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Anlässlich des Internationalen Tages gegen Rassismus am 21. März sprachen wir mit Farhad Dilmaghani, dem Gründer von DeutschPlus.
Bild: Farhad Dilmaghani von DeutschPlus
Bild: World von Don Ross III / unsplash lizenziert unter CC0 1.1
FES: Heute ist der Internationale Tag gegen Rassismus. Schätzen Sie diesen, weil er Öffentlichkeit für Ihre Anliegen schafft oder ist er eher ein Zeichen für die Arbeit, die noch vor uns liegt?
Farhad Dilmaghani: Sowohl als auch. Organisationen wie DeutschPlus und andere neue deutsche Organisationen beschäftigt das Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung natürlich das ganze Jahr über. So ein Tag verschafft dem Thema für eine kurze Zeit eine größere Aufmerksamkeit. Damit machen auch wir auf unser Anliegen aufmerksam. Wir haben zu den „Internationalen Wochen Gegen Rassismus“ ein Video veröffentlicht, das wir mit Protagonist_innen der #MeTwo-Bewegung gedreht haben. Wir fordern darin die Politik auf, endlich konkrete Schritte gegen den Rassismus zu unternehmen, den Menschen mit Einwanderungsgeschichte in diesem Land immer noch tagtäglich erleben müssen und über den Tausende unter #MeTwo auf Twitter berichtet haben.
Solche Kampagnen lassen sich um so einen Internationalen Aktionstag natürlich besser verbreiten. Insofern: Gut, dass es ihn gibt. Wir wünschen uns aber auch über den Tag hinaus ein größeres gesellschaftliches und politisches Engagement bei diesem Thema. Die Debatte und das Wissen über Rassismus in Deutschland stehen leider noch am Anfang. Das beispielsweise gilt auch für die Weiterentwicklung der Antidiskriminierungsgesetzgebung, die im europäischen Vergleich schwach ausgeprägt ist.
Welche Themen beschäftigen Sie gerade besonders? Wo müssen Gesellschaft und Politik in Deutschland besonders dringend hingucken - heute zum Internationalen Tag gegen Rassismus, aktuell und grundsätzlich?
Wir müssen zunächst verstehen, dass Rassismus ein strukturelles Phänomen ist, das auf sehr viele verschiedene Weisen wirkt. Eine davon ist das nach wie vor stark eingeengte öffentliche Verständnis davon, was Rassismus überhaupt ist. Denn zu viele in Deutschland denken immer noch, Rassismus sei ausschließlich ein Phänomen, das von Rechtsextremen ausgeht. In dieser Hinsicht hinkt die öffentliche Debatte hierzulande deutlich hinterher. Das wiederum macht es unheimlich schwer, bestimmte strukturelle, teilweise auch subtile Formen von Diskriminierung überhaupt als Rassismus zu diskutieren.
Tatsache ist aber, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte in entscheidenden Positionen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Medien, Verwaltung und Politik nach wie vor deutlich unterrepräsentiert sind, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung fast 25% beträgt, Tendenz steigend. Diese Menschen sind überproportional sozial benachteiligt auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche und auch im Bildungsbereich.
Wir müssen unsere Institutionen dafür weiterentwickeln. Sie fit für Vielfalt machen. Wir haben mehrfach konkrete Vorschläge dafür gemacht, wie das gehen könnte und arbeiten derzeit in mehreren Beratungsprojekten daran, unseren Beitrag zu dieser Aufgabe zu leisten. Beispielsweise erarbeiten wir zur Zeit mit der Diakonie Deutschland den Vielfaltscheck, um die diversitätsorientierte Organisationsentwicklung in mehreren diakonischen Einrichtungen voranzutreiben.
Wie entwickelt sich in Ihrer Beobachtung derzeit Klima und Lebensgefühl in Deutschland für von Rassismus Betroffene? Machen wir als Migrationsgesellschaft aus Ihrer Sicht Fortschritte oder wirken sich die politische Debatte und die Wahlerfolge rechter Parteien eher negativ aus und führen zu verstärkten Anfeindungen?
