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Fünf Jahre stand das ehemalige Hertie-Kaufhaus in Lünen leer, bis es von 2014 bis 2016 umgebaut wurde. Ein Gespäch mit Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns über die Idee, Innenstädte wiederzubeleben.
Wohnen| 23. September 2024 | Interview von Claudia Euen | Lesezeit: 5 Minuten
Das ehemalige Hertie-Kaufhaus in Lünen gilt heute als Vorzeigebeispiel in Sachen Revitalisierung von Innenstädten. Vorher aber war es eher ein Problemfall. Wie kam es dazu?
Jürgen Kleine-Frauns: Das Gebäude wurde ursprünglich 1969 eröffnet. Das war eine Zeit, in der es Lünen richtig gut ging. Das Hertie-Kaufhaus war immer ein Magnet, ein Frequenzbringer für die Stadt. Insofern war der Leerstand wirklich eine missliche Situation, die 2009 entstanden ist. So ein großes, leerstehendes Gebäude an einer so markanten Stelle im Herzen der Stadt hat eben auch eine negative Strahlkraft.
Man könnte auch sagen, es ist nur ein altes Kaufhaus. Warum hat es eine solche Bedeutung?
Kleine-Frauns: Lünen war ja früher eine reiche Bergbaustadt. Wir haben den Strukturwandel durchlebt. 1992 wurde die letzte Zeche geschlossen, danach wurde hier keine Steinkohle mehr gefördert. 20.000 Menschen haben ihren Arbeitsplatz verloren. Dadurch ist natürlich auch viel Kaufkraft verloren gegangen. Wenn dann in einer strukturschwachen Stadt Häuser leer stehen und die Leute nicht mehr gerne in die Stadt gehen, brechen auch die Umsätze der Händler vor Ort ein. Dann entstehen weitere Leerstände, das ist ein Teufelskreis.
Von 1969 bis 2009 war das Hertie-Kaufhaus ein zentraler Ort in der nordrhein-westfälischen Stadt Lünen. Die ehemalige Verkaufsfläche von 12.000 Quadratmetern wurde im Zuge des Umbaus auf 2000 Quadratmeter verringert. Heute wird das Gebäude zur Hälfte für Wohnraum sowie für Gewerbe und Einzelhandel genutzt. Entstanden sind hier 24 Wohnungen über den Dächern Lünens, alle mit Balkon oder Terrasse. Jürgen Kleine-Frauns (parteilos) ist seit 2015 Bürgermeister der westfälischen Stadt mit circa 87.000 Einwohner_innen.
Die ehemalige Verkaufsfläche von 12.000 Quadratmetern wurde stark reduziert. 2200 Quadratmeter stehen jetzt für Wohnflächen und 3250 Quadratmeter für Gewerbe und Dienstleistungen zur Verfügung. Wie sind Sie in der Stadt zu diesen Entscheidungen gekommen?
Kleine-Frauns: Man war sich in der Stadt einig, dass die Zeiten dieser großflächigen Kaufhäuser vorbei sind. Es gab dann verschiedene Arbeitskreise, unter Beteiligung der IHK, des Einzelhandelsverbandes und Architekten unter Einbindung des Bauministeriums Nordrhein-Westfalen, die mit Fördermitteln das Ganze begünstigt haben. Die ursprüngliche Idee des Multi-Use aber kommt aus den Niederlanden. Dort sind sie die Menschen in der Richtung immer schon ein bisschen offener gewesen. Der Bauverein, eine Wohnungsbaugenossenschaft aus Lünen, hat dann dieses Thema angefasst, die Immobilie erworben und mit einem Gesamtinvest von circa 14 Millionen Euro das Objekt umgestaltet.
Warum hat die Stadt das Haus nicht gekauft?
Kleine-Frauns: Vielleicht hätten wir das sogar mit Fördermitteln kaufen können. Aber uns fehlen da an der Stelle schlicht die Kompetenzen und das Know-how. Wir haben in unserer Stadt kein eigenes Hochbauamt. Natürlich können wir ein solches Gebäude errichten. Aber das Entscheidende ist doch die Bewirtschaftung dieses Konzepts, das Ineinandergreifen von Wohnnutzung und gewerblicher Nutzung.
