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Nachhaltigkeit, die Zukunft sichert

Der Landkreis Lüchow-Dannenberg hat sich als Modellregion dem „Cradle to Cradle“-Prinzip verschrieben. Das Zauberwort: Kreislaufwirtschaft.

Strukturwandel | 4. November 2024 | Bericht von Harff-Peter Schönherr | Lesezeit: 5 Minuten

Abkürzungen sind beliebt, auch wenn das Abgekürzte gar nicht so lang ist. Sie wirken modern, trendy. Das gilt auch für das Kreislaufwirtschafts-Konzept „Cradle to Cradle“. Kurz wird daraus: C2C. Mit Kürzeln ist das allerdings so eine Sache: Ihr Pool an Variationen ist schmal. Auch das „Consumer to Consumer“-Konzept nutzt das griffige C2C. Aber allzu irritierend ist die Doppelung nicht: Hier wie dort geht es um ein alternatives Wirtschaftssystem.

Entwickelt hat den „Cradle to Cradle“-Gedanken der Chemiker und Verfahrenstechniker Michael Braungart, Professor für Öko-Design an der Leuphana Universität Lüneburg (siehe Interview).

Fair und nachhaltig produzieren

C2C steht für Material-Nachhaltigkeit: Da ist das Holzhaus, dass so gebaut ist, dass es am Ende komplett in den Schredder kann – und als Späne zurück in den Wald. Da ist ein Kleid aus recycelten PET-Flaschen, dass danach zu einer Hose wird. Mehr noch: C2C steht für Herstellungsprozesse unter Einsatz erneuerbarer Energie, fairer Arbeits­bedingungen.

Eine Region, die sich dem „Cradle to Cradle“-Gedanken besonders intensiv verschrieben hat, ist der Landkreis Lüchow-Dannenberg. Zusammen mit dem angrenzenden Landkreis Lüneburg lief hier von 2021 bis 2023 das Regionalentwicklungsprojekt „Neue Strategien und Strukturen für eine Cradle to Cradle Modellregion in Nordost-Niedersachsen“, unterstützt durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Seit Mitte 2024 führt der Verein Connect Circular die Idee in einem C2C-Innovationslabor in Dannenberg fort.

„Wir konnten mit dem Modellprojekt Aufmerksamkeit für das Thema schaffen und damit auch die Ideen von C2C implementieren“, schreibt Dagmar Schulz (parteilos), Landrätin des Landkreises Lüchow-Dannenberg, auf Anfrage von VORAN. „Gemeinsam mit den Menschen, Institutionen, Betrieben arbeitet die Verwaltung derzeit an einem neuen Zukunftsentwicklungskonzept für den Landkreis“. C2C ist Teil dieses Konzepts. Und die Transformation des Landkreises geht über das Regionale hinaus: „Wir sind Mitglied der C2C Community, haben gute Kontakte zum Verein Cradle to Cradle NGO in Berlin.“

 

Überzeugungsarbeit leisten

Eine Umstellung nach C2C ist kein Sprint. Überzeugungsarbeit ist zu leisten, technische Prozesse ändern sich nicht von heute auf morgen. Aber der Anfang ist gemacht: „Das Interesse und der Bedarf an nachhaltiger und ressourcenschonender Kreislaufwirtschaft ist vorhanden“, so Dagmar Schulz.

Das Projekt werde „weiter verstetigt“. Das Wendland biete für den C2C-Gedanken einen guten Nährboden, meint die Landrätin: Seit Jahrzehnten seien die Menschen hier „offen für nachhaltige Strategien, waren immer wieder Vorreiter – etwa im Bereich erneuerbarer Energie, in der Direktvermarktung und Biolandwirtschaft und bei neuen Wohnformen in den Dörfern“. Das sei auch die Folge der 40 Jahre langen Auseinandersetzung um ein Atommüllendlager im Salzstock Gorleben.

C2C in ländlichen und strukturschwachen Regionen

Profiteure des C2C-Prozesses seien alle, vor allem auch nachfolgende Generationen: Schulz: „Während Wirtschaftsförderung in vergangenen Jahrzehnten häufig einen klaren Wachstumsprozess mit optimierten Gewinnen gefördert hat, bedarf es angesichts des Klimawandels, der gesellschaftlichen Ansprüche, auch neuer, nachhaltiger Ansätze für die heimische Wirtschaft.“ In Unternehmen könne C2C Produktionsprozesse nachhaltig verbessern.

