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30 Jahre demokratische Wahlen in Südafrika: Vom Willen zur Freiheit - und enttäuschten Hoffnungen

Vor dreißig Jahren richteten sich die Augen der Welt auf Südafrika. Der 27. April, das Datum der ersten demokratischen Wahlen ohne Rassendiskriminierung, nimmt in der südafrikanischen Vorstellung von Freiheit einen großen Platz ein. Das unermüdliche Streben von Generationen, die gegen Kolonialismus und Apartheid gekämpft hatten, trug endlich Früchte.

Die Wahlbeteiligung bei dieser historischen Wahl war nach allen Maßstäben hoch. Von den damals 22,7 Millionen Erwachsenen gaben über 19 Millionen ihre Stimme ab. Am höchsten war die Wahlbeteiligung bei schwarzen Südafrikaner*innen und besonders hoch bei den schwarzen Jugendlichen mit 93 %. Der African National Congress (ANC), der mit dem eindrücklichen Slogan „Ein besseres Leben für alle!“ in den Wahlkampf zog, erhielt mit 62,65 % (mehr als 12 Millionen) den größten Teil der Stimmen. An zweiter Stelle lag die Partei der Apartheid - die National Party (NP) - mit über 3,9 Millionen Stimmen, was insgesamt 20,39 % entsprach. Die nationalistische Zulu-Partei Inkatha Freedom Party (IFP) erhielt 10,54 % der Stimmen - eine beeindruckende Zahl, wenn man bedenkt, dass sie sich bis acht Tage vor den Wahlen weigerte, sich an den Wahlen zu beteiligen.

Obwohl der 27. April im südafrikanischen Geschichtskalender als Tag der Freiheit vermerkt ist, fand die Wahl selbst an mehreren Tagen statt, nämlich vom 26. bis 29. April, wobei verschiedene Zeitfenster für unterschiedliche Kategorien wie ältere und gebrechliche Menschen vorgesehen waren.

Ein holpriger Weg

Obwohl die Ereignisse, die zum 27. April 1994 führten, weithin als Wunder gepriesen wurden, gehörten sie zu den turbulentesten in der Geschichte des Landes. Entschlossen, an den Befugnissen und Privilegien der Apartheid festzuhalten, arbeiteten Teile des weißen Establishment - die oberen Ränge der Sicherheitskräfte und hochrangige Minister in der Regierung – aus verschiedensten Interessen zusammen, um Gewalt, Terror, Angst und Chaos in den schwarzen Arbeitersiedlungen zu entfesseln. Zwischen 1985 und 1994 wurden Industriegebiete in Städten in der Nähe von Johannesburg sowie in Kwa-Zulu Natal, der zweitbevölkerungsreichsten Region des Landes, von Gewalt heimgesucht, wobei mehr als 20.000 Menschen ums Leben kamen. Bei diesen Vorfällen wurden Arbeiter*innen auf dem Weg zur Arbeit aus fahrenden Zügen geschleudert. Auf die Nachtwachen, an denen Trauernde teilnahmen, wurde geschossen. Mitten in der Nacht wurden ganze Familien bei Massakern ausgelöscht. Das Land stand am Rande des Abgrunds, Tausende von Menschen wurden entwurzelt und viele verschwanden.

Die Gespräche über eine Einigung („settlement“) scheiterten an den staatlich geförderten Massakern und dem Widerstand weißer rechter und separatistischer Randgruppen. Das politisch bedeutsamste dieser Massaker ereignete sich in der Gemeinde Boipatong, etwa 70 Kilometer von Johannesburg entfernt. Mehr als 40 Menschen, darunter ein neun Monate altes Kind, wurden am 17. Juni 1992 bei einer Trauerfeier getötet und verstümmelt. Der ANC reagierte auf diese Tat mit dem Rückzug vom Verhandlungstisch und begründete dies mit der Mitschuld des Apartheidregimes an der Gewalt, die zu dieser Zeit in den Townships herrschte.

Ein Großteil der Jahre 1992 und 1993 war gekennzeichnet durch blutige und tödliche Auseinandersetzungen zwischen den ANC-nahen Township-Bewohner*innen und den Wanderarbeitern, die in Männerwohnheimen wohnten und die soziale Basis der IFP bildeten.

Am 10. April 1993 waren die Gespräche über eine Machtübergabe von der weißen Minderheit an eine demokratisch gewählte Regierung gerade wieder aufgenommen worden, als Chris Hani, der charismatische Stabschef des militärischen Flügels des ANC und Generalsekretär der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP), vor seinem Haus im Osten Johannesburgs erschossen wurde. Die Ermordung Hanis löste im ganzen Land Erschütterungen aus. Der ANC nutzte die Gelegenheit und erhöhte den Druck auf die Parteien, eine Einigung zu erzielen. Außerdem stellte er dringendere Forderungen, darunter die Bekanntgabe des Wahltermins und die sofortige Einsetzung einer Übergangsregierung.

Hoffnungen und Träume

Die Stimmabgabe war durch lange Schlangen gekennzeichnet - ein Symbol für den Willen des Volkes zur Freiheit und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Der 27. April gilt auch als ein Meilenstein auf dem Weg der Befreiung, wenngleich die Abstimmung nur ein Instrument im Werkzeugkasten der Befreiung war. Die Menschen, die in langen Schlangen befragt wurden, äußerten ihre Begeisterung und ihren Wunsch nach einer neuen Gesellschaft, äußerten aber auch die Befürchtung, dass die Bemühungen um die Schaffung einer solchen Gesellschaft durch den Aderlass im Vorfeld der Wahl behindert werden könnten.

