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Mitbestimmung | 21. März 2024 | Bericht von Hanna Fath | Lesezeit: 3 Minuten
„Ludwigsfelde bewegt!“ lautet der Slogan der schnell wachsenden Kommune südlich von Berlin. Bewegt und umgetrieben hat die Stadt in den vergangenen Jahren die Frage, wie ein gesundes Wachstum auch für nächste Generationen gestaltet werden kann. 2022 tauschten sich darüber 14 zufällig ausgeloste Bürger_innen aus Ludwigsfelde im „Zukunftsrat“ aus und entwickelten zusammen Vorstellungen für eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft. Ludwigsfelde hat knapp 30.000 Einwohner_innen und ist eine von zehn Kommunen bundesweit, die – begleitet von LOSLAND – Erfahrungen in demokratischen Beteiligungsprozessen gesammelt haben.
LOSLAND ist ein Projekt des Vereins „Mehr Demokratie“ mit dem Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit RIFS Potsdam und wurde von 2020 bis 2024 von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert. Ludwigsfeldes Bürgermeister Andreas Igel (SPD) bilanziert: „Die Beteiligung an dem LOSLAND-Projekt war für uns die Chance, eine für uns neue Form der Bürgerbeteiligung kennenzulernen.“
Bayern: Lindau und LeupoldsgrünBrandenburg: LudwigsfeldeHessen: Homberg (Efze)Niedersachsen: Varel und OttersbergNordrhein-Westfalen: Gütersloh und CoesfeldSachsen: Augustusburg und Rietschen Ergebnisse und eine Rückschau auf das gesamte Projekt sind in dieser Publikation zusammengefasst.
Die Mission von LOSLAND lautete, durch das Modellprojekt über die einzelnen Gemeinden hinaus Strahlkraft zu entwickeln und so die Beteiligungskultur in Deutschland zu stärken, erklärt Rosa Hoppe, Projektleiterin von LOSLAND von Beginn bis Mai 2023. Das Team von LOSLAND konzentrierte sich auf die Prozessbegleitung: „Wir waren von Anfang an dabei, noch bevor es einen Beschluss im Stadtrat für den Bürgerrat gab. Wir begleiteten die Kommunen in der Frage, ob ein Bürgerratsverfahren wirklich passt, welche Fragestellungen sich eignen und ob das Timing stimmt.“ Ludwigsfeldes Bürgermeister Andreas Igel ergänzt: „Das Gemeinwohl muss wieder stärker in den Fokus der Diskussion der Bürgerinnen und Bürger rücken. Und das schafft man nur mit mehr Bürgerbeteiligung.“ Zu erklären, wie sich eine solche Bürgerbeteiligung umsetzen lässt, gehörte zur Fachberatung von LOSLAND.
Bürgerräte sind eines von vielen Instrumenten deliberativer Beteiligung neben Bürgerhaushalten, Jugendparlamenten, einzelnen Veranstaltungen der Beteiligung oder auf Dauer angelegte Foren. LOSLAND schlägt den Bürgerrat als Format vor, achtet aber auf passgenaue Formen in den einzelnen Kommunen. So wurde der Rat in der Einheitsgemeinde Flecken Ottersberg durch ein Kinderparlament ergänzt, in Ludwigsfelde und zwei weiteren Städten durch Online-Umfragen. Dabei verstehen sich all diese Konzepte nicht als Gegenentwurf zur repräsentativen Demokratie. „Im Gegenteil, das Funktionieren der repräsentativen Demokratie wird nur ergänzt und bereichert, aber nicht verändert“, erläutert Hoppe.
Das Konzept entspreche dem gesellschaftlichen Trend der vergangenen Jahre, erklärt die Politikwissenschaftlerin Lena Siepker: „Die Menschen sind seltener in Parteien und Verbänden und stärker projektartig engagiert, dazu passt die themenbezogene Bürgerbeteiligung.“ Siepker forscht zu deliberativen Beteiligungsprozessen. In Bürgerräten kommen Menschen in ihrer Stadt oder Gemeinde zusammen, um begleitet von einer Moderation ihre Perspektiven und ihr Wissen über ihren Ort einzubringen und zu diskutieren. Bürgerräte wollen Formate der demokratischen Selbstwirksamkeit sein und die repräsentativen Strukturen mit ihren Empfehlungen und Ideen bereichern.
Damit es gut läuft, braucht es laut Rosa Hoppe ein klares Ja vom jeweiligen Stadtrat für den Beteiligungsprozess. Nur wenn von Anfang an klar ist, dass mit den Ergebnissen des Bürgerrats umgegangen wird, kann Frustration am Ende vermieden werden. LOSLAND initiiert deshalb Steuerungsgruppen aus Politik, Verwaltung und Bürger_innen, damit Dialog schon ab dem ersten Moment der Planung stattfindet. In Ludwigsfelde wurde der Zukunftsrat vom Nachhaltigkeitsausschuss der Stadt in die Wege geleitet, in dem nach Abschluss auch die Empfehlungen des Zukunftsrats behandelt wurden.
