Der rote Ochse

Dieser Beitrag von Dr. André Gursky erschien 2012 und war Teil des Projekts "Erinnerungsorte der Sozialdemokratie".

Außenansicht der Gedenkstätte. Eingang mit grauem Tor

Bild: von André Gursky/Gedenkstätte Roter Ochse Vornehmlich für politische Häftlinge: Die Gedenkstätte „Roter Ochse“ in Halle an der Saale.

Außenansicht der HAftanstalt. Hohes Gebäude aus Ziegeln mit kleinen Fenstern.

Bild: von André Gursky/Gedenkstätte Roter Ochse Durch diese Fenster fällt nur wenig Licht: Außenansicht des Hafthauses.

Seit 1849 ist in der Haftanstalt „Roter Ochse“ die Inhaftierung von Menschen aus politischen beziehungsweise religiösen und/oder rassistischen Gründen – darunter zahlreiche Sozialdemokraten – bis zu den Herbstereignissen des Jahres 1989 nachweisbar.

Sowohl der Haftkomplex selbst als auch das heutige Gedenkstättengebäude unterlagen im Laufe der Jahrzehnte mannigfachen baulichen Veränderungen. Den Ausgangspunkt für den Mitte der 1990er Jahre beginnenden Gedenkstättenumbau und für die neuen Dauerausstellungen bildete im weiteren Sinne die Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR, im engeren Sinne der Zustand des Gedenkstättengebäudes. Die historische Spurensuche bis 2005 legte erschütternde Fragmente frei, die den „Roten Ochsen“ als Haftort mit doppelter Diktaturerfahrung, als menschenverachtende strafrechtliche Zwangsinstitution zwischen 1933 und 1989 aufzeigen.

Mithilfe der zahlreichen Gerichts- und Haftakten oder Geheimdienstdokumente können die Lebenswege Tausender Menschen nachgezeichnet werden, die sowohl vor und nach 1945 dem jeweiligen Strafrechtssystem in dieser „Zwingburg“, wie der „Rote Ochse“ auch bezeichnet wird, ausgesetzt waren. Zeitzeugenberichte über Haftstrukturen und Hafterfahrungen befinden sich insbesondere für die 1950er Jahre im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, darunter auch die Erinnerungen des bekannten SPD-Politikers Willi Brundert, der in einem der berüchtigten Schauprozesse der SED-Justiz 1950 verurteilt wurde und bereits zuvor durch die sowjetische Besatzungsmacht im „Roten Ochsen“ verhört worden war. Häufig waren Sozialdemokraten, wie etwa auch Fritz Drescher, zugleich Opfer zweier Diktaturen – der nationalsozialistischen und der kommunistisch-stalinistischen.

Beide Phasen der politischen Strafjustiz werden in getrennten Ausstellungsbereichen im heutigen Gedenkstättengebäude dokumentiert und umfassend dargestellt. Dabei war es ein vordergründiger Konsens der an der Konzeption der beiden Dauerausstellungen Beteiligten, die Verbrechen des Nationalsozialismus durch den stalinistischen Terror der Nachkriegszeit und die SED-Diktatur nicht zu relativieren beziehungsweise die Verbrechen des Kommunismus durch Verweis auf den NS-Terror nicht zu bagatellisieren.

Das Gedenkstättengebäude als historischen Ort zu begreifen, der bereits mehrfach authentisch gebrochen war, eröffnete neue Perspektiven und Herangehensweisen an die Gestaltung der vorhandenen Raumstrukturen. Diese wurden entsprechend der konzeptionellen Orientierungen zum Teil völlig umgestaltet, insbesondere im Erdgeschoss, wo sich zwischen 1942 und 1945 eine Hinrichtungsstätte befand. In diesem Dokumentationsbereich treten die Spuren der Nutzung der Räume nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1989 besonders zutage. Der Umgang des MfS mit den baulichen Zeugnissen der NS-Diktatur im ehemaligen Hinrichtungskomplex des „Roten Ochsen“ wird durch einen zurückgesetzten Perspektivwechsel in diesem Bereich verdeutlicht. Auf Nutzungstafeln, die an zahlreichen Stellen des Hauses angebracht sind, erhält der Besucher eine bildliche Vorstellung des früheren Gesamtzustands.


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