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Wohnen | 20. November 2023 | Interview von Ronny Arnold | Lesezeit: 5 Minuten
Wer kann mit seiner Idee für ein Wohnprojekt zum „Netzwerk Leipziger Freiheit“ kommen?
Jens Gerhardt-Strahl: Unser Kerngeschäft sind Baugemeinschaften aller Couleur. Da geht es ausschließlich um kooperatives Wohnen, nicht um Gewerbe. Und bei den Projekten, die wir beraten, am Ende immer um bezahlbare Mieten. Wir beraten nicht, wenn Leute genug Geld in der Tasche haben und ihre Projekte selbst finanzieren können und sich auch die Beratung leisten können. Das würde unseren Rahmen sprengen und zu viele Ressourcen verbrauchen.
Wir beraten zu 80 Prozent im Bestand und aktuell weniger im Neubaugeschäft. Der klassische Fall sind Mieterinnen und Mieter, die vom Verkauf ihres Hauses Wind bekommen und sich fragen, ob sie es nicht einfach selbst kaufen sollten. Einfach ist das natürlich nicht, weil viele Faktoren zusammenkommen müssen, damit das klappt. Hinzu kommt, dass momentan die Rahmenbedingungen nicht die allerbesten sind, sprich hohe Zinsen und gestiegene Baukosten. Das ist auch bei uns ein großes Thema.
Wie hat sich der Leipziger Immobilienmarkt in den vergangenen Jahren entwickelt?
Etwa 2015 war der Immobilienmarkt bereits deutlich angespannt. Schnäppchen wie noch um die Jahrtausendwende, wo sie ein Objekt für 50.000 Euro bekommen konnten, sind längst vorbei. Deshalb können wir letztlich immer nur agieren, wenn Eigentümerinnen und Eigentümer nicht den Maximalpreis fordern, sondern mit der Mietergemeinschaft auf Augenhöhe in Verhandlungen gehen. Das Finanzierungskonzept, das am Ende alle Kosten umfasst und für das wir auch durch unsere Beratung zuständig sind, muss verlässliche Mieten garantieren. Also den Leuten im Haus, die gemeinsam das Objekt kaufen, einen sicheren und auf lange Sicht finanziellen Rahmen bieten, bei dem sie sich nicht zu hoch verschulden. Sie müssen sich die Immobilie tatsächlich leisten können, auch wenn die Haushaltseinkommen überschaubar sind.
Wie kann das konkret funktionieren?
Unser großes Plus ist Geschwindigkeit. Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir unglaublich schnell unsere Beratungsleistungen einbringen und ein Angebot zusammenbauen. Weil es diesen Moment gibt, wo vielleicht der Eigentümer bereit ist, kurz vom Markt zurückzutreten und mit den Mieterinnen und Mietern direkt verhandelt. Und auch seinen Makler so ein bisschen an die Leine nimmt. Dann ist aus unserer Erfahrung etwa ein halbes Jahr Zeit, um das auf den Weg zu bringen. Dafür braucht es einige wichtige Entscheidungen. Die Hausgemeinschaft muss sich finden und darüber klar werden, ob sie Geld in die Hand nehmen will für die Idee, das Objekt zu übernehmen. Diesen Prozess moderieren wir, stellen Kontakte her, erarbeiten das gemeinsame Konzept. Da geht es auch darum, Banken zu überzeugen, dass die daran glauben. Die Gruppe muss keinen Antrag schreiben, die muss lediglich an den Eigentümer herantreten, der uns dann per Unterschrift versichert, dass er jetzt nur noch mit dieser Gruppe verhandelt. Wenn wir das nicht machen, frisst es unsere Beratungsressourcen auf.
Wie ist Ihr Netzwerk entstanden?
Uns gibt es, weil die Stadt Leipzig das Netzwerk 2015 in ihrem „Wohnungspolitischen Konzept“, dem WoPoKo, als Instrument eingebaut hat. Also als Anlaufstelle und Drehscheibe für Wohnprojekte. Sie hat sich dort klar für eine Stärkung kooperativer Wohnformen ausgesprochen. Nur so können wir kontinuierlich Initiativen mit unserem Beratungsangebot helfen, sei es im Bestand oder auch bei Neubauten durch die Vergabe städtischer Liegenschaften im Konzeptverfahren. Wir beraten letztlich zu allen Fragen rund ums kooperative Bauen und Wohnen. Da geht es darum, Hürden für die Umsetzung abzubauen. Das WoPoKo ist letztlich die Arche, in die wir reinklettern konnten. Das löst jetzt sicher nicht alle Probleme auf dem Leipziger Wohnungsmarkt. Aber es ist ein kleiner, wichtiger Baustein, der auch Richtung Zivilgesellschaft eine durchaus größere Wirkung entfalten kann.
