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Gemeinde voller Energie

Die kleine Kommune Uckerland in Brandenburg macht vor, wie sich die Energiewende zum Erfolg führen lässt. Bürgermeister Matthias Schilling (SPD) schildert den Stand der Dinge.

Energiewende  |  15. Januar 2024  |   Interview von Harff-Peter Schönherr  |   Lesezeit: 5 Minuten

Wer auf Satellitenfotos nach der Gemeinde Uckerland sucht, findet auf 167 Quadratkilometern nur wenige Ortschaften und Häuser, dafür aber zahlreiche Windkraftanlagen. Wie viele sind das eigentlich?

Matthias Schilling: Derzeit sind es 111. Wir haben nur 16 Einwohner pro Quadratkilometer, also sehr viel Platz. Rund 85 Prozent der Fläche sind landwirtschaftlich genutzt, davon sind neun Prozent Windeignungsgebiete.

Brandenburgs Ziel, 2,2 Prozent seiner Fläche bis spätestens Ende 2032 für Windenergienutzung auszuweisen, hat Uckerland also bereits jetzt weit überschritten. Wie ist bei Ihnen gelungen, was anderenorts auf massive Widerstände stößt?

Das war ein langer Prozess. Die ersten Windräder sind vor über 20 Jahren entstanden, und nicht immer gab es bei uns eine kontinuierliche Befürwortung regenerativer Energien. Heute sind wir auf einem guten Weg. Wir erfahren Wertschätzung und Wertschöpfung, und das erzeugt Akzeptanz.

Wieviel Strom wird bei Ihnen produziert?

Wir könnten eine Stadt mit 125.000 Einwohnern übers Jahr versorgen, ohne dass bei unseren 2.600 Einwohnern das Licht ausgeht.

Aber es geht in Uckerland ja nicht nur um Masse, sondern Sie erproben ja auch Innovationen. Ist Uckerland ein Versuchsfeld in Sachen Regenerativ-Energie?

Das könnte man sagen; und es ist ein großer Ansporn, weitergeben zu können, was wir tun. Neulich war ich nach Potsdam eingeladen, um dem Rat der Gemeinden Europas vorzustellen, was hier passiert.

Ein Beispiel der Innovativkraft ist der Windspitzenwärmespeicher im Ortsteil Nechlin. Erklären Sie uns, was das ist.

Dieser Speicher ist der weltweit erste und einzige seiner Art. Nicht wegen seiner Technologie, die ist sehr einfach, die gibt es anderswo auch. Wegweisend ist, dass hier Abregelstrom eingesetzt wird, bisher ungenutzter Strom, erzeugt von Windrädern, die mehr produzieren als das Netz gebrauchen kann. Strom, der sonst verloren ginge, der an anderer Stelle weder gebraucht wird noch irgendwo hin transportiert werden kann, versorgt das Dorf mit Warmwasser, nicht zuletzt für die Heizung. Im Prinzip wird ein Reservoir aufgeheizt, das an ein Wärmenetz angeschlossen ist.

Wie viele Einwohner von Nechlin sind dem Netz angeschlossen?

Alle. Wir haben da 40 Haushalte, mit 100 Personen.

Nechlin ist winzig, aber in Sachen Regenerativ-Energie geschieht hier Großes?

So empfinde ich das. Das ist ein zukunftsweisendes Projekt. Und die Bürger profitieren direkt davon, indem sie günstigen Windstrom nutzen.

Der Betreiber des Speichers ist der Windparkentwickler Enertrag. In Ihrer Kommune ist er federführend. Hat er eine Monopolstellung?

Enertrag betreut den Großteil der Anlagen bei uns. Aber viele Unternehmen sind auf unseren Windfeldern präsent, von Notus Energy über Denker & Wulf, WindBauer und wpd bis TWE-Tandem.

Sie haben über den Speicher einen sehr mutigen Satz gesagt: „Energiewende kann so einfach sein". Ist sie das wirklich?

Das ist natürlich etwas provokant (lacht). Aber für die Gemeinde Uckerland gilt das tatsächlich. Jüngst haben wir mit Enertrag einen Vertrag nach § 6 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes geschlossen, der die Gemeinde mit 0,2 Cent pro eingespeister Kilowattstunde beteiligt. Vielleicht müsste man den Satz ein bisschen ändern: Sie KÖNNTE so einfach sein.

Geben Sie uns ein paar Beispiele?

Wünschenswert wäre eine gesetzliche Regelung, dass Abregelstrom genutzt werden muss, um vergütet zu werden. Bisher wird er dem Anbieter ja ohne Nutzung vergütet, und das hat volkswirtschaftlich keinen Sinn. Zweites Beispiel: In Brandenburg ermöglicht das Windenergieanlagenabgabengesetz, dass für jede neugebaute Windkraftanlage 10.000 Euro in den Finanzhaushalt der Kommune fließen. Eine gute Idee, aber es wäre besser, das leistungsbezogen zu machen, nicht anlagenbezogen. Drittes Beispiel: die 0,2 Cent aus § 6. Sie sollten verbindlich sein, nicht nur ein Kann der Unternehmen.

