Auf dem Weg zur Schule von morgen
2021 startete in Niedersachsen das Modellprojekt „Zukunftsschule“. Seither probieren 64 Schulen, wie innovatives Lernen aussehen kann. Im Fokus stehen Nachhaltigkeit und Demokratie.
Mitbestimmung | 3. April 2025 | Bericht von Simone Schnase | Lesezeit: 5 Minuten
Begonnen hat alles mit dem Projekt „Bildung 2040“: Vier Jahre lang, von 2018 bis 2022, setzte sich das niedersächsische Kultusministerium mit der Frage auseinander, wie unsere Gesellschaft und damit auch unsere schulische Bildungslandschaft im Jahr 2040 aussehen könnten. Dabei ging es um Fragen wie diese: Was und wie sollen Kinder und Jugendliche lernen, um fit für die Zukunft zu sein? Auf Grundlage welcher Wertvorstellungen und pädagogischen Leitideen soll Bildung zukünftig stattfinden? Welche Kompetenzen benötigen Schüler:innen, um unsere Gesellschaft mitgestalten zu können?
Ideale Lernumgebung von morgen
Zielsetzungen für die Bildung der Zukunft formulierte das Kultusministerium schließlich in zwei Erlassen. So sollen Lernende laut dem Erlass „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)“ durch schulische Konzepte wie Umweltbildung, Globales Lernen, Demokratiebildung, interkulturelle Bildung, Bildung zu nachhaltiger Mobilität oder Friedenspädagogik zu „einem selbstbestimmten, mitgestaltenden, verantwortungsbewussten und solidarischen Leben in der globalisierten Gesellschaft“ befähigt werden. Der Erlass „Stärkung der Demokratiebildung“ formuliert das Ziel, Schüler:innen darauf vorzubereiten, „als mündige Bürgerinnen und Bürger kritisch und selbstreflexiv in demokratischen Aushandlungsprozessen mitzuwirken“.
Unerwartet große Resonanz
Um herauszubekommen, wie für die sinnvolle Vermittlung dieser Ziele die ideale Lernumgebung von morgen aussehen muss, wurden die „Zukunftsschulen“ als Modellprojekt beschlossen. Angelegt ist es auf fünf Jahre, von 2021 bis 2026, und dabei geht es nicht nur um die Veränderung und Erweiterung bestehender Unterrichtsinhalte, sondern auch um Schulkonzepte insgesamt.
Das stieß auf unerwartet große Resonanz: Ursprünglich war das Projekt nur für die Teilnahme von zwanzig niedersächsischen Schulen geplant, aber da die Anzahl der Bewerbungen viel größer war als erwartet, durften schließlich alle Schulen, die den Bewerbungsprozess erfolgreich durchlaufen hatten, „Zukunftsschulen“ werden – 64 sind es heute insgesamt.
Freiheit schafft Neues
„Schulen brauchen Freiheiten, um sich innovativ entwickeln zu können. Diese Freiheiten geben wir mit dem Modellprojekt Zukunftsschulen“, sagte im Herbst 2021 der damalige niedersächsische Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) zum Start des Modellprojekts – und diese Freiheiten werden genutzt:
Da gibt es Schulen, die sich durch einen Schulgarten oder Schulbauernhof, durch Bienen- und Imker-AGs vor allem dem Thema Natur und Ökologie annähern. Andere Schulen setzen sich schwerpunktmäßig mit den Themen Digitalisierung und KI auseinander. Und Schulen wie die in der VORAN-Reportage vorgestellte Alexanderschule in Wallenhorst, die Handwerk und Nachhaltigkeit miteinander verbinden.
Es gibt jahrgangsübergreifende Projekte, Klassenpatenschaften, Forschertage oder Änderungen der Unterrichtsstruktur etwa durch das Zusammenlegen von Schulstunden.
Manche Zukunftsschulen haben sich im Laufe des bisherigen Projektzeitraums gravierend verändert: So gibt es im fünften Jahrgang der Integrierten Gesamtschule (IGS) Flötenteich in Oldenburg inzwischen keinen regulären Unterricht und keinen Stundenplan mehr, alle weiteren Jahrgänge sollen nach und nach folgen.
Auf dem Stundenplan: Welt verändern!
Verbreitet sind die sogenannten „Frei Days“: Das ist ein Lernformat, in dem Schüler:innen selbst gewählte Zukunftsfragen miteinander diskutieren, wobei sich die Themen dieser Fragen an den Nachhaltigkeitszielen der UN orientieren. Kaum eine Zukunftsschule hat keine „Frei Days“ eingeführt und auch andere Schulen in Niedersachsen wenden dieses Lernformat an. Die grüne Kultusministerin Julia Willie Hamburg ist so überzeugt von den „Frei Days“, dass sie sie in Niedersachsen gern ausweiten würde.
