„Ein Netzwerk ist ein gegenseitiges Win-win“

Professor Bernhard Kölmel ist einer der Vordenker des Transformationsnetzwerks Nordschwarzwald. Er erklärt, wie Zusammenschlüsse helfen, eine Region zukunftsfähig zu machen.

Mobilität | 21. Juni 2024 | Interview von Carolin Rückl | Lesezeit: 4 Minuten

 

Herr Kölmel, Sie sind Professor für Globales Prozessmanagement an der Hochschule Pforzheim, davor waren sie mehr als 20 Jahre unternehmerisch tätig. Wie hat diese Erfahrung Ihr Engagement für das Transformationsnetz geprägt?

Bernhard Kölmel: Absolut grundlegend. Ich habe in den 90ern einige Jahre bei einer Startup-Initiative im Silicon Valley gearbeitet, das war Vernetzung pur.

 

Mit dem „Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald“ (TraFoNetz) wollen Sie die Automobil- und Zuliefererindustrie in der Region zukunftsfähig machen. Wie gehen Sie das an?

Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre eigene Transformationsstrategie zu entwickeln. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir gemeinsam mit ihnen analysieren, auf welche Zukunftsmärkte sie sich fokussieren können, um Arbeitsplätze in der Region zu erhalten. Dazu können wir steuerliche und rechtliche Expertise geben und Unternehmen in der Region auch untereinander vernetzen.

 

Welche Akteur_innen tragen das Netzwerk und seine Ideen?

Die Hochschule Pforzheim, die Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald, die Agentur für Arbeit Nagold-Pforzheim und die AgenturQ, eine gemeinschaftliche Einrichtung der beiden Tarifvertragsparteien IG Metall Baden-Württemberg und Südwestmetall im Bereich beruflicher Bildung.

 

Welche Bedeutung haben Zusammenschlüsse wie das TraFoNetz für Regionen und Kommunen?

Ein solches Netzwerk ist ein gegenseitiges Win-Win. In Calw, einem Kreis hier in der Region, hat der Landrat einmal zu mir gesagt: Wenn ihr es nicht schafft, meinen Unternehmen in die Zukunft zu helfen, sieht es in meinem Landkreis in zehn Jahren düster aus. Umgekehrt werden wir über den Landrat zum Regionaltreffen der Kreishandwerkerschaft eingeladen, zur IHK, zum Sommerfest der Unternehmer. Wenn man zu großen, familiengeführten Unternehmen kommt, sitzt einem manchmal – und das ist nicht despektierlich gemeint – ein Haudegen von einem Unternehmer gegenüber, ein alter Macher. Da hat uns die lokale Politik schon häufiger geholfen, gehört zu werden.

 

Im Nordschwarzwald gibt es mehr als 1300 Unternehmen in der Automobil- und Zuliefererindustrie. Welcher Wandel ist für die Region wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

Hier im Nordschwarzwald haben wir vor 50 Jahren schon einmal eine Transformation gemeistert: von der Feinwerktechnik der Schmuckindustrie zur Präzisionstechnik. Das ist heute eine Kernkompetenz der Unternehmen hier, die besonders in der Herstellung von Verbrennermotoren wichtig ist. Für batterieelektrische Autos ist dieses Niveau an Präzision nicht mehr in diesem Maße notwendig. Internationale Player wie China, die qualitativ mehrere Niveaustufen schlechter herstellen, sind bei der Elektromobilität größere Konkurrenten. Unsere Unternehmen müssen also überlegen, wie sie ihr Know-how auf andere Branchen übertragen können. Unsere hochpräzisen Teile kann man nicht nur im Auto unterbringen, sondern zum Beispiel auch in der Luftfahrt, Medizintechnik oder in CO2-Abscheidern.

 

Aktuell stehen Unternehmen auch in anderen Branchen vor vielen Herausforderungen: Digitalisierung und KI, Dekarbonisierung, internationale Konkurrenz. Was empfehlen Sie Regionen anderer Branchen, die ihre Wirtschaft wettbewerbsfähig machen wollen?

Sich, wie wir hier auch, mit der Plattformökonomie auseinanderzusetzen. Wissen Sie, wer in Ihrem Notebook die Festplatte oder den Speicher-Chip hergestellt hat?

 

Nein.

Genau, denn es ist völlig irrelevant für Sie als Endnutzerin – genauso wie es irrelevant für den Hersteller des Chips ist, wo er am Ende verbaut wird. Dell hat ungefähr in den 90er-Jahren quasi alle Bestandteile von PCs und Notebooks standardisiert. Dasselbe findet gerade in der Automobilbranche statt, denn Bestandteile von Elektroautos lassen sich sehr gut standardisieren. Während also früher zum Beispiel Mercedes alle Teile für einen Verbrenner einzeln gekauft und bei sich zusammengebaut hat, wird es in Zukunft eine Komponente mit 500 Teilen geben, die ein Automobilhersteller über Plattformsysteme international kauft und in ein Auto einbaut. Dieselbe Entwicklung wird es mittelfristig in allen Branchen mit einem hohen Anteil an elektromechanischen Komponenten geben und sie wird sich auch im Dienstleistungssektor durchsetzen. Deswegen wäre es meiner Meinung nach gut, sich nicht nur in anderen Branchen, sondern auch international zu etablieren. Innerhalb des Transformationsnetzwerks ertüchtigen wir hiesige Betriebe, damit sie in internationalen Wertschöpfungspartnerschaften gut mitspielen können.