Dabei lasse sich Kreislaufwirtschaft auch in einer ländlichen und strukturschwachen Region wie Lüchow-Dannenberg anstoßen. Die Kommunalverwaltung versucht, dabei Vorbild zu sein: Beim Um- oder Neubau von Gebäuden. Bei der Beschaffung, die auf Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit achtet, etwa bei Green IT.

C2C zielt im Kern auf neues Wirtschaften. „Um weitere Klima- und Umweltzerstörung und eine drohende Ressourcenerschöpfung zu verhindern, muss das Richtige getan werden, statt nur das Falsche weniger schlecht“, steht im „Strategischen Regionalentwicklungskonzept“ (SREK) der Modellregion Lüchow-Dannenberg/Lüneburg.

Mit Wolle umweltfreundlich produzieren

Ute Luft von „Elbwolle“ in Lüchow tut das Richtige. Sie nutzt norddeutsche Wolle und stellt daraus Garne her, für ihr Label „Vauno“ auch Kleidung. Luft, die idyllisch auf einem Resthof lebt, sieht sich als „Missionarin“, sagt sie. Lufts Modelle sind langlebig, ihre Designs zeitlos, unisex. Alles ist so umweltfreundlich, dass man es am Ende auf den Kompost werfen kann. Und wenn beim Stricken etwas nicht stimmt, lässt sich alles wieder aufribbeln, ohne Materialabfall.

Dass Luft sich als Missionarin sieht, verwundert auf den ersten Blick, denn sie tut Jahrhundertealtes. Aber: „Viel Infrastruktur ist weggebrochen, von der Spinnerei bis zur Wäscherei. Das gilt es wiederzubeleben, in die Region zurückzuholen. Genauso schockierend ist, wie viel Wissen verlorengegangen ist. Alte denken: Wolle kratzt. Junge kennen gar keine Wolle mehr.“

Die Unterstützung für Wolle als regionaler Ressource ist minimal, kritisiert Luft. „Wenn ich an irgendeinem neuen, fancy Material forsche, wird das gefördert. Eine Technik wie die unsere geht leer aus. Das Thema ist offenbar nicht sexy genug.“ Aber das schreckt Luft nicht. Immerhin ist sie Wendländerin. „Im Wendland ist es normal, anders zu sein“, sagt sie und lacht. C2C wünscht sie sich „noch konsequenter“. Es gehe ja nicht nur darum, ein Produkt so umweltfreundlich wie möglich herzustellen. „Man muss viel früher ansetzen: Ist das Produkt überhaupt sinnvoll?“

Netzwerken und Türen öffnen

Remo Röntgen, im Vorstand von „Connect Circular“, zieht für die Modellregion eine positive Bilanz. „Der Prozess hat Kompetenzen aufgebaut“, sagt er. „Zu unserer Auftaktveranstaltung kamen viele sehr vorinformiert.“ Der Verein setzt auf Wirtschafts-Netzwerkarbeit, will Türen öffnen, Partner zusammenbringen. Wer bei einem Transformationsprozess Hilfe braucht, findet sie hier. „Wichtig ist, dass auch Große sich verändern“, sagt Röntgen. Er hofft auf Ideen- und Produkt-Export aus der Region. Auf Know-how, das von außerhalb in die Region hineinstrahlt, auf neue Betriebsstätten und auf Produktportfolios, die sich ändern.

Schnell geht das natürlich nicht. Aber: „In zwei Jahren werden wir fünf kreislauffähige Produkte im Markt haben“, prognostiziert Röntgen. „Projektansätze mit lokalen Firmen gibt es schon. Wir führen zum Beispiel gerade Cradle to Cradle-zertifizierte Vorhang- und Polsterstoffe sowie Bekleidung mit Partnern im Markt ein. Diese Produkte und Technologien werden in der Modellregion sofort verfügbar und sollen auch zu eigenen Projekten führen“, sagt Röntgen. Es gehe um alle Wertschöpfungsstufen, um Handel und Produktion sowie Rücknahmesysteme - also die Etablierung von Kreislaufwirtschaft. Ähnliche Ziele würden mit Partnern in den Bereichen Mobilität, Energie und Bauen verfolgt.

Röntgen sieht sich als Veränderer. Aber er ist dabei kein kompromissloser Verfechter der reinen Lehre: „Wenn sich bei Irgendetwas 80 Prozent schnell verändern lassen, dann sofort machen und nicht auf die letzten 20 Prozent warten, die vielleicht noch Jahre dauern! Es ist nicht immer alles perfekt!“

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