Ein lebendiger Dialog zwischen Politik und Bürger_innen ist auf kommunaler Ebene an sich nichts Neues. Gehört werden dabei aber meistens die organisierte Zivilgesellschaft, Vereine, Verbände und Menschen, die sich viel engagieren und beteiligen. Andere Menschen fallen heraus, fühlen sich von der kommunalen Politik nicht angesprochen und nicht gehört. Ihre Interessen werden weniger beachtet.
Das Losverfahren per Melderegister zur Zusammensetzung der Bürgerräte setzt genau hier an. Nach dem Zufallsprinzip soll ein Bürgerrat gebildet werden, der möglichst gut die Diversität der Stadtgesellschaft widerspiegelt. Mit einer Einladung im Briefkasten der Losgewinner_innen sei es aber nicht getan, sagt Hoppe. Um die Hürden zur Teilnahme abzubauen, bieten die Kommunen Übersetzungen und Einladungen in einfacher Sprache an, organisieren Kinderbetreuung und klopfen an den Haustüren, um das Anliegen zu erklären: „Wir brauchen Ihre Perspektive, bitte nehmen Sie sich Zeit, das ist für uns wertvoll, dass Sie mitsprechen.“
Geht es um die Potentiale und darum, was Bürgerräte alles bewirken können, ist Rosa Hoppe ein Effekt besonders wichtig: Das gewachsene Vertrauen unter den Teilnehmer_innen. Eine Feedbackaussage wie „Ich fühle mich jetzt wieder mehr verbunden mit meiner Gemeinde“ spricht für sich. Der Lernprozess beschränkte sich aber nicht nur auf die Teilnehmer_innen – auch Akteur_innen aus Politik und Verwaltung lernten aus der Beteiligungserfahrung, so Hoppe. In der LOSLAND-Kommune Lindau nahm man sich vor, auch im Stadtrat an der Kommunikationskultur zu arbeiten. Die Beteiligungsprozesse stärken das Verständnis zwischen den Ebenen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft, indem die Bürger_innen nachvollziehen können, wie Gemeindeentwicklung funktioniert und mit welchen Budgets und welchen Begrenzungen Politik und Verwaltung umgehen müssen. Auf der anderen Seite hören Politiker_innen Perspektiven, die sonst leicht überhört oder vergessen werden.
In Ludwigsfelde befasste sich der Bürgerrat mit dem örtlichen Radwegenetz und einem Fahrradparkhaus, mit Dachbegrünung und der Planung eines neuen Schwimmbades. Mehr Beteiligung für ein nachhaltiges Gemeinwohl – bei LOSLAND heißt das „Enkeltauglichkeit“. Für Rosa Hoppe ist es gerade bei diesen Fragen unabdingbar, die Menschen vor Ort an Bord zu haben. Geht es um das Erreichen der Klimaziele oder die Mobilität vor Ort, „Jede_r Einzelne muss mit umsetzen, sonst ist es überhaupt nicht zu bewältigen“, so Hoppe.
Aktuell lässt sich durchaus eine Nachfrage nach politischer Partizipation auch jenseits von Wahlen in weiten Teilen der Bevölkerung beobachten. Bürgerräte können eine konstruktive Antwort auf Schwächen der repräsentativen Demokratie liefern. Wenn die Beteiligung aber schlecht in die politischen Prozesse eingebunden ist, dann führt das zu Frust – laut Politikwissenschaftlerin Siepker keine Seltenheit: Bürgerbeteiligungsstrukturen prallen auf die Realität der repräsentativen Strukturen, „Stadträte wollen ihre Macht dann möglicherweise doch nicht aufgeben, man verhandelt in Beteiligungsverfahren Klein-Klein oder spricht eher unkonkret über Werte. Oft wird vorher nicht festgelegt, was mit den Ergebnissen passiert. Dann drohen sie in einer Schublade zu landen.“
Um diesem „Beteiligungsfrust“ vorzubeugen, organisierte LOSLAND in allen Kommunen Transfersitzungen. Verständigungsprozesse, zwischen Politik, Verwaltung und Bürger_innen darüber, was mit den Empfehlungen geschieht. In Ludwigsfelde zeigt jetzt ein Ampelsystem für alle Bürger_innen einsehbar an, welche der vorgeschlagenen 38 Empfehlungen bereits „grün“ sind (umgesetzt), aktuell bearbeitet werden (gelb), für die Kommune allein nicht umsetzbar sind (rot) oder ein neues Thema darstellen (blau).
„Ernährung im Wandel“ heißt der erste vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat, in dem ausgewählte Bürger_innen ernährungspolitische Vorschläge erarbeiteten. Eine neue Form der Beteiligung.
Kein Bundesland hat beim Thema „Direkte Demokratie“ eine längere Tradition als Baden-Württemberg. Seit mehr als 70 Jahren ist sie hier sogar in der Verfassung verankert.
Die Verkehrswende kann nur gelingen, wenn die Verwaltung die Menschen beteiligt. Leonberg setzt auf Transparenz.
Martin Cohn will die baden-württembergische Autostadt Leonberg klima- und sozialverträglich umgestalten. Er erklärt, warum die Kommune dabei auf massive Bürgerbeteiligung setzt.