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Engagement-Blog

(Anti-)Rassismus: Diskriminierungssensible Zivilgesellschaft gestalten

Von Vanessa Kiesel und Sarah Morcos

Rassismus und Diskriminierung gibt es an vielen Stellen der Gesellschaft, auch vor NPOs und zivilgesellschaftlichem Engagement machen sie nicht halt. Was kann die Zivilgesellschaft gegen Rassismus und Diskriminierung tun und dafür sorgen, dass alle willkommen sind?

Zivilgesellschaft und Engagement müssen inklusiver und sensibel für Ausschlüsse werden. Im Engagement-Blog zeigen wir, worauf NPOs und Engagierte achten können, um diskriminierungssensibel im Engagement zu sein, rassismuskritische Perspektiven zu fördern und für gleichberechtigte Teilhabe einzutreten.


Mehr als Vorurteile und Gewalt: Rassismus als komplexes gesellschaftliches Phänomen begreifen

Oft wird über Rassismus gesprochen, wenn es um (rechte oder rechtsextreme) Gewalt oder um Vorurteile oder Stereotype geht. Ein solches Verständnis von Rassismus greift jedoch zu kurz, da die Zusammenhänge, Entstehensbedingungen und Komplexität von Rassismus so verschleiert werden. Folge ist, dass rassistische Gewalt als „Ausnahme“ in ohnehin demokratiefernen Milieus verortet wird und Vorurteile als schlichtes „Bildungsdefizit“ oder abstraktes Phänomen betrachtet werden. Rassismus existiert jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern ist eng mit all unseren Lebensbereichen verwoben.

Rassismus ist die Summe aller Verhaltensweisen, Gesetze, Bestimmungen und Anschauungen, die den Prozess der Hierarchisierung und Ausgrenzung unterstützen. Sie beruhen auf ungleichen Machverhältnissen. (vgl. IDA-Glossar)

Auf den Punkt: Die Ebenen von Rassismus und Diskriminierung

Rassismus zeigt sich auf drei Ebenen wirkmächtig:

  • Individuelle Ebene
  • Institutionelle Ebene
  • Strukturelle Ebene

Gegen Rassismus und Diskriminierung vorzugehen, ist eine wichtige Aufgabe für demokratische Zivilgesellschaft auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die die Teilhabe aller ermöglicht. Veränderungen in NPOs sollten idealerweise auf allen drei Ebenen ansetzen, um wirksam zu einer gleichberechtigten Organisationskultur beizutragen.


Checkliste für die rassismuskritische Organisation

Auch für NPOs und Zivilgesellschaft sollte eine antirassistische Grundhaltung selbstverständlich sein und Einzug in Organisationskultur und Handeln der Organisation finden.

Folgende Reflexionsprozesse in Bezug auf (Anti-)Rassismus und Diskriminierungssensibilität können in Ihrer Non-Profit-Organisation oder Bewegung angeregt werden:

Check: Lernende Organisationen

Lern-Check und Lernkultur in der Organisation
  • Haben wir uns mit dem Thema auseinandergesetzt und ein gemeinsames Verständnis von Rassismus und/oder Diskriminierung in unserer Organisation?
  • Gibt es Materialien, Bildungsangebote oder Beratung zum Thema?
  • Gibt es Expertise in der eigenen Organisation oder fragen wir externe Expertise an?

Achtung: „Betroffene“ oder Menschen, denen bestimmte Merkmale zugeschrieben werden sind nicht automatisch Expert_innen und sollten nicht zu den Sprecher_innen für bestimmte „Gruppen“ gemacht werden.

Check: Repräsentation

Repräsentations-Check innerhalb und außerhalb der Organisation
  • Wer ist in unserer Organisation repräsentiert? Wer ist im Vorstand oder als Gesicht unserer Organisation sichtbar? Wer sind unsere Mitglieder? Wer ist bei unseren Mitgliedern oder Engagierten repräsentiert und vor allem: Wer nicht? Wollen wir das ändern?
  • Wer sind unsere Zielgruppen? Denken wir die Pluralität der Gesellschaft dabei mit? Welche Bilder und vielleicht auch Stereotype prägen unsere Vorstellungen?
  • Denken wir Menschen mit unterschiedlichen Marginalisierungserfahrungen, z.B. unterschiedlicher Herkunft, sexueller Orientierung, verschiedene Geschlechter & Geschlechtsidentitäten, unterschiedliche Lebensalter, mit? Wenn ja: Wie stellen wir sicher, die Menschen nicht auf Zuschreibungen und Vorurteile zu reduzieren?  

