Streik

Dieser Beitrag von Professor Dr. Inge Marszolek erschien 2012 und war Teil des Projekts "Erinnerungsorte der Sozialdemokratie".

Arbeitsniederlegungen hat es bereits in der Antike gegeben, doch erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gelten Streikbewegungen als Kampfmittel der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Arbeiterinnen. Die erste große europäische Streikbewegung in den Jahren 1889/90 markiert die wachsende Bedeutung der damals noch jungen Gewerkschaften. Die einschneidenden Erfahrungen der Schattenseiten der Industrialisierung in der Periode der „Großen Depression“ 1873–1896 mit Konjunktureinbrüchen und den sie begleitenden sozialen Konflikten führten zu massenhaften Arbeitsniederlegungen, zum Erstarken der gewerkschaftlichen Organisationen und in Reaktion darauf zu staatlichen Interventionen, die eine Regulierung der Konflikte zum Ziel hatten.

Von Beginn an waren die Streikbewegungen wie auch die staatlichen Maßnahmen von nationalen und ideologischen Unterschieden bestimmt. Trotzdem lässt sich sagen, dass aufgrund der gemeinsamen Erfahrungen in den Arbeitskämpfen regionale und nationale Unterschiede innerhalb der Arbeiterschaft zumindest partiell in den Hintergrund traten und diese die Internationalität der Arbeiterbewegung begünstigten. So ist die Gründung der Zweiten Internationale 1889 und ihr Beschluss, den 1. Mai als internationalen Kampf- und Festtag der Arbeiterbewegung zu deklarieren, eben auch im Kontext der Streikbewegungen zu sehen. Zugleich aber waren und sind Streiks auch „verdichtete Lernprozesse“ (Klaus Tenfelde), und das nicht nur für die Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern auch für die gewerkschaftlichen Organisationen wie für die Unternehmerschaft und den Staat.

Generell hat sich eine Unterscheidung von politischen und wirtschaftlichen Streiks durchgesetzt. In Deutschland ist seit 1955 – anders als etwa in Frankreich und Italien – der Streik zur Durchsetzung politischer Forderungen stark eingeschränkt. In Frankreich führte der Generalstreik 1936, mit dem auf die sofortige Installation der Volksfrontregierung gezielt wurde, dazu, dass die Arbeitgeber weitgehende Zugeständnisse vor allem an die kommunistische Gewerkschaft CGT machten (Anerkennung der Gewerkschaften, Bildung von Betriebsräten, Streikrecht und bezahlten Urlaub).

In der Bundesrepublik sind wirtschaftliche Streiks durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geregelt und folgen letztlich einem stark ritualisierten Ablauf – Tarifverhandlungen, Urabstimmung, Arbeitsniederlegung, Schlichtung. Allerdings war der Weg dorthin lang und steinig. Erstmals am Ende des Ersten Weltkriegs, in den Tagen der Novemberrevolution, wurden im Deutschen Reich Gewerkschaften als Verhandlungspartner der Unternehmerschaft anerkannt. Das Abkommen über diese Zentrale Arbeitsgemeinschaft (ZAG) war höchst umstritten und bestand lediglich bis 1924. Erst in der Bundesrepublik wurden die Gewerkschaften auf Dauer zu gesetzlich gleichberechtigten Partnern im Rahmen der Regelungsmechanismen zwischen Politik und Wirtschaft – die Sozialpartnerschaft prägt bis heute die Sozialverfassung der Bundesrepublik. Trotzdem führten Konflikte in den Betrieben, zum Beispiel bei Betriebsstilllegungen wie 1987 im Stahlwerk der Firma Krupp in Duisburg-Rheinhausen, auch zu heftigen Arbeitskämpfen und lokal begrenzten Generalstreiks.

Inwieweit die Sozialverfassung zu europäisieren ist und welche Veränderungen gerade in ökonomischen Krisenzeiten anstehen, sind hochaktuelle Themenfelder moderner Gewerkschaftsarbeit. Zugleich stellt sich angesichts von neuen Formen der sozialen Bewegungen, wie unter anderem von „Occupy Wall Street“, die Frage, ob und in welcher Weise die gewerkschaftlichen Streikbewegungen über die engeren sozialpolitischen und ökonomischen Forderungen hinaus in die Gesellschaft wirken werden.


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