Wie meinen Sie das? Und wie wichtig ist finanzielle Hilfe der Stadt?
Wenn Leute sich in diesen Hausprojekten selbst organisieren, dann spielt das auch zivilgesellschaftlich eine Rolle. Und wenn das wie in Leipzig funktioniert, dann ist dieses Konzept am Ende nicht nur irgendein Papier. Es unterscheidet sich von vielen anderen wohnungspolitischen Konzepten in Deutschland, weil es mit finanziellen Mitteln der Stadt untersetzt ist. Das gibt allen Beteiligten Sicherheit und davon leben die Qualität, die Kultur und unsere Beratung der Baugemeinschaften.
Allein für die Koordinationsstelle des Netzwerks gibt es für zwei Jahre circa 180.000 Euro, dazu kommen noch einmal ein Jahresbudget von etwa 50.000 Euro für die Beratungen. Damit schaffen wir es, die Fälle abzuarbeiten, die uns angetragen werden. Und wenn das Budget extrem am Anschlag sein würde, hätte man in der Stadtpolitik wahrscheinlich sogar auch Ohren dafür, da auch noch etwas draufzupacken. Das ist meines Wissens ziemlich einmalig in Deutschland.
Wie funktioniert die Arbeit des Netzwerks?
Wir sind ein Leipziger Stadtentwicklungsbüro, erarbeiten Bebauungspläne, integrierte Konzepte, auch auf dem freien Markt. Parallel dazu sind wir als „Netzwerk Leipziger Freiheit“ die Drehscheibe und organisieren den Zusammenhalt, gemeinsam mit einzelnen Partnern. Mit denen schließen wir Rahmenverträge, damit die Kompetenzen verteilt sind. Dabei sind die Konditionen klar, wenn eine Gruppe kommt und wir sie beraten. Es gibt Konzeptberater, die die ganze Gruppe im Auge haben und als Ansprechpartner für alle kritischen Fragen da sind. Also welche Art von Gemeinschaft wollt ihr? Könnt ihr euch das wirklich leisten? Welche Perspektiven seht ihr für euer Wohnprojekt? Dann werden die Gespräche mit Banken angebahnt. Und es gibt weitere Fachberater, die auch mit Rahmenverträgen ans Netzwerk gebunden sind. Die werden alle zwei Jahre ausgeschrieben, das sind zum Beispiel Architekten, Juristen oder Energieberater. Auch wir als Koordinationsstelle müssen uns alle zwei Jahre neu bewerben.
Warum leistet sich die Stadt Leipzig so ein Netzwerk, überlässt den Immobilienmarkt nicht sich selbst und verdient einfach am Verkauf von städtischen Flächen und Häusern?
Mit dem WoPoKo hat sich die Stadt für eine aktive Stadtteilentwicklung entschieden. Und dazu gehören laut dem Konzept ganz klar auch bestimmte Wohnprojekte. Man hat sich also bewusst für diesen Weg entschieden. Es braucht Steuerbarkeit in einer Stadtentwicklung, wo man es proaktiv selbst in die Hand nehmen kann. Die Einsicht kam dann 2015, dass man für bestimmte Qualitäten bestimmte Entwicklungen braucht. Und eben ein Konzept, in dem Instrumente verankert sind, dass etwa kommunale Grundstücke nicht mehr zum Höchstpreis verkauft werden, sondern nur noch im Konzeptverfahren. Damit hat man ein Werkzeug, ein wohnungspolitisches Instrument, um eben bezahlbares Wohnen gezielt zu fördern.
Wird die Entwicklung der Wohnprojekte und damit der Stadtviertel von allen Parteien des doch sehr breit aufgestellten Leipziger Stadtrates positiv gesehen?