Lünen hat auch eine Besonderheit, aufgrund der der Geografie. Die Innenstadt ist sehr nahe am Grünen gelegen, mitten durch Lünen fließt die Lippe. Als 2014/15 bekannt wurde, dass es möglich wird, in der Innenstadt zu wohnen, war die Nachfrage riesig. Die Menschen haben großes Interesse daran, hier in der Stadt zu leben. In den Jahren vorher sind die Menschen aus der Stadt rausgezogen. Wir haben gesehen, dass das in einer alternden Gesellschaft und auch in Zeiten der Mobilitätswende eine große Chance für die Wiederbelebung der Stadt sein kann.
Wohnen im Einkaufstempel. Was war schwer daran, so ein großes Gebäude umzugestalten?
Kleine-Frauns: Man kann sich das vorstellen: Wenn man so ein Kaufhaus, einen Kubus mit mehreren Etagen hat, dass man da nicht an jeder Stelle und auf jeder Etage wohnen kann. Wohnqualität hängt ja auch immer mit Licht zusammen, Also war klar, dass sich das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss für Gastronomie und Gewerbenutzung eignen. Dort gibt es auch eine Bank. Die darüber liegenden Geschosse sollen Wohnraum werden. Da hat man in diesen Kubus, in diesen Baukörper, eine riesige Schneise gefräst. Das ist auch das baulich Markante. Diese Schneise wurde eben auch dazu genutzt, um einen Dachgarten zu erschaffen. Es gibt jetzt auf der Nord- und auf der Südseite einen Bauriegel und durch den Zwischenraum sind über dem Erdgeschoss bessere Lichtverhältnisse entstanden.
Gebäude umzunutzen, ist gerade baurechtlich oft schwierig. Wer hat das Projekt unterstützt?
Kleine-Frauns: Auch wenn kommunale Förderung aus guten Gründen oft kritisiert wird, so ist das Projekt ein Musterbeispiel von Landesförderung. Wir konnten quasi Informationen sammeln, die für den Bauverein, die kommunale Wohnungsbaugenossenschaft, entscheidend waren, um die Risiken richtig einzuschätzen. Der Bauverein hätte das Projekt wahrscheinlich nie in Angriff genommen, wenn das so eine Wundertüte gewesen wäre. Wenn nicht durch umfangreiche Gutachten, die mit Landesförderung eingeholt werden konnten, Klarheit darüber entstanden wäre, was sie dort an Bausubstanz erwartet.
Wohnen in der Innenstadt klingt aber auch anstrengend!
Kleine-Frauns: Natürlich gibt es dann auch immer Interessenkonflikte. Ein Marktplatz erzeugt Geräusche, dort pulsiert das Leben. Der Bauverein hat aber von Anfang an darauf geachtet, im Austausch mit der Bevölkerung zu bleiben – auch im Zuge der Belästigung durch den Baulärm. Die Menschen wohnen sehr gerne dort. Die Zeitung hat mal geschrieben: Es ist ein wunderschöner Schwan entstanden.
Was hat denn die Umgestaltung in der Stadt verändert?
Kleine-Frauns: Die Umgestaltung des Hertie-Hauses hat die Innenstadt enorm gestärkt. Wir haben sogar wieder einen Wochenmarkt. In Lünen hat ein Funktionswandel stattgefunden, von einem Ort, wo man sich versorgt hat, zu einem Ort der Begegnung. Die Menschen gehen in die Stadt, um anderen zu begegnen. Die Aufenthaltsqualität ist wieder viel wichtiger geworden. Es reicht eben nicht aus, dass man hier ein ehemaliges Kaufhaus umbaut, sondern genauso wichtig ist die Umfeldgestaltung. Der Bauverein hat auch den Marktplatz neugestaltet. Wir haben dort Bäume gepflanzt, Sitzmöbel angeschafft und das hat eben dazu führt, dass man davon sprechen kann: Wir haben unsere gute Stube runderneuert. Das ist, glaube ich, der eigentliche Kern dieses Erfolgs.
Wer durfte denn, neben den Bewohner_innen, in das Objekt einziehen?