„Ich bin seit meiner Geburt unterdrückt worden. Auch meine Eltern wurden unterdrückt. Ich habe gewählt. Ich denke, es wird sich alles zum Guten wenden“, sagte ein junger Wähler.

„Ich habe Angst, dass die Dinge aus dem Ruder laufen werden. Dass es viel Gewalt geben wird. Aber ich hoffe, dass die Dinge viel friedlicher verlaufen werden“, bemerkte eine andere.

Obwohl der ANC bei diesen Wahlen die absolute Mehrheit der Stimmen erhielt und nur knapp die Zweidrittelmehrheit verfehlte, ging die Partei auf die gegnerischen Kräfte zu und bildete eine Regierung der nationalen Einheit mit Nelson Mandela als erstem demokratisch gewählten Präsidenten des Landes und Frederik Willem De Klerk als stellvertretendem Präsidenten. Dem Kabinett gehörten auch Mitglieder der IFP und der NP an.

Im April 1994 wurde der Prozess zur Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung aus gewählten Vertretern eingeleitet, die die Ausarbeitung einer neuen Verfassung überwachen sollte, die partizipatorische und repräsentative Elemente der Demokratie miteinander verbindet. Die neue Verfassung garantiert die Würde und die grundlegenden Menschenrechte und fördert Freiheit und soziale Gerechtigkeit. Sie garantiert außerdem das Recht auf Gleichheit und verbietet Diskriminierung aufgrund von Rasse, Geschlecht, sexueller Ausrichtung oder Glauben.

Dreißig Jahre später

Dreißig Jahre sind seit diesem historischen Tag am 27. April 1994 vergangen, und ein Großteil der Hoffnung, der Aufregung und der Begeisterung hat sich verflüchtigt. Vor den siebten Parlamentswahlen am 29. Mai 2024 herrscht vor allem unter jungen Menschen viel Zynismus und Politikverdrossenheit. Die Wahlbeteiligung ist stetig gesunken bis zum vorläufigen Tiefpunkt bei den Kommunalwahlen im Jahr 2021, als nur 12 Millionen der 26 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben.

Wenn man sie auf ihre Nichtbeteiligung an Wahlen anspricht, zucken viele junge Wähler*innen nur mit den Schultern und sagen: „Was soll das bringen? Es ist doch sowieso alles das Gleiche“. Anders als die Jugendlichen, die 1994 gewählt haben, glauben viele, dass ihre Stimme keine wirkliche Veränderung bewirken wird. Und wer kann es ihnen verdenken? Die Arbeitslosigkeit, die bei über 32 % liegt, trifft junge Menschen in unverhältnismäßig hohem Maße. Junge Menschen zwischen 15 und 34 Jahren machen mehr als die Hälfte der 7,9 Millionen Menschen aus, die keinen Zugang zu einem Arbeitsplatz haben. Während die Sozialprogramme des ANC den Zugang der Armen zu Strom, Wasser, Wohnraum und Bildung verbessert haben, haben jahrzehntelange marktorientierte Politik, Misswirtschaft und Plünderung die öffentlichen Dienstleistungen kommerzialisiert und die öffentliche Infrastruktur wie Straßen, Energie und das Eisenbahnnetz dezimiert. Überall im Land stehen die Kommunen am Rande des Zusammenbruchs, der Müll türmt sich auf den Straßen und die Infrastruktur stürzt nach Jahren der Vernachlässigung ein. Die Eigentumsverhältnisse spiegeln noch immer die alte Gesellschaft wider. Das Vertrauen in öffentliche Institutionen und Politiker*innen ist auf einem historischen Tiefstand. Gewalt innerhalb der Elite, geschlechtsspezifische Gewalt und die Ausbreitung krimineller Banden hindern nicht nur viele Menschen daran, ihre Freiheit zu genießen, sondern behindern auch die demokratische Beteiligung, die für eine Wende in der Politik des Landes notwendig wäre. Während sich die Südafrikaner*innen auf das Jubiläum „30 Jahre Demokratie“ und die vielleicht wichtigsten Wahlen seit 1994 vorbereiten, wächst die Skepsis gegenüber dem Versprechen des ANC, ein besseres Leben für alle zu schaffen. Die Frage ist: Glauben Südafrikaner*innen noch, dass eine bessere Zukunft unter fortgesetzter ANC-Regierung möglich ist? Die Wahl am 29. Mai wird einige Antworten auf diese Frage liefern.

Phindile Kunene (FES Südafrika)

 

Links und Literatur:

P. Bonner und N. Nieftagodien, Ekurhuleni: the making of an urban region, 2012.

Ein Blick auf den Wahltag am 27. April 1994: https://www.youtube.com/watch?v=gevTpcJTtHM

R. Jennings, D. Everatt und G. Masebe, Young people at the polls: youth voting in the 1994 and 1995 elections Indicator South Africa, Vol.15, Issue 4, January 1998, pp. 9 – 14. https://journals.co.za/doi/pdf/10.10520/AJA0259188X_1456

Wahlergebnisse auf nationaler und Provinz-Ebene 1994: https://www.elections.org.za/content/uploadedfiles/NPE%201994.pdf

Violence in the time of negotiations: The Boipatong massacre: https://www.saha.org.za/news/2014/May/violence_in_the_time_of_negotiations_the_boipatong_massacre.htm


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