Wir sind nicht politisch, wir arbeiten im Auftrag der Stadtverwaltung. Wir versuchen, die gesamte Breite einer Landschaft von Wohnprojekten zu unterstützen. In anderen Städten kommen eigentlich nur noch Genossenschaften zum Zug. Mit dem „Mietshäuser Syndikat“ etwa, deren Modell sehr solidarisch angelegt ist, selbstorganisiert und sozial, arbeiten wir auch. Das heißt, es geht um Eigentumsbildung aller Couleur. Das hat immer auch einen politischen Hintergrund. Und wenn es in der Breite überzeugt, können sich dem dann doch viele Parteien anschließen. Wir versuchen, das rein fachlich nach außen zu garantieren, zu stabilisieren. Letztlich immer mit dem Anspruch, stabilen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Es sind keine Projekte des linken Spektrums, sondern es sind Projekte der Stadtmitte. Unser Weg, auf dem wir keine parteipolitischen Ziele verfolgen, bringt überraschende Partnerschaften.
Welche Partnerschaften sind das?
Wir werden jetzt im Herbst die Kampagne „Mein Haus in gute Hände“ starten. Dabei ist der Verein „Haus & Grund“ ein Partner, der die Eigentümer vertritt. Also eine Allianz mit Hausbesitzern, die gerade einen ziemlich dynamischen Generationswechsel erleben. Da sind viele Menschen, die nach der Wende 1990 in Leipzig Wohnungen oder ganze Häuser als Wertanlage gekauft haben. Doch deren Erben wollen das vielleicht gar nicht haben. Und bevor die das jetzt an große Immobilienplayer verkaufen, wollen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass in den Häusern Menschen wohnen, Familien mit Kindern, Rentner, auch sozial Schwächere, die selbst Eigentümer werden könnten. Da sind über Jahre gewachsene Wohngemeinschaften, die zerfallen könnten, wenn die Mieten weiter steigen. Und daher ist es für die Idee, dass die selbst Eigentümer werden können, jetzt ein guter Moment. Kommt es dazu, kann die Mietergemeinschaft wieder Mitglied bei „Haus & Grund“ werden. Gemeinsam mit „Haus & Grund“ wollen wir die Erben überzeugen, wenigstens darüber nachzudenken und das Lebenswerk der Eltern nicht einfach zu zerstören. Diese jetzige Situation ist definitiv eine Chance für einen sozial ausgewogenen Wohnungsmarkt.
Und wie viele Wohnprojekte sind tatsächlich durch das Netzwerk entstanden?
Seit 2016 haben wir 77 Projekte, die bei uns durchgelaufen sind. Es gibt drei bis fünf Prozent davon, die definitiv gescheitert sind. In fast allen Fällen, weil Eigentümer kurz vor Unterzeichnung des Kaufvertrages die Verhandlungen abgebrochen haben. Die wären sicher nicht wirtschaftlich gescheitert. Aber wir müssen das Projekt leider abschreiben.
Dann gibt es die, die mittlerweile umgesetzt sind. Beispiel ist die „Klinge10“, ein solidarisches Wohnprojekt im Leipziger Westen. Ein Neubau, der etwa 30 Personen zukünftig ein Dach über dem Kopf bieten wird. Die ziehen jetzt gerade ein, erste Kontakte mit uns gab es 2017. Da können wir jetzt ein Haken dahinter machen, nach sechs Jahren!
Insgesamt sind es etwa 15 Wohnprojekte wie dieses, die für uns abgeschlossen sind und die auch tatsächlich umgesetzt wurden. Das ist aber, durch die Vergabe- und Planungszeit und dann die gesamte Realisierung, normal. Dazu kommen die restlichen Projekte, die bei uns in der Kategorie „Erfolgsaussicht offen“ stecken. Da gibt es leider noch keine finale Entscheidung mit dem Eigentümer aber zum Teil auch noch Unabwägbarkeiten in der Gruppe. Und das vorhin besagte halbe Jahr, das optimal ist bis zum Kauf, ist da längst überschritten. Damit schwinden die Erfolgsaussichten. Weil dann auch die Baugruppe in eine Dynamik kommt, die ihre gemeinsame Idee ins Wanken bringt. Am Ende braucht es Geduld, da gehört ein langer Atem dazu. Aber die Aussicht, dass immer wieder Projekte umgesetzt werden, ist letztlich ein wunderbarer Antrieb.
Das „Netzwerk Leipziger Freiheit“ entwickelt Ideen für kooperative Wohnformen. Seit 2016 unterstützt es Mieter_innen dabei, in eigenen Häusern zu leben.