Kleine-Frauns: Wir haben Nutzer gesucht, die nach Lünen passen. Das sind mittelständische Unternehmen, eine sehr große Bäckerei mit mehreren hundert Beschäftigten oder ein Caterer. Es ging uns nicht um schnelles Geld von großen Handelsketten. Auch gibt es eine Volksbank und eine große Arztpraxis. Das sind alles Unternehmen, die schon in der Stadt als Dienstleister ansässig waren.
Die Kaltmiete für die Wohnungen im Obergeschoss liegt bei 10 Euro. Das ist für Neubau verhältnismäßig preiswert, aber für Geringverdiener zu teuer. Wäre sozialer Wohnungsbau nicht besser gewesen?
Kleine-Frauns: Wir waren nicht Eigentümer und die Wohnungsbaugenossenschaften haben ja auch eine Verantwortung gegenüber ihren Mitgliedern. Ein solches Projekt mit Kosten in Höhe von 14 Millionen Euro – da muss ja eine Refinanzierung auch darstellbar sein.
Die Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof hat im Januar einen Insolvenzantrag eingereicht. Es ist bereits das dritte Insolvenzverfahren für das Unternehmen. In anderen Städten stehen auch Kaufhäuser leer. Was würden Sie anderen Kommunalpolitikern als Rat mitgeben?
Kleine-Frauns: Das Entscheidende ist, das lokal vorhandene Netzwerk zu nutzen, Ideen zusammenzutragen und vielleicht Bündnisse von Experten zu bilden, sodass man auch von Anfang an die Gewähr hat, dass ein solches Projekt von der Stadtgesellschaft mitgetragen wird. Wichtig ist auch, nicht in Panik zu verfallen und Geduld zu haben. Wir haben zum Beispiel die vier Jahre Leerstand gut genutzt und den Erdgeschossbereich mithilfe der Bevölkerung künstlerisch gestaltet. Schülerinnen und Schüler hatten dort in den Schaufenstern Bilder aus ihrem Kunstunterricht ausgestellt, sodass es trotzdem ein ansehnliches Objekt war, was nicht dem Verfall preisgegeben war. Darüber konnte man dann eben auch Ruhe bewahren, obwohl ihm im Umfeld die Leerstände mehr wurden.
Kaufhäuser sind ja nicht die einzigen leerstehenden Objekte in Innenstädten. Welche Strahlkraft haben erfolgreiche Umnutzungen auf andere Bauprojekte?
Kleine-Frauns: Gerade wird in Lünen eine ehemalige Schule umgebaut. Im Erdgeschoss soll eine Kita und im Obergeschoss eine Flüchtlingsunterkunft entstehen. Wir haben in Lünen ein Konzept der dezentralen Flüchtlingsunterbringung. So haben wir nicht so große Einheiten, wo die geflüchteten Menschen für eine Dauer von zwei Jahren leben können. Das ist ein klares Zeichen für Integration und in Zeiten von Nachhaltigkeit und Klimawende sparen wir auch enorm viel CO2 ein, weil man eben nicht abreißt und neu baut.
Welche Rolle spielt Teilhabe bei solchen Umnutzungen?
Kleine-Frauns: Wir wollen eine inklusive Stadt sein und wir achten darauf, dass wir barrierearm bauen. Es ist Teil des Konzepts, dass Menschen mit Einschränkungen diese Gebäude auch gut nutzen können. Das Bemühen ist natürlich bei diesem Projekt von Anfang an dabei gewesen, auch wenn das Thema Inklusion in den Jahren danach noch viel größere Bedeutung gewonnen hat.
Ist das ehemalige Hertie-Kaufhaus ein Beispiel für zukunftsweisende Städteplanung?
Kleine-Frauns: Ich weiß gar nicht, ob das, was wir heute als zukunftsweisend betrachten – also die Verbindung von Wohnen und gewerblicher Nutzung Dienstleistungen, Gastronomie – in 20 oder 30 Jahren noch als zukunftsweisend gilt. Die Zeit ist heute so schnelllebig, Fliehkräfte wirken überall. Wo wir heute stehen, das hätte vor zehn Jahren keiner vorausgesehen.
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