 

Wie wichtig ist dazu der Netzwerk-Gedanke?

Sehr wichtig, um frühzeitig agieren zu können. In Unternehmen analysieren wir zum Beispiel die zukünftig notwendigen Fertigkeiten der Belegschaft oder wie man zukünftige Märkte erschließen kann. Dann vernetzen wir sie in sogenannten Communities of Practice mit anderen Unternehmern, Mitarbeitenden und anderen relevanten Akteuren wie der Gewerkschaft, sodass sie sich intensiv über ihre jeweiligen Erfahrungen austauschen können. Wenn einzelne Partner gute Zugänge in spezifische Branchen haben, ermöglicht das auch allen anderen Partnern einen Zugang zum Wertschöpfungsnetzwerk.

 

Eine weitere Herausforderung, die sich viele Regionen und Branchen teilen, ist der Fachkräftemangel. Wie kann ein Netzwerk wie das TraFoNetz das abfedern?

Wir unterstützen Unternehmen ganz massiv, indem wir die Leute dazu bringen, sich weiterzubilden. Einige Betriebe sind aktuell nur noch zu 80 Prozent ausgelastet, weil weniger Autos gebaut werden. Statt ihre Leute einfach nach Hause zu schicken, wenn sie in Kurzarbeit gehen, wollen unsere Unternehmer sie lieber weiter qualifizieren. Da können wir als Trafonetz sehr schnell und gut unterstützen, denn ein Partner in unserem Netzwerk ist die Agentur für Arbeit. Mit ihr haben wir eine Qualifikationsoffensive gestartet, die unsere Unternehmen hier auch gut annehmen. Wir werden unseren Fachkräftebedarf aber langfristig nicht vollständig selbst decken können. Deswegen helfen wir Unternehmen auch, sich international zu vernetzen und so passende Fachkräfte zu finden.

 

Welche Rolle spielen Kommunen dabei?

Was den Fachkräftemangel angeht, werden am Ende die Kommunen oder Regionen gewinnen, in denen eine wirklich gute Willkommenskultur herrscht. Das spricht sich nämlich rum und verbessert die Chancen, dass Fachkräfte kommen und bleiben. Viele Kommunen engagieren sich schon jetzt stark, indem sie zum Beispiel Willkommenszentren einrichten oder eine zielgerichtete Qualifizierung anbieten.

 

Und abgesehen vom Fachkräftemangel?

Kann die Politik sensibilisieren: Dafür, dass Wohlstand schwindet, wenn wir uns gegen Transformation sperren.

 

Passiert das denn?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Hier im Nordschwarzwald wandelt ein Unternehmer brachliegende Flächen in wertvolles Bauland um. Er hat mehrere Tausend Arbeitsplätze und braucht die Fläche für die Transformation vom Verbrenner zum Elektroauto. Dagegen gibt es Bürgerbewegungen – die Politik könnte vermitteln. Meiner Meinung nach müssen Kommunen und Regionen durchaus einen Gang drauflegen. Ich war kürzlich in Austin, Texas, dem neuen Hotspot der Innovation. Im neuen Tesla-Werk dort ist neun Monate nach Eingabe des Bauantrags das erste Auto vom Band gerollt. In der Zeit ist bei uns noch nicht einmal der Bauantrag positiv beschieden.

 

Es gibt aktuell 27 Transformationsnetze in Deutschland, alle im Bereich Automotive. Wie könnte man deren Arbeit auf andere Branchen übertragen?

Der Zugang zu den Unternehmen ist natürlich branchenspezifisch. Aber unsere Methoden und Inhalte kann man problemlos auf andere Branchen übertragen. Deswegen findet man in den kommenden Wochen auf der TraFoNetz-Website einen Leitfaden dazu, wie man eine Transformationsstrategie erstellt, und Best-Practice-Beispiele, die anderen helfen sollen, Innovationsfähigkeit und „looking out of the box“ zu lernen.

 

Was würden Sie anderen Regionen empfehlen, die darüber nachdenken, ein ähnliches Netzwerk ins Leben zu rufen?

Kommt vorbei, redet mit uns! Unser Know-how ist nicht exklusiv. Zu den gerade erwähnten Materialien werden wir auch unsere Weiterbildungsprogramme als Open-Source-Material zur Verfügung stellen. Je mehr wir für den Standort Deutschland und Europa tun, desto besser.

Prof. Dr. Bernhard Kölmel lehrt und forscht Global Process Management an der Hochschule Pforzheim. Er ist Mitinitiator des Instituts für Smart Systems und Services (IoS3) für disruptive Innovationen/Geschäftsmodelle im Internet of Services, Things und Data. Er koordiniert zahlreiche internationale Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Bereich der vernetzten Welt. Als Experte für Zukunftstechnologien berät er nationale Ministerien und die Europäische Kommission bzw. das European Institute of Innovation and Technology. Kölmel war in leitender Position mehr als 20 Jahre in der Wirtschaft und unternehmerisch tätig, dabei längere Zeit bei Start-up Initiativen im Silicon Valley.

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