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Wohnen | 21. Mai 2024 | Bericht von Claudia Euen | Lesezeit: 5 Minuten
Es herrscht eine Schieflage in deutschen Städten. Auf der einen Seite fehlen Wohnungen, auf der anderen Seite stehen riesige Warenhäuser leer. Das Konzept des analogen Shoppingerlebnisses in den Einkaufshallen hat ausgedient, der Onlinehandel ist längst Realität geworden. Allein bei Karstadt ist die Zahl der Filialen infolge des Insolvenzverfahrens seit 2020 bereits um fast die Hälfte reduziert worden. Wie große Betonfriedhöfe thronen ehemalige Hertie- oder Kaufhof-Filialen in den Fußgängerzonen deutscher Städte und erinnern die Bewohner_innen an eine längst vergangene Zeit. Doch das muss nicht so bleiben.
In Lünen zum Beispiel, einer 87.000-Einwohner-Stadt im westlichen Westfalen, leben die Menschen jetzt da, wo sie früher eingekauft haben: im ehemaligen Hertie-Warenhaus. 24 Wohnungen über den Dächern der Stadt, alle mit Balkon oder Terrasse und einem grandiosen Ausblick. Vor allem für ältere Menschen ist das Wohnen mit begrüntem Dachgarten von Vorteil. Denn im Untergeschoss finden sie eine Metzgerei, eine Apotheke, eine Bäckerei und andere Einzelhandels-Unternehmen. Alles ist fußläufig und barrierearm.
„Die Wohnungen in Lünen treffen auf Nachfrage“, sagt Nina Hangebruch, die am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und der Fakultät für Raumplanung an der TU Dortmund tätig ist. Menschen würden jetzt die Innenstadt beleben, die vorher nicht dort gewohnt hätten, auch wenn die Wohnungen höherpreisig seien. Nina Hangebruch ist Expertin. In den vergangenen 15 Jahren hat die Wissenschaftlerin rund 300 ehemalige Warenhäuser untersucht, die seit 1994 aufgegeben worden waren. 1994 fusionierten Karstadt und Hertie sowie Kaufhof und Horten. Hangebruch spricht hier von der ersten größeren Marktbereinigung. In ihrer Doktorarbeit „Perspektiven und Entwicklungspotenziale ehemaliger Warenhausstandorte“ fokussiert sie die Art der Nachnutzung, die Standortrahmenbedingungen und auch Schwierigkeiten im Zuge eines Umbaus.
Veröffentlichungen von Nina Hangebruch, Dipl.-Ing. Raumplanung am Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und der Fakultät für Raumplanung an der TU Dortmund:
* Nina Hangebruch, Lisa Haag (2024): „Transformation früherer Warenhäuser“
* Nina Hangebruch (2021): „Onlinehandel und Raumentwicklung – Neue Urbanität für alte Zentren!“
Dass es nicht leicht ist, einem ehemaligen Warenhaus mit viel Fläche, die mit wenig Tageslicht auskommen muss, einen neuen Sinn zu geben, weiß auch der Lübecker Bürgermeister Jan Lindenau (SPD): „Das ist mit aufwändigen baurechtlichen Schritten verbunden.“ Viele Förderprogramme seien eng gestrickt, sodass es schwierig sei, zeitliche Rahmen einzuhalten. Auch erschwere das deutsche Baurecht eine Baunutzungsänderung. Dennoch wird er das ambitionierte Kaufhaus-Umbauprojekt anpacken, denn die neue Funktion des alten Hauses soll nicht nur den Menschen in Lübeck zugutekommen.
Der Bürgermeister will die Räumlichkeiten des ehemaligen Karstadt-Sportkaufhauses für Bildungsangebote nutzen. Denn bei den vier Gymnasien in der Lübecker Innenstadt, alles alte historische Gebäude, war ein Anbau kaum möglich. Die Idee „Lernen und Verweilen“ unter einem Dach stieß in der Stadtverwaltung sofort auf großes Interesse, erinnert sich Jan Lindenau. Im Herbst 2020 wurde die Karstadt-Sport-Filiale in Lübeck geschlossen. Circa 8.000 Quadratmeter Fläche standen hier leer und hatten den Stadtoberen lange Sorgen bereitet. Ende 2022 kaufte die Stadt das Gebäude in der Innenstadt für knapp 13 Millionen Euro und plant, neben den Geschäften im Umfeld auch 23 zusätzliche Schulräume für die knapp 600 Schüler_innen entstehen zu lassen. 2028 sollen dann auch die Hochschulen in das Gebäude mit einziehen. Die große Pause werden die jungen Menschen dann auf dem Schulhof auf dem Dach verbringen.
