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Die menschliche Gestaltung der Arbeitswelt ist ein Anliegen der Arbeiter_innenbewegung und der sozialen Demokratie. Arbeitsschutz, Umweltschutz und Mitbestimmung gehen Hand in Hand. Einen historischen Blick auf die Geschichte dieser Humanisierungsbemühungen werfen Nina Kleinöder, Stefan Müller und Karsten Uhl in ihrem Band „Humanisierung der Arbeit. Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts“. Mit den drei Autor_innen sprach Mascha Schlomm.
Frage: Ihr habt einen Sammelband zur Geschichte der „Humanisierung der Arbeit“ herausgegeben. Worum geht es euch darin?
Stefan Müller: Mit dem Begriff „Humanisierung“ der Arbeit (oder des Arbeitslebens) wurden seit den 1960er-Jahren die vielfach schlechten Arbeitsbedingungen insbesondere in der Industrie kritisiert. Eine hohe Anzahl von Arbeitsunfällen, schwere körperliche Arbeit, aber auch die verdichtete und extrem monotone Fließbandarbeit wurden als unmenschlich betrachtet. Unser Buch stellt dabei das Regierungsprogramm von 1974 „Humanisierung des Arbeitslebens“ in den Mittelpunkt und diskutiert davon ausgehend, wie Gewerkschaften, Unternehmen, Politik und Wissenschaften über Probleme und Herausforderungen der Arbeitswelt nachgedacht und welche Initiativen sie unternommen haben. Das HdA-Programm war Ergebnis eines sozio-kulturellen Wandels, veränderter Anforderungen in Unternehmen und schließlich ein zentrales sozialdemokratisches Reformprojekt. Es ging nicht nur um Arbeits- und Gesundheitsschutz, sondern auch um Demokratie am Arbeitsplatz und Entfaltung der Persönlichkeit.
Karsten Uhl: Wir wollten zudem herausarbeiten, dass wichtige Charakteristika einer menschlicheren Gestaltung der Arbeit bereits in früheren Rationalisierungsdebatten vorhanden waren. Humanisierungsmaßnahmen konnten beispielsweise seit den 1920er-Jahren integraler Bestandteil der unternehmerischen Rationalisierungsvorhaben sein. Seit den 1950er-Jahren wurde Automation dann stärker als Gefahr für Arbeitsplätze diskutiert. Wobei Automation immer auch als Chance gesehen wurde, die Eintönigkeit von Fließarbeiten zu verringern. Eine menschlichere Gestaltung der Arbeitsplätze und der Arbeitsumgebung (hierzu zählen Kantinen und andere Sozialräume ebenso wie verbesserte Licht- und Luftverhältnisse) sollte die Motivation zur Arbeit und damit auch die Arbeitsleistung erhöhen. Hier konnten sich widerstreitende Interessen treffen und zu Kompromissen gelangen; in der historischen Analyse ist dabei selbstverständlich die konkrete Gestaltung der Machtbeziehungen zu berücksichtigen. Aus diesen Gründen haben wir auch den Untertitel „Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts“ gewählt.
Frage: Welche Rolle spielte der Arbeitsschutz bei den Diskussionen um die Humanisierung der Arbeit?
Nina Kleinöder: Rückblickend dominieren die inhaltlichen Aspekte von Arbeitsorganisation und Mitbestimmung und sie bildeten zweifelsohne auch zwei Kernthemen des HdA-Programms. In vielen Teilprojekten standen jedoch konkrete Unfallschutzmaßnahmen im Mittelpunkt: Berufskrankheiten, Gefahren und Belastungen durch Lärm, Hitze, Gefahrstoffe und so weiter sowie körperliche Belastungen waren Themen der übergroßen Mehrheit der HdA-Projekte. Das Programm selbst geriet in den 1980er-Jahren aufgrund seiner politischen Ausrichtung in die Kritik. Die Konflikte um die teilautonome Gruppenarbeit, das Überschreiten der Mitbestimmungsgrenzen oder der starke Einfluss von Arbeitswissenschaftler_innen führten zu einer Engführung des Programms. Dementgegen scheint sich aber der Schwerpunkt Arbeitsschutz mehr oder weniger geräuschlos in die Verbesserung der Arbeitsbedingungen eingefügt zu haben. Hierüber wissen wir aber noch viel zu wenig.
Frage: Ist das Thema eigentlich noch aktuell? Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen 40 bis 50 Jahren doch außerordentlich verändert.
