„Bürger:innen müssen die Chance haben, ihre Perspektiven einzubringen“
Beteiligungsverfahren in der kommunalen Klimapolitik brauchen Transparenz, sagt Janina Walkenhorst. Ein Interview über Mitbestimmung in Klimafragen.
Mitbestimmung | 17. März 2025 | Interview von Hanna Fath | Lesezeit: 5 Minuten
Frau Walkenhorst, Klimapolitik und Bürgerbeteiligung – warum passt das zusammen?
Janina Walkenhorst: Da ist zum einen der Effektivitätsdruck in der Klimakrise, es braucht dringend wirkungsvolle Lösungen. Und da gibt es die Annahme, dass bei Beteiligungsformaten eine effektivere Klimapolitik herauskommt. Zum anderen geht um Akzeptanz. Wie schaffe ich durch diese Formate mehr gesellschaftliche Akzeptanz für ein Thema, das so konfliktbehaftet ist.
Darüber haben Sie mit Verantwortlichen in Berlin, Paris und Buenos Aires gesprochen – was hat Sie dabei besonders interessiert?
Wir haben Experteninterviews in den Verwaltungen von diesen drei Metropolen geführt. Mit den Leuten, die verantwortlich waren für die Formulierung von Klimastrategien in diesen Verwaltungen, aber auch mit den Initiator:innen und Organisator:innen von Bürgerbeteiligungsformaten. Wir haben gefragt, welche Ziele sie hatten, wie das umgesetzt und organisiert worden ist, was letztlich dabei herausgekommen ist und wie mit den Empfehlungen danach umgegangen wurde.
Warum und mit welchem Ziel haben die Stadtverwaltungen die Bürgerbeteiligungsformate initiiert?
Der erste Punkt, der immer genannt wird, ist die soziale Akzeptanz. Manchmal geht es darum, durch Bürgerbeteiligungsformate Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen zu schaffen, manchmal geht es um eine gesamtgesellschaftliche Vision, die gemeinsam geschaffen werden soll. Außerdem wurde häufig auf eine demokratische Legitimation hingewiesen, auf das Ziel, Bürger:innen stärker in den Entscheidungsprozess miteinzubeziehen.
Und geht dieser Plan auf?
Das Problem ist, dass zwischen diesen Zielen – Erhöhung von demokratischer Legitimität, Effektivität und sozialer Akzeptanz – Spannungen bestehen. Wenn ich nur versuche, durch Beteiligungsformate soziale Akzeptanz für ein Thema zu schaffen, dann steht das Ergebnis vorher ja schon fest. Aber Partizipation muss eigentlich heißen, dass die Bürger:innen wirklich die Chance haben, ihre Perspektiven in die Partizipationsprozesse einzubringen. Wenn man nur beteiligt, um ein bestimmtes Ergebnis, also eine bestimmte Akzeptanz für eine bestimmte Politikmaßnahme zu bekommen, dann hat man die Gefahr einer Scheinbeteiligung. Das ist eines dieser Hauptspannungsfelder die wir haben, wenn wir uns die unterschiedlichen Zielsetzungen und Herausforderungen von Klimabeteiligungsverfahren anschauen.
Die Zusammensetzung von Bürgerräten ist entscheidend für die demokratische Legitimität. In den Beteiligungsverfahren, die Sie untersucht haben: Wer wurde da eingeladen und wer saß mit am Tisch?
Da gibt es zwei unterschiedliche Ansätze: Grundsätzlich lautet der Ansatz bei diesen Beteiligungsverfahren: Wir inkludieren die Menschen, die betroffen sind. Dann stellt sich die Frage – wer ist besonders betroffen? Die erste Annahme: Alle sind betroffen, also wir alle als Bevölkerung von Berlin, Bonn oder Paris sind von Klimawandelfolgen betroffen. Dann wird versucht, eine Art von Repräsentativität herzustellen. In den Bürgerräten sind das meistens um die 100 Teilnehmenden, die per Los gewählt werden. Das funktioniert dann in zwei Schritten – zuerst die Zufallsstichprobe und dann der Versuch, ein wenig nachzuquotieren, damit man zum Beispiel einen bestimmten Migrationsanteil abdeckt oder eine Alterskohorte.
Der zweite Ansatz ist, dass diese Beteiligungsformate besonders inklusiv sein können, indem sie Menschen, die in traditionellen Partizipationsverfahren wie Wahlen eher unterrepräsentiert sind, eine Stimme geben. Das kann durch diese Quotierungen passieren. Aber Bildung, Alter oder Geschlecht sind nun keine besonders innovativen Quotierungen, da müsste man schon deutlich intersektionaler vorgehen. Eine andere Möglichkeit ist deshalb eine gewollte Überrepräsentation: In Buenos Aires beispielsweise wurden ganz gezielt Jugendliche und alte Menschen angesprochen, weil die besonders stark von Klimawandelfolgen betroffen sind. Die jüngere Generation, weil sie einfach länger und stärker noch damit zu leben haben wird, und die Älteren, weil sie gerade in Buenos Aires besonders betroffen sind durch Hitzefolgen.
Andererseits sind Menschen nicht nur aufgrund ihres Alters, sondern auch aufgrund ihrer Herkunft mehr oder weniger betroffen. Die Menschen in den Favelas in Buenos Aires wurden nicht miteinbezogen, dabei ist eine gut situierte junge oder ältere Person vielleicht doch weniger stark betroffen als die Menschen, die in Favelas leben müssen. An dieser Stelle wurde es nicht geschafft, diese marginalisierten Gruppen richtig einzubeziehen. Da ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass man sowohl mit Quotierungen, als auch mit einer gezielten Überrepräsentation immer auch eine historisch marginalisierte Struktur mitdenken sollte.