Bis zum vollständigen Umbau für den Schulbetrieb im Jahr 2028 gibt es eine Zwischennutzung. Das so genannte Übergangshaus. Geplant ist ab Juni 2024 ein vielfältiges Veranstaltungs- und Bildungsangebot. Moderne Aufenthalts- und Coworking-Bereiche sollen Raum schaffen für kreatives Arbeiten und Begegnung – ganz ohne Konsumzwang.
Dass Lernen in einer ehemaligen Unterwäscheabteilung möglich ist, ist in Siegen schon seit Ende 2020 Realität. 2018 startete die Baumaßnahme, bei der die obere Etage komplett geräumt und umgebaut wurde. Seitdem nutzten die Universität und das Warenhaus Galeria Karstadt Kaufhof das Gebäude im Herzen der Siegener Innenstadt gemeinsam, bis das Warenhaus 2023 schließlich auch aufgegeben wurde. Vorlesungen mit mehreren hundert Teilnehmenden in drei Hörsälen und sieben Seminarräumen sind auf dem „Campus Unteres Schloss“ möglich. Bis zu 1.350 Studierende können in dem Komplex gleichzeitig lernen und arbeiten. Der ehemalige Konsumtempel bekommt so eine völlig neue gesellschaftliche Bedeutung.
Vielen Umbauten liegt folgendes Konzept zu Grunde: Oben wohnen, arbeiten oder büffeln, unten shoppen. In Oldenburg zum Beispiel lädt das „Core“ durch einen Coworking-Space Unternehmen und Arbeitsnomaden ein, sich einzumieten und zu netzwerken. Auch in den „Neuen Höfen Herne“ wird das ehemalige Warenhaus teilweise an Büros vermietet, zudem gibt es ein Fitnessstudio und eine Außenterrasse. Für die Städte ist das ein enormer Wachstumsimpuls.
Die Stadtverwaltungen erhoffen sich durch dieses Mixed-Used-Konzept eine Wiederbelebung der Innenstädte. In Lübeck zum Beispiel werden sich dann nicht nur die Schüler_innen in der Innenstadt aufhalten, sondern auch die rund 18 Millionen Tagestouristen pro Jahr. „Wir wollten kein neues Hotel, wir wollen die Qualität des Tourismus erhöhen“, sagt Bürgermeister Jan Lindenau.
Im Erdgeschoss sollen Start-ups und Pop-up-Stores angesiedelt werden: In Zukunft werden hier lokale Unternehmer_innen ihre Waren anbieten, die in großen Warenhäusern vielleicht gar keinen Platz gefunden hätten. Bis die Planungen völlig abgeschlossen sind, wird das Gebäude in Lübeck zwischengenutzt. Im Erdgeschoss zieht ein digitaler Lerncampus ein, für Schüler_innen und Studierende, im ersten Stock eröffnet die sogenannte „Denkbar“, in der Interessierte mit den Stadtplaner_innen über die weitere Gestaltung nachdenken können. „Es ist ein offener Prozess“, sagt Lindenau. 25 bis 30 Millionen Euro nimmt die Stadt für den Umbau in die Hand. Auch der Bund beteiligt sich an den Kosten.
Bauprojekte wie in Lübeck, Lünen und Siegen zeigen, was für die Stadtentwicklerin Nina Hangebruch ein Ergebnis ihrer Forschung ist: Hinter dem Rückzug der Warenhäuser verbirgt sich ein riesiges Potenzial für neue Nutzungen. Rund eine Million Quadratmeter Verkaufsfläche seien allein deutschlandweit zwischen 2020 und 2024 frei geworden, so Hangebruch. „Schon allein mit Blick auf die Klimakrise können wir es uns gar nicht leisten ist, alles abzureißen und neu zu bauen“, sagt die Wissenschaftlerin. Die gute Nachricht: Bisher habe sich für fast alle ehemaligen Warenhäuser eine Nachnutzung gefunden.
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