Zunächst zum Positiven: Minderheiten und Menschen mit Einwanderungsgeschichte haben heute eine Sichtbarkeit erreicht, die vor einigen Jahrzehnten noch undenkbar gewesen wäre. Deutschland ist im Alltag in der Tat vielfältig oftmals auf eine ganz selbstverständliche und unaufgeregte Weise, insbesondere in den größeren westdeutschen Städten. Die vieldiskutierte Willkommenskultur und die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe, in der nach wie vor Millionen engagiert sind, sind zwei der größten sozialen Bewegungen zur Zeit.
Die verstärkten öffentlichen Debatten, die wir heute wieder um Fragen der Kultur, Identität und Integration erleben, sind aus unserer Sicht die Kehrseite dieser echten gesellschaftlichen Fortschritte. Das hat unser DeutschPlus-Mitglied Naika Foroutan in ihren wissenschaftlichen Arbeiten genauso wie der Soziologe Aladin El-Mafaalani treffend in seinem Buch als „Integrationsparadox“ beschrieben: Gelungene Integration führt zu neuen Verteilungskonflikten.
Auf der anderen Seite erleben wir einen absolut alarmierenden Backlash, der sich nicht nur, aber auch in den absolut gefährlichen Erfolgen rechtsextremer Parteien und damit einhergehend einer Normalisierung von deren rassistischen und demokratiefeindlichen Positionen niederschlägt. Was Menschen mit Einwanderungsgeschichte sich, gerade seit 2015, in diesem Land wieder anhören müssen, ist absolut inakzeptabel und schockierend. Wenn die in dieser Frage noch unentschlossenen Teile der Mehrheitsgesellschaft nicht endlich verstehen, dass dieser Rassismus einen fundamentalen Angriff auf unser demokratisches Miteinander insgesamt darstellt, droht uns der der ganze Laden auseinander zu fliegen.
Die Rechten sind ja nicht nur in Deutschland im Aufwind, haben neue Ressourcen zur Verfügung, strotzen vor Selbstbewusstsein und sind bestens vernetzt. Dagegen müssen wir versuchen, wirklich alle demokratischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte zu bündeln. Und wir müssen die soziale Frage stärker mit Gleichstellungsfragen und Zukunftsfragen wie dem Klimaschutz und der Globalisierung verbinden, um in der Breite Menschen zu erreichen. Deshalb sind soziale Bewegungen wie #unteilbar oder #fridaysforfuture so wichtig. Die Frage der breiten Bündnisse, der Allianzen und der Zusammenführung verschiedener gesellschaftlicher Bewegungen und von Anerkennungskämpfen ist auch für uns eine ganz zentrale. Ohne solche Bündnisse wird es keine nachhaltigen Veränderungen geben und die Zeit wird knapp.
Was wünschen Sie sich für die Einwanderungsgesellschaft?
Dass Vielfalt überall als Normalität und Tatsache anerkannt wird und wir nicht mehr so viele Scheindebatten darüber führen müssen. Ansonsten: Wir haben ja gemeinsam mit der FES ein konkretes Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft formuliert und mit vielen Maßnahmenvorschlägen versehen. Der verbindende Gedanke dabei ist: gleiche Teilhabechancen für alle. Rassismus und Diskriminierung verletzen die Grund- und Menschenrechte. Das sagt auch das Leitbild sehr deutlich. Rassismus gehört nicht zu Deutschland. Dafür stehen wir alle gemeinsam tagtäglich in der Pflicht.
Farhad Dilmaghani ist Gründer und Vorsitzender von DeutschPlus. Außerdem ist er Vorstandsbevollmächtigter der gemeinnützigen Phineo AG, die als Analyse- und Beratungshaus im gemeinnützigen Sektor aktiv ist. Als ehemaliger Staatssekretär war er verantwortlich für die Bereiche Arbeit und Integration in der Berliner Senatsverwaltung. Zuvor arbeitete er an der Wirtschaftshochschule ESMT European School of Management and Technology und war fünf Jahre im Bundeskanzleramt als Referent für Grundsatzfragen sowie Bildung und Forschung zuständig.
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