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Den "Nord-Süd-Konflikt" zu überwinden – keine Kleinigkeit, die sich die sogenannte "Brandt-Kommission" vorgenommen hatte. Vor 40 Jahren, am 12. Februar 1980, legte Willy Brandt den Vereinten Nationen den Abschlussbericht "Das Überleben sichern. Gemeinsame Interessen der Industrie- und Entwicklungsländer" vor. In welchem Kontext die Nord-Süd-Kommission arbeitete und welche Resonanz der Bericht erfuhr, daran erinnert unser Beitrag.
Bild: von J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung
Auf Anregung des damaligen Weltbankpräsidenten Ralph McNamara übernahm Willy Brandt 1977 die Gründung einer "Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen". Die Erfolge seiner Ost-West-Entspannungspolitik, sein Renommée als Friedensnobelpreisträger, prädestinierten ihn für diese Mission und halfen ihm dabei, Mitstreiter_innen aus Entwicklungs- und Industrieländern zu finden, darunter etwa der britische konservative Ex-Premierminister Edward Heath oder der schwedische sozialdemokratische Ministerpräsident Olof Palme, und als einzige Frau: Katherine Graham, Herausgeberin der "Washington Post". Die UdSSR und die Volksrepublik China hatten eine Mitarbeit verweigert.
Die Lage war kompliziert: Die Erdölkrise 1973/74 brachte den Interessenkonflikt zwischen Industrieländern einerseits und Entwicklungsländern andererseits ins öffentliche Bewusstsein. Die einseitige Erhöhung der Erdölpreise durch die Erzeugerländer in der "Dritten Welt" führte den Industrieländern ihre Rohstoffabhängigkeit drastisch vor Augen und installierte die "Dritte Welt" als neuen Machtfaktor. Die "Gruppe der 77" - ein loser Zusammenschluss blockfreier Entwicklungsländer - forderte die Errichtung einer "Neuen Weltwirtschaftsordnung" und eine Veränderung der Bedingungen auf dem Weltmarkt zu ihren Gunsten. Handelshemmnisse sollten abgebaut, die Entwicklungsländer in die Entscheidungsprozesse von IWF und Weltbank einbezogen werden.
1974 verabschiedete die UN-Vollversammlung eine Erklärung und ein Aktionsprogramm zur Errichtung einer "Neuen Weltwirtschaftsordnung" sowie die "Charta über die wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten" - letztere allerdings gegen die Stimmen der USA und der Bundesrepublik Deutschland. Der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt galt als Hardliner und hatte in der Krise auf eine Kürzung der deutschen Entwicklungshilfe bestanden.
Willy Brandts erklärter Wille war es, zwischen "Nord" und "Süd" zu vermitteln und beide Seiten gleichberechtigt zu behandeln. Er betonte die gemeinsamen Interessen von Industrie- und Entwicklungsländern und deren gegenseitige Abhängigkeit voneinander. Entwicklungspolitik sollte nicht länger nur "Hilfe" oder generös, sondern derart gestaltet sein, dass die Entwicklungsländer einen gerechten Ertrag für ihre eigenen Produktionsanstrengungen erzielen können. Zugleich stellte die Entwicklungspolitik für Brandt eine neue Dimension globaler Friedenspolitik dar, denn nicht nur Atomwaffen, sondern auch Wirtschaftskrisen, Hungerkatastrophen und ökologische Zerstörung bedrohten nach seiner Ansicht den Weltfrieden.
Nach langwierigen Diskussionen und Beratungen stand am Ende ein über 300 Seiten langer Bericht, der sich nahezu allen Bereichen der Entwicklungsproblematik widmete. Die wichtigsten Vorschläge waren:
Durch einen massiven öffentlichen Kapitaltransfer von Nord nach Süd in Höhe von 50 bis 60 Mrd. Dollar jährlich sollte das weltwirtschaftliche Wachstum belebt und ein durchgreifender Aufschwung hervorgerufen werden. Die Entwicklungshilfeausgaben der Industriestaaten sollten bis 1985 auf 0,7% und bis 2000 auf 1% des jeweiligen nationalen Bruttoinlandsprodukts erhöht werden.
Das waren ambitionierte Ideen - die vor allem zur falschen Zeit kamen. In der medialen Öffentlichkeit standen sich harte Kritik ("dummes Geschwätz" oder "politisch fragwürdig") seitens Politik und Wissenschaft und begeisterte Aufnahme in kirchlichen oder Dritt-Welt-Gruppen gegenüber. Vor allem die Kirchen unterstützten die Forderung nach einer Armutsbekämpfung, die diesen Namen verdiente. Nach höflich bekundeter Wertschätzung ignorierten die entscheidenden Politiker den Bericht und seine Forderungen. Der Einmarsch der UdSSR in Afghanistan provozierte eine Ost-West-Krise, die den Nord-Süd-Dialog völlig in den Schatten stellte. Ronald Reagan in den USA und Margret Thatcher in Großbritannien verfolgten eine von Nationalinteressen geleitete wirtschaftsliberale Politik, die nur wenig Raum für internationalen Interessenausgleich ließ.
Umgesetzt wurde von den Vorschlägen nur sehr wenig. 1981 folgte eine Internationale Konferenz über Zusammenarbeit und Entwicklung in Cancun unter Beteiligung von 22 Staats- und Regierungschefs, allerdings ohne greifbare Ergebnisse. 1983 übergab Willy Brandt einen zweiten Bericht der Nord-Süd-Kommission mit einem aktualisierten Dringlichkeitsprogramm - das von den konservativen Regierungen in Washington, London und Bonn entschieden abgelehnt wurde. Brandt selber machte aus seiner Enttäuschung über das vergleichsweise geringe Interesse vor allem in Deutschland keinen Hehl: "Die deutsche Politik ist rückständig auf diesem Gebiet, und die Intelligenz in diesem Landes ist es noch mehr." Und in seinen Erinnerungen resümiert er:
" … dass alle Bemühungen um einen konstruktiven Nord-Süd-Dialog scheiterten oder ins Leere liefen."
Im Katalog unserer Bibliothek finden Sie Literatur rund um den Bericht und die Arbeit der Nord-Süd-Kommission. Der Titel "Entwicklung und Frieden im 21. Jahrhundert" beschäftigt sich mit der Wirkungsgeschichte des Brandt-Berichts. In der Online-Biografie Willy Brandts kann die Rede Willy Brandts als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission vor der United Nations Association in New York vom 26. Oktober 1978 abgerufen werden.
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