir sprechen nicht über Migration, wenn es um „internationale Fußballtransfers“ geht (auch wenn es sich hierbei um Migration handelt). Und die EU tut ihren Teil um „Migration“ als Unwort zu verankern, indem sie für die Migration von Unionsbürger_innen innerhalb der EU lieber den Begriff „mobile EU-Bürger“ bevorzugt.
Das Ergebnis ist, dass heute allein der Begriff „Migration“ selbst schon als Problem wahrgenommen wird. Infolgedessen tragen diejenigen, die versuchen diese negativen Darstellungen durch positive Beiträge und Geschichten zu widerlegen oder zumindest zu kompensieren, auch dazu bei die Aufmerksamkeit auf die Migrationsdebatte noch weiter zu vergrößern und in der Öffentlichkeit das Gefühl zu erzeugen, dass „Migration gerade ein ganz großes Problem“ ist. Dieses Krisen-Framing kann die Nachfrage nach schnellen und radikalen "Lösungen" schüren, die in der Regel restriktiv sind.
Wie weiter?
Eine erste Empfehlung, um diesem Trend entgegenzuwirken, besteht darin, nach Möglichkeit zu versuchen, die öffentliche Aufregung in der Migrationsdebatte zu dämpfen, anstatt die „Lautstärke“ zu erhöhen. Bemühungen um einen Narrativwechsel in der medialen Diskussion, um die Nachfrage nach restriktiven politischen Maßnahmen zu verringern, könnten effektiver sein, wenn sie sich auf langfristige strategische Ansätze konzentrieren, die die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema verringern. Es gibt Anzeichen dafür, dass dies - vielleicht überraschenderweise - im Vereinigten Königreich funktioniert hat:
Im Vorfeld des Brexit-Referendums lieferten endlose britische Zeitungsartikel alarmierende Geschichten über das hohe Maß an EU-Migration. Es wurde über Sozialhilfekosten spekuliert, Sorgen über Kriminalität geäußert und Gerüchte über Städte voller Einwohner_innen verbreitet, die kaum Englisch sprechen konnten. Dies trug zu den Bedenken der Öffentlichkeit bei, dass die Einwanderung "außer Kontrolle" sei, und schließlich zum Brexit.
In den drei Jahren nach dem Brexit-Referendum (2016 - 2019) blieben die Zuwanderung und der Wanderungssaldo nach Großbritannien in etwa auf demselben Niveau wie zuvor. Doch das Vereinigte Königreich stand nun vor neuen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen, was dazu führte, dass die Berichterstattung über Migration in den Nachrichten stark abnahm und damit auch die öffentliche Besorgnis über Einwanderung.
Die Entspannung der Einstellungen war so bemerkenswert, dass 2019 eine Pew-Analyse ergab, dass das Vereinigte Königreich die Vorteile von Einwanderung von allen europäischen Ländern am positivsten bewertete. Die Politik folgte diesem Beispiel. Das Einwanderungssystem nach dem Brexit war zwar für EU-Bürger_innen nun wesentlich restriktiver, liberalisierte aber die Vorschriften für einen Großteil der anderen Länder und erleichterte es den Menschen, zum Arbeiten oder Studieren in das Vereinigte Königreich zu kommen. Die Resonanz der Zuwanderer_innen auf diese Liberalisierung war so groß, dass der Trend sich nun wieder in die andere Richtung umkehren könnte.
Eine zweite Empfehlung bezieht sich auf die Forderung nach politischer Ehrlichkeit. Einfache aber unerreichbare „Lösungen“ für Migrationsfragen zu versprechen, haben die Debatten vergiftet und eine Kultur der politischen Unehrlichkeit sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite der Migrationsdebatte gefördert. Dazu gehören die Versprechen, die „Migrationsströme“ durch Abschreckungsmaßnahmen zu stoppen, ebenso wie die Behauptung, dass mehr "sichere und legale Routen" die Menschen davon abhalten würden, riskante Reisen in europäische Länder zu unternehmen. Es ist erwiesen, dass beide Behauptungen irreführend sind. Die Erwartung politischer Ehrlichkeit sollte etwas sein, das Konservative und Progressive eint und den Weg für eine gemäßigtere und nachhaltigere Politikgestaltung ebnet. Politische und zivilgesellschaftliche Organisationen, die eine liberalere Migrationspolitik befürworten, können die Debatte nicht einseitig mit ihrer eigenen möglicherweise unrealistischen "symbolischen" Politik entgiften. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie eine gemeinsame Basis finden, um auch ein Publikum mit konservativen Werten anzusprechen, anstatt zu versuchen, sie nur "umzustimmen".
Schließlich erfordert eine bessere öffentliche Politikgestaltung Klarheit und mehr Neutralität in der Sprache, die wir über Migration verwenden. Vage oder falsche Begriffe können die Rechte und den rechtlichen Status von Menschen untergraben. Dies führt zu politischen Debatten, die sich fast ausschließlich auf die Mobilität von Bedürftigen konzentrieren und viel Raum für unrealistische Schreckgespenster in den Köpfen des Publikums lässt. Das offensichtlichste Beispiel hierfür ist die Darstellung von Asylbewerber_innen als "illegale Migrant_innen".
Asylbewerber_innen reisen fast immer ohne legale Erlaubnis in ein Land ein, da nur wenige Länder ein Visum für die Beantragung von Asyl ausstellen. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention ist allerdings international vereinbart, dass sich Asylbewerber_innen in diesem Fall trotzdem legal im Land aufhalten und für ihre Einreise nicht bestraft werden sollten.
Trotz der Verbreitung dieser Desinformation werden Journalist_innen, Politiker_innen und Aktivist_innen nur selten für die Verwendung irreführender Begriffe in Migrationsdebatten zur Rechenschaft gezogen. Für mehr Klarheit ist hier ein Link zu einem großartigen Glossar: Nutzen Sie es, und weisen Sie diejenigen darauf hin, die es nicht tun!
Dieser Artikel erschien zuerst am 10.11.2023 auf Englisch bei International Politics and Society.
Rob McNeil ist Forscher und Berater mit Schwerpunkt Migration in den Medien am Centre on Migration, Policy and Society (COMPAS) der Universität Oxford.
Die im Artikel zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Äußerungen des Gastautoren spiegelt nicht notwendigerweise die Haltung der Friedrich-Ebert-Stiftung wider.
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