Einstürzende Brückenbauten – vom Fehlen öffentlicher Investitionen

Deutsche Schuldenbremse, europäischer Fiskalpakt: Die Sparpolitik hat zu einem dramatischen Rückgang öffentlicher Investitionen geführt. Die Infrastruktur zerfällt, Wachstum wird verhindert und generationengerecht ist der Verzicht auf Kredite auch nicht: Es ist Zeit umzudenken.

Bild: Bild: Pothole, Urheber: ChrisUK, Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

Baufällige Brücken, marode Turnhallen, Landstraßen mit Schlaglöchern: Selten zeigt sich staatliches (Nicht)-Handeln so deutlich wie am Zustand der Infrastruktur. Der harte Konsolidierungskurs im Euroraum seit 2010 hat insgesamt zu einem Rückgang öffentlicher Investitionen geführt. Im Durchschnitt der Euro-Länder gibt der Staat etwa ein halbes Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) weniger für Investitionen aus als vor der Krise. Insbesondere in den Staaten der südlichen Peripherie ist der Rückgang noch deutlicher: Hier sind die öffentlichen Investitionen von gut vier Prozent  des BIP vor der Krise auf aktuell nur noch zwei Prozent eingebrochen. Deutschland hingegen hat  die öffentlichen Investitionen im Vergleich zu vor der Krise sogar leicht gesteigert.

Dennoch ist die Situation in Deutschland „alles andere als zufriedenstellend“, sagt Achim Truger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin.

„Seit über zehn Jahren dümpeln die öffentlichen Nettoinvestitionen um die Nulllinie herum“, kritisiert er. Das heißt: Der öffentliche Kapitalstock stagniert oder verfällt gar - öffentliche Güter nutzen stärker ab, als sie insgesamt erneuert werden. Zugige Klassenzimmer und bucklige Straßen sind dabei nur das offensichtliche Problem. Tatsächlich geht es um verpasste Wachstumschancen und verfehlte Generationengerechtigkeit.

Mehr öffentliche Kredite bedeuten mehr Generationengerechtigkeit

Achim Truger fordert daher in dem kürzlich erschienenen Papier „Reform der EU-Finanzpolitik - Die Goldene Regel für öffentliche Investitionen“  ein finanzpolitisches Umdenken: Für öffentliche Investitionen auf europäischer Ebene müsse die so genannte Goldene Regel der Finanzpolitik wieder gelten. Dahinter steckt die Forderung, dass die öffentliche Hand mehr in öffentliches Sachvermögen (Straßen, Schulbauten) sowie Sozialkapital (Bildung) investieren soll. Und zwar mit Krediten. Dieser Mechanismus ist in der finanzwirtschaftlichen Fachwelt als „Goldene Regel“ bekannt und weitgehend akzeptiert, argumentiert Truger: „Sie trägt gleichzeitig zur Generationengerechtigkeit und zur Förderung des Wirtschaftswachstums bei“. Weil kreditfinanzierte Investitionen zu Wachstum führen, tragen künftige Generationen zwar die Last der Staatsverschuldung, profitieren jedoch von einer höheren Produktivität und dem höheren Wachstum.

Mehr Investitionen - aber wie und wofür?

Welche Investitionen dabei  wachstumsfördernd oder zukünftig kosteneinsparend wirken, ist die entscheidende Frage. Achim Truger schlägt eine Definition vor, die Investitionen in Rüstung ausschließt und dafür andere Arten öffentlicher Ausgaben beinhaltet: Vor allem Investitionen in Bildung, aber auch manche Arten von Ausgaben für Sozial- und Präventionsprogrammen müssten als wachstumsfördernd oder vorteilhaft für zukünftige Generationen eingestuft werden, und nicht auf das Haushaltsdefizit angerechnet werden.

Im Rahmen europäischer Politik wäre eine solche Strategie höherer Nettoinvestitionen bereits heute umsetzbar, glaubt Truger. Die Europäische Kommission und der Europäische Rat müssten nur dafür bereit sein,  die Spielräume innerhalb des finanzpolitischen Regelwerks zu nutzen: zum Beispiel Ausnahmen in Zeiten großen Abschwungs nutzen oder befristete Investitionsprogramme als Strukturreformen interpretieren. Langfristig, so Truger, müsse der geltende Stabilitäts- und Wachstumspakt um ein entsprechendes Protokoll erweitert werden - und die Mitgliedstaaten müssten ihre nationalen Regelungen entsprechend anpassen. Rechtlich möglich wäre das.

Den politischen Aufwand sei eine solche Änderung wert, schreibt Achim Truger in seiner Kurzanalyse: „Es geht doch um nichts anderes als die Korrektur einer fundamentalen ökonomischen Fehlkonstruktion im bestehenden fiskalpolitischen Regelwerk auf europäischer Ebene.“ Das wäre - nicht ganz nebenbei - auch ein Segen für löchrige Straßen und marode Schulen.

Die gesamte Studie von Achim Truger finden Sie hier


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