Karsten Uhl: Die gegenwärtige Diskussion um die Zukunft der Arbeit in unserer Gesellschaft ist in hohem Maße deterministisch. Sie blickt auf die Technik und hält die Versprechungen (und Drohungen) der Technik schon für die Realität, was uns insbesondere beim Stichwort Digitalisierung begegnet. Dann ist die Diskussion geschichtsblind, denn die Veränderungen in der Arbeitswelt sind ja kein neues Phänomen, sondern haben eine Geschichte, die nicht nur durch technologische Impulse geprägt waren, sondern sozial verhandelt wurden. Gewerkschaften und Unternehmen hatten und haben unterschiedliche Vorstellungen über Arbeitsgestaltung und davon, was menschlich verträgliche Arbeit darstellt. Ich untersuche derzeit die Umbrüche in der Druckindustrie in den 1970er-Jahren und muss feststellen, dass die Digitalisierung dieser Branche schon damals einsetzte. Wenn wir die Qualität der aktuellen Umbrüche verstehen wollen, müssen wir uns ihre Vorgeschichte ansehen.
Stefan Müller: Die Gewerkschaften haben einen sehr positiven Blick auf die damaligen Humanisierungsprojekte. Die IG Metall beispielsweise stellt ihre Kampagne für „Gute Arbeit“ in diese Tradition. Sicherlich haben sich Technologien geändert und viele Spezifika von Belastungen ebenfalls. Aber auch heute geht es noch um die körperliche und die psychische Seite. So ist die Monotonie am Arbeitsplatz nach wie vor ein Thema. Vielleicht ist es heute weniger als vor 50 Jahren die Fließbandarbeit, die zu Depressionen führt, aber Arbeitsplätze mit einem geringen Aufgabenspektrum und extrem wenig Handlungsspielraum gibt es auch heute. Viele der „einfachen“ Dienstleistungsjobs sind davon geprägt; und körperlich fordernd sind sie ebenfalls.
Frage: Wir haben jetzt über die aktuelle Bedeutung der Humanisierung für die Arbeitspolitik gesprochen. Welche Bedeutung kommt eurem Band in den geschichtswissenschaftlichen Debatten zu?
Nina Kleinöder: Das Thema „Humanisierung der Arbeit“ bereichert die Geschichte der Arbeit und der Arbeitswelt inhaltlich und methodisch in vielerlei Hinsicht. Worüber wir noch gar nicht gesprochen haben, ist die transnationale Dimension: Die Diskussion über (menschliche) Arbeitspolitik wurde europäisch und transatlantisch geführt. Arbeitswissenschaftliche Ideen kamen aus Skandinavien und London; in das deutsche HdA-Programm gingen Debatten der Gesundheitsministerien in Frankreich und den USA ein; sogar west- und osteuropäische Gewerkschaften haben sich darüber ausgetauscht. Dann wirft unser Thema technik- und wissensgeschichtliche Fragen auf. Das Verhältnis von technologischer Pfadabhängigkeit und gesellschaftlichen Aushandlungen von Arbeitsgestaltung findet sich dort; wenn um „Humanisierung“ gestritten wurde, handelt es sich auch um eine Vorgeschichte zu den heutigen Debatten um die „Zukunft der Arbeit“ oder „Industrie 4.0“. Aktuell werden vor allem in der Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte Anregungen aufgenommen und Forschungen durchgeführt.
Frage: Ihr habt ein Buch veröffentlicht, dass sich zunächst an die Geschichtswissenschaft richtet, aber anschlussfähig für Diskussionen der Gegenwart ist. Wie lassen sich eure Ergebnisse in die Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung einbetten?
Stefan Müller: Im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung kooperieren wir in historischen Fragen eng mit der Hans-Böckler-Stiftung. Unsere Ziele sind, Forschungen zur Geschichte der Arbeitswelt anzuregen sowie die Gewerkschaften in ihrer Geschichtsarbeit zu unterstützen. Forschungen zur HdA bilden dabei einen Schwerpunkt. Die Gewerkschaftsakten oder die Unterlagen früherer Forschungsminister bilden eine wahre Fundgrube. Aber auch in der nationalen Gewerkschaftsarbeit berät die FES und arbeitet mit Gewerkschaften zusammen; die Herausforderungen durch die Digitalisierung sind eines unserer Themen. In dem FES-weiten Projekt „Für ein besseres Morgen“ beschäftigen wir uns beispielsweise mit der Frage, wie frühere industrielle Umbrüche durch die Arbeiter_innenbewegung bewältigt und der Kapitalismus „eingehegt“ wurde. Die Projekte der 1970er- und 1980er-Jahre zur Arbeitsgestaltung waren ein Teil dieser Bändigung von Ökonomie, aus denen wir Anregungen und Ideen für heute gewinnen können.
Dr. Nina Kleinöder ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Philipps-Universität Marburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Unternehmensgeschichte und der Geschichte der Arbeit.
PD Dr. Stefan Müller ist Referent im Archiv der sozialen Demokratie (AdsD) der Friedrich-Ebert-Stiftung und Privatdozent an der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Geschichte der Arbeitswelten und der Gewerkschaften.
PD Dr. Karsten Uhl ist Privatdozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Darmstadt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Geschichte der Technik und der Arbeit.
Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20.Jahrhunderts
Nina Kleinöder/Stefan Müller/Karsten Uhl (Hg.)
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