Anrechnungsstunden für Innovationen
Die Gestaltung und Weiterentwicklung der „Zukunftsschulen“ benötigt aber nicht nur Kreativität und pädagogische Ideen und Konzepte, sondern natürlich auch Geld und Personal. Auf VORAN-Anfrage antwortet dazu Manuela Meyer, Sprecherin beim niedersächsischen Kultusministerium: „Von 2021 bis Schuljahr 2024/25 bekamen alle teilnehmenden Schulen Anrechnungsstunden, um Innovationen umzusetzen und diese zu evaluieren.“ Schulen, die darüber hinausgehende Bedarfe feststellten, konnten diese gesondert beantragen und bekommen laut Meyer dafür auch weiterhin Anrechnungsstunden. Das Gleiche gilt für Schulen, die sich als Hospitationsorte zur Verfügung stellen.
Daneben bleibt es laut Meyer „den Schulen überlassen, ob sie schulintern noch weitere Anrechnungsstunden, zum Beispiel für eine Schulentwicklungsgruppe, vergeben.“ Wie viel Geld für das Projekt insgesamt zur Verfügung gestellt oder abgerufen wurde, kann sie nicht sagen: „Die unterschiedlichen Schwerpunkte und Entwicklungen über all die Jahre machen es schwierig, Fortbildungen, RLSB-Personal und Anrechnungsstunden genau finanziell zu beziffern.“
Offene Plattform für Schulen mit Ideen
2021 startete auch das „Netzwerk Werkstatt Zukunftsschule“ als offene Plattform für innovationswillige Schulen, die nicht Teil des Modellprojekts waren. „In beiden Formaten sollten in unterschiedlicher Intensität Schulentwicklungsprozesse angeregt werden, deren Grundlage der Erlass zur Bildung nachhaltiger Entwicklung und der Demokratiebildungserlass sein sollen“, so die Ministeriumssprecherin. Zu diesem Zweck fanden jährlich zwei bis drei regionale Netzwerktreffen statt, die von Planungsteams aus unterschiedlichen Fachberatungen sowie von Vertretungen außerschulischer Lernstandorte und der Bildungsinitiative „Schule im Aufbruch“ organisiert und begleitet wurden. Daneben bot das Niedersächsische Landesinstitut für schulische Qualitätsentwicklung (NLQ) digitale Mikrofortbildungen und einmal im Jahr eine landesweite Fachtagung an. Diese Angebote sind allerdings mit dem Ende des Schuljahres 2023/2024 ausgelaufen.
Keine Schule ist wie die andere
Noch nicht beendet ist indes das Modellprojekt Zukunftsschule. Die teilnehmenden Schulen werden noch bis 2026 engmaschig von Expert:innen wie der Fachberatung Unterrichtsqualität oder der Schulentwicklungsberatung der Regionalen Landesämter für Schule und Bildung sowie dem NLQ in Form von Präsenzveranstaltungen, Fortbildungen und didaktischen Werkstätten begleitet. Dabei werde, so Meyer, „häufig über das Thema ‚pädagogische Haltung‘ und ein modernes Lernverständnis diskutiert. Außerdem zeigt sich, dass Schulen rechtlich und formal Beratung und Verbindlichkeit benötigen.“ Denn keine Schule ist wie die andere und jede Schule benötigt Unterrichtskonzepte, die die konkrete Situation vor Ort berücksichtigen können. Dafür können sich im Rahmen des sogenannten „Freiräume-Prozesses“ Schulen über bestehende Gestaltungsspielräume informieren und beraten lassen, aber auch mit Genehmigung der obersten Schulbehörde vom jeweiligen Grundsatzerlass abweichende Modelle erproben.
Schulentwicklungsprozesse in die Breite tragen
In diesen „Freiräume-Prozess“ soll in seinem letzten Jahr auch das Modellprojekt übergehen, um, so Meyer, „die bereits in den Modellprojektschulen angeregten Schulentwicklungsprozesse in die Breite zu tragen und darüber hinaus andere, neue Formate zur Steigerung der Unterrichtsqualität auszuprobieren.“ Diese Formate können Lehrende sich live in einer oder mehrerer von 43 Hospitationsschulen in Niedersachsen anschauen. „Außerdem wird es im Juni 2025 eine große Freiräume-Veranstaltung geben, an der Modellprojekt-Schulen und interessierte Schulen, die sich ebenfalls auf den Weg machen wollen, gleichermaßen teilnehmen können“, erklärt Meyer. Eine Projekt-Evaluation durch das NLQ werde „derzeit intern qualitativ ausgewertet, interpretiert und für die weitere Konzeption des Freiräume-Prozesses genutzt.“ Aus einem Projekt für die Zukunft erwachsen also langsam, aber sicher die Schulen der Gegenwart.