Migration und Integration – was kann die EU von Nordamerika lernen?

Zwei neue FES-Studien zeigen, dass Integration sowohl durch eine nahezu ungesteuerte (USA) als auch eine stark selektive und unterstützende (Kanada) Einwanderungspolitik gelingen kann.

Bild: Postcard: Canada Customs, Kingsgate, BC, c.1956 Bild: Postcard: Canada Customs, Kingsgate, BC, c.1956von:Rob Lizenz: Public Domain Mark 1.0

Die beiden Papiere finden Sie hier:

Integration in den USA – Einwanderungsland par excellence: http://library.fes.de/pdf-files/id/12338.pdf

Integration in Kanada – Konzepte eines traditionellen Einwanderungslandes: http://library.fes.de/pdf-files/id/12337.pdf

Derzeit prägt das Thema Migration und Integration die deutsche und europäische Debatte wie kein zweites. Die wichtigsten Fragen dabei sind: Wie können  die gesellschaftliche Akzeptanz von Einwanderung und von Flüchtlingen in Europa weiterhin sichergestellt werden? Wie können Integrationsprozesse erfolgreich verlaufen und wie können Gesellschaft und Politik dies unterstützen? Wie lässt sich die gleichberechtigte Teilhabe von Einwanderern am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben verwirklichen? Welche Möglichkeiten der Migrationssteuerung gibt es, ohne dass man das Grundrecht auf Asyl dabei in Frage stellt?

Auf der Suche nach Konzepten für eine aktive, nachhaltige – aber auch gesteuerte – Integrationspolitik, ist ein Blick über den europäischen Tellerrand hilfreich. Dabei gelten die USA und Kanada traditionell als Inbegriff des „Einwanderungslands“. Ein näherer Blick zeigt allerdings, dass beide Länder in ihrer Geschichte sehr unterschiedliche Wege gingen und auch heute noch gehen.

Die USA verzichteten (und verzichten weiterhin) weitgehend auf Integrationskonzepte, und verlassen sich primär auf einen starken Arbeitsmarkt und hochwertige, öffentlich zugängliche Bildung. Diese „laissez faire“-Einstellung spiegelt die Erwartung wider, dass sich Immigrant_innen eigenständig durch ihre Bildungsanstrengungen und ihre Berufstätigkeit integrieren. Nur anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende, die 15 % der Immigrant_innen ausmachen, profitieren von verschiedenen staatlichen Integrationsmaßnahmen des „Office of Refugee Resettlement (ORR)“, wie zum Beispiel von finanzieller Unterstützung und Englischkursen, aber auch von psychologischer Hilfe.

Das kanadische System dagegen ist gekennzeichnet durch eine strenge Auswahl seiner jährlich knapp 250.000 neuen Einwanderer und zugleich durch schnelle Einbürgerung derselben. Sehr viel stärker als die USA betont und anerkennt Kanada zudem die kulturelle Vielfalt seiner (Neu)-Bürger_innen. Multikulturalismus ist in Kanada ein integraler und konstitutiver Bestandteil der nationalen Identität, über den sowohl in der Zivilgesellschaft als auch innerhalb politischen Elite weitestgehend Konsens herrscht. Des Weiteren zeichnet sich die kanadische Gesellschaft durch eine große – und über Jahrzehnte konstant gebliebene – Befürwortung von Einwanderung aus.

Handlungsoptionen für die EU

Zwei neue FES-Studien zeigen, dass Integration sowohl durch eine nahezu ungesteuerte (USA) als auch eine stark selektive und unterstützende (Kanada) Einwanderungspolitike gelingen kann. Das Beispiel USA zeigt jedoch zugleich, wie wichtig die äußeren Rahmenbedingen im Falle einer „laissez faire“-Politik sind: Nur durch Bildungschancen und und bei einer stabilen wirtschaftliche Lage kann ein autarker Integrationsprozess überhaupt gelingen. Für die Europäische Union scheint solch ein Vorgehen schwer vorstellbar: Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Unterschiede sind innerhalb der EU (noch) zu groß, um eine gleichmäßige Integration in allen Mitgliedsstaaten ohne Steuerung zu ermöglichen. Die sehr viel stärker reglementierte kanadische Vorgehensweise könnte für die EU sehr viel eher zum Vorbild taugen. Das Beispiel Kanada zeigt aber auch, dass eine schnelle Einbürgerung ein entscheidender Faktor sein kann, um die soziale und politische Eingliederung von Einwanderern positiv zu fördern. Jedoch sollte – auch dies zeigt das kanadische Beispiel – die Einbürgerung nicht nur schnell passieren, sondern auch umfassend geschehen. Das bedeutet, dass sich nicht nur die Immigrant_innen schnell an ihr neues Heimatland binden, sondern dass auch die Bevölkerung des Aufnahmelandes Zuwanderung als Gewinn und als kulturelle Bereicherung zu begreifen bereit ist. Innerhalb der EU dagegen ist ein positives Verständnis von kultureller Vielfalt häufig noch unterentwickelt, es dominiert die Angst vor „Parallelgesellschaften“.

Das kanadische Beispiel zeigt jedoch, dass es grade der offene Charakter der kanadischen Gesellschaftmodells ist, der zu einer starken Identifizierung von Migrant_innen mit der Mehrheitsgesellschaft führt. Die Europäische Union und ihre Bürger_innen – die sich immerhin zu Pluralismus, Nichtdiskriminierung und Toleranz als konstituierende  Grundwerte der Union bekennen – könnten und sollten mehr tun, um diese Grundwerte auch tatsächlich zu leben und würden hierdurch auch Integration erleichtern. Dabei könnte sich die Union am kanadischen Konzept orientieren.

Michael Czogalla (Programmkoordinator der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington, USA) und Oliver Schmidtke (Professor an der University of Victoria in British Columbia, Kanada) beleuchten die Migrationserfahrungen und – Praktiken beider Länder im Rahmen zweier FES Briefings:

Integration in den USA – Einwanderungsland par excellence: http://library.fes.de/pdf-files/id/12338.pdf

Integration in Kanada – Konzepte eines traditionellen Einwanderungslandes: http://library.fes.de/pdf-files/id/12337.pdf


Demokratisches Europa

Eine Politik für Europa muss in erster Linie von den Bürger_innen Europas getragen werden. Wir wollen daher wissen, welche Erwartungen die Menschen an die EU haben. Momentan ist eine kritische Einstellung weit verbreitet. Wie muss sich die EU verändern, damit das Vertrauen in sie wieder wächst? Wie kann die EU fairer, demokratischer und inklusiver gestaltet werden? Vor allem im Rahmen der politischen Bildung wollen wir einen Beitrag leisten, um ein Europa des Zusammenhalts zu befördern.

Ansprechpartnerin

Marie Meier

+49 30 26935-7418
Marie.Meier(at)fes.de

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