Sie haben von der Annahme gesprochen, die Klimaschutzmaßnahmen, die mit Bürgerbeteiligung entstehen seien progressiver – stimmt das denn?
Das ist zumindest häufig die normative Annahme beziehungsweise der Wunsch. Lange Zeit wurde die Forderung nach Bürgerbeteiligung häufig von Umweltschützer:innen gestellt – mit der Annahme, dass dann progressivere Klimapolitik entsteht und dass damit dieser gefühlte politische Stillstand überwunden wird. Und einiges spricht auch dafür – es machen trotz Zufallsstichprobe häufig die Leute mit, die sich für das Thema schon interessieren. Außerdem geht bei diesen Formaten den Gruppendiskussionen immer ein Experteninput voraus. Man hofft, wenn die Expert:innen erst einmal erklären, wie schlimm die Lage ist, dann werden die Leute schon zu vernünftigen Maßnahmen kommen.
Andererseits entstehen neue Ideen in der Diskussion nur vor dem Hintergrund dieses Experteninputs. Mein Beispiel ist immer, wenn ein:e Expert:in kommt und einen Vortrag über eine CO2-Steuer hält, dann wird vielleicht darüber diskutiert, wie hoch die Steuer sein kann, aber nicht, ob es die Steuer braucht. Oder wenn über eine autofreie Innenstadt diskutiert wird, dann wird vielleicht darüber diskutiert, welche Straßen das sein könnten, aber nicht darüber, ob man das Auto komplett abschafft.
Ich glaube, wenn man sich die Empfehlungen anschaut, die bei diesen Beteiligungsformaten herauskommen, dann sind sie nicht unbedingt progressiver, aber sie bieten auf jeden Fall eine Innovationsmöglichkeit, manche Maßnahmen einfach einmal auszuprobieren. Ob diese Chance dann letztlich genutzt wird, ist eine andere Frage.
Wird diese Chance denn häufig genutzt, oder landen die Ideen in der Schublade?
Das ist und bleibt der Knackpunkt an diesen Partizipationsformaten, dass sehr selten klar ist, wie mit den Ergebnissen umgegangen wird. Und dass die Maßnahmen nur in einem sehr eingeschränkten Rahmen aufgegriffen und umgesetzt werden von den Stadtverwaltungen. Das ist natürlich – besonders wenn wir über die Herausforderung von demokratischer Legitimation sprechen – äußerst problematisch. Häufig tritt dann der Fall ein, dass Regierungen nicht über die eigentliche politische Zielsetzung – zum Beispiel den bereits bestehenden Klimaplan – hinausgehen.
Dann gibt es natürlich Stimmen, die sagen, wir haben nun mal eine repräsentativ gewählte, lokale Regierung. Das stimmt auch, dass 50 oder 100 Teilnehmer:innen schwierig für eine gesamte Bevölkerung auf städtischer oder nationaler Ebene entscheiden können. Aber mein Punkt ist, dass ja trotzdem die Möglichkeit besteht, innovative Punkte aufzugreifen. Diese Ideen müssen dann nicht zwangsläufig komplett umgesetzt werden, aber es gibt schon einen Gestaltungsspielraum, in dem sich Verwaltungen und Regierungen bewegen können. Aber das ist eben die Frage: Was möchte, muss und kann man mit diesen Beteiligungsformaten erreichen?
Was wäre da – neben der Umsetzung der Forderungen – noch möglich?
Man könnte den Ergebnissen der Bürgerbeteiligung einen größeren politischen Raum geben. Dass sie politisch diskutiert werden – in den lokalen Parlamenten, medial und dass wir alle darüber sprechen.
Was würden Sie den Kommunen, die Klimapolitik partizipativ gestalten wollen, also raten?
Transparenz ist sehr wichtig. Dass von Anfang an wirklich Klarheit über den Prozess besteht und darüber, wie nachher mit den Empfehlungen umgegangen wird. Dann können Bürger:innen nicht enttäuscht werden, da geht es um Erwartungsmanagement. Gleichzeitig brauchen wir eine unabhängige Beteiligung. Es ist zum Beispiel schwierig, wenn genau diejenigen, die schon die Klimastrategie geschrieben haben, dann auch diesen Prozess organisieren und die Moderator:innen und Expert:innen auswählen. Dann ist es recht wahrscheinlich, dass das erwünschte Ergebnis herauskommt. Außerdem müssen die Ergebnisse einen Nachklang finden. Ich sage nicht, dass sie alle eins zu eins so umgesetzt werden müssen, aber einen Nachklang sollte es schon geben.
Janina Walkenhorst ist akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politische Theorie der Universität Potsdam. Sie forscht im Projekt “Climate Policy Governance from a City-Comparative Perspective: Identifying legitimate and successful climate policy processes for metropolitan areas”. Dabei analysiert sie den Einfluss partizipativer Governance-Strukturen auf klimapolitische Entscheidungsprozesse in Metropolregionen. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie unterschiedliche Formen von Bürgerbeteiligung ausgestaltet sind und welchen Einfluss sie auf Klimapolitik haben.
Von 2013 bis 2017 studierte Janina Walkenhorst Politikwissenschaft und Geschichte an der Technischen Universität Dresden. Den Masterabschluss erwarb sie im Anschluss an der Universität Potsdam mit einem Schwerpunkt in internationaler Klima- und Umweltpolitik.