Im 16. Zukunftsforum Ländliche Entwicklung „LAND. KANN. KLIMA", Anfang 2023, haben Sie den Vortrag „Neue Wertschöpfung durch Klimaschutz" gehalten. Birgt ein solches Monetär-Denken nicht die Gefahr, dass beim Thema Klimakrise alle nur noch den Profit vor Augen haben?

Monetäres Denken ist ein Motor, Dinge zu befördern. Aber es darf nicht in den Vordergrund treten. Im ländlichen Raum war in den letzten Jahrzehnten sehr wenig möglich; Zuwendungen waren häufig an Einwohnerzahlen gebunden. Wertschöpfung ist notwendig, auch um die Infrastruktur für die Daseinsfürsorge zu erhalten. Wir brauchen also etwas, das sich monetär in den Gemeindehaushalten widerspiegelt, günstigstenfalls auch in den Haushalten der Bürger. Aber natürlich wäre es gut, wenn alle nach Wegen suchen würden, Energie einzusparen, wenn etwas Werteorientiertes bestimmend ist, nicht nur die Preisfrage.

Windkraftanlagen haben ja nicht nur Vorteile. Es gibt Schattenwurf und Störgeräusche, Zuwegungen werden gebaut. Es gibt Vogel- und Fledermausschlag, Insekten werden durch die Rotoren angesogen. Wie gehen Sie damit um?

Beeinträchtigungen des Natur- und Landschaftshaushalts müssen sehr ernst genommen werden, auch Beeinträchtigungen des Menschen. Zum Beispiel die blinkenden Warnlichter auf den Windkraftanlagen. Wir erproben seit Jahren ein Modell, das die Beleuchtung erst dann eingeschaltet, wenn sich ein Flugobjekt nähert, aber das muss von der Flugsicherung noch flächendeckend genehmigt werden. Und gegen den Vogelschlag haben wir eine KI-gestützte Objekt- und Tiererfassung erprobt, zur Herunterregelung von Windkraftanlagen.

Einige Beeinträchtigungen lassen sich technologisch nicht vermindern, die Veränderung des Landschaftsbildes zu Beispiel.

Da kann das Repowering helfen. Zwölf Anlagen sind in letzter Zeit bei uns abgebaut worden, dafür sind drei neue, größere, entstanden, mit über fünf Megawatt Leistung. Und das wirkt sich nicht nur im Landschaftsbild aus, da werden auch die Fundamente aus dem Boden entfernt.

Wie geht es in Uckerland weiter?

Es gibt die Idee, ein Leitbild für die Gemeinde zu entwickeln. Es soll darauf zielen, dass die Veredelung der regenerativen Energien, die vor Ort erzeugt werden, so stattfindet, dass der Strom nicht abtransportiert wird. Es muss dezentrale Erzeugung von Wasserstoff geben, es müssen Speichermodelle gefunden werden für die Wind- und Solarfelder auf unseren Flächen. Gut wären grüne Gewerbegebiete für energieintensive Unternehmen, von der Serveransiedlung bis zum Vertical Farming.

Gegen die Klimakrise kann man ja auch andere Dinge tun als Windräder zu bauen, vom ÖPNV-Ausbau bis zum Verzicht auf Massentierhaltung. Profiliert sich Uckerland hier auch?

Wichtig ist, ganzheitlich zu denken. Die Erzeugung regenerativer Energie ist kein Allheilmittel.

Wie tragfähig ist der politische Konsens für Ihre Energiepläne?

Wir haben dafür eine solide Mehrheit in der Gemeindevertretung, als Übereinstimmung zwischen der SPD, den Linken, der CDU und einigen unabhängigen Abgeordneten. Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, von der Befürchtung, dass alles nur negativ ist, hin zu der Überzeugung, dass Kommune und Bürger was davon haben. Leider widersprechen BVB Freie Wähler jeglichem Beschluss, der mit regenerativer Energieerzeugung zu tun hat. Wenn sich solche Stimmen verstärken, können Projekte wie das unsere schnell scheitern.

Warum ist es Ihnen wichtig, an einem so wegweisenden Projekt mitarbeiten zu können?

Das ist superspannend. Viele Kommunen suchen nach Lösungen, brauchen positive Beispiele, um selbst aktiv zu werden.

Und wie reagiert die Bevölkerung? Stolz?

Sie trägt das nicht so stark nach außen. In der Uckermark sind wir eher bescheiden, ein bisschen vorsichtig. Man könnte sagen: Es gibt innere Zufriedenheit.

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