Check: Organisationshandeln & Veränderung

Veränderungs-Check für die Prozesse in der eigenen Organisation
  • Gibt es (überhaupt) die Möglichkeit über ausgrenzende Praktiken, Rassismus oder Diskriminierung in unserer Organisation zu sprechen? Wenn nein, woran liegt das? Wie könnten solche (Gesprächs-)Räume aussehen?
  • Welche Maßnahmen haben wir bisher ergriffen? Wie gehen wir (bisher) mit rassistischen Vorfällen um?
  • Gibt es Leitlinien, Ansprechpersonen? Sind diese nach innen und/oder nach außen verständlich kommuniziert?
  • Setzen wir uns mit den diskriminierenden Strukturen auseinander? Welche Ideen gibt es in unserer Organisation zum Abbau von diskriminierenden Strukturen?

Tipp: MuP-Publikationen zum Thema

Wie Sie die Organisationskultur in Ihrer NPO analysieren und verändern können, erfahren Sie im MuP-Thema im Fokus "Organisationskultur und Engagement" und der MuP-Broschüre "Organisationskultur in Non-Profit-Organisationen".

Mehr zum Thema Veränderungsmanagement erfahren Sie im Trainingsbuch "Change: Veränderung. Vorgehen, Haltung und Organisation bei Veränderungsvorhaben in NPOs", das Sie über unser Bestellformular bestellen können.


Für die Praxis: 8 Fallstricke und Alternativen

Was gilt es auf dem Weg zu einer gerechteren Zivilgesellschaft zu beachten? Neben Empathie und dem Blick für Strukturen, sind es auch die uneingeschränkte Solidarät mit Betroffenen und eine kritische Selbstreflektion, die für Veränderungen wichtig sind.

Beachten Sie in Ihrer Arbeit diese acht häufigen Fallstricke und Alternativen für eine inklusivere und demokratische Zivilgesellschaft:

1. Strukturelle & institutionelle Analysen statt individueller Schuldzuweisungen

Wenn es um rassistische Praktiken und Handlungen geht, wird in Organisationen oft nach vermeintlich Schuldigen gesucht und das Handeln von einzelnen Personen als individuelles Fehlverhalten thematisiert.

Verantwortungsübernahme ist zweifellos wichtig, sollte aber nicht dazu führen, institutionelle und strukturelle Ebenen aus dem Blick zu verlieren. Die Folgen von individuellem Verhalten können zwar gravierend sein, es ist im Kontext von Rassismus und Diskriminierung aber auch wichtig, gesamtgesellschaftliche Prozesse, Probleme und Strukturen zu betrachten.

2. Zuhören, anerkennen und Empathie zeigen statt relativieren und umdeuten

Wenn es zu rassistischen Handlungen, Aussagen oder Praktiken in der Organisation kommt, fallen häufig Aussagen wie: „Das war nicht so gemeint.“  - „Bildest du dir das nicht ein?“ - „Bist du nicht zu empfindlich?“ - „Das war doch nett gemeint.“

Diese Aussagen sind Beispiele für das, was Menschen zu hören bekommen, die rassistische Aussagen oder Handeln in Organisationen thematisieren. Gerade Menschen, die selbst nicht von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, fällt es schwer, die Dynamiken und Auswirkungen zu erkennen.

Hier braucht es einen Wandel: Menschen sollte zugehört, unterschiedliche Perspektiven sollten wahrgenommen und anerkannt werden. Was zählt, ist Empathie!

 

3. "Wir erleben nicht alle das Gleiche"-Realität und Intersektionalität anerkennen

Gemeinwohlorientierte und demokratische Organisationen arbeiten für die "gute Sache" und identifizieren sich häufig mit den Idealen einer gerechteren und gleichberechtigten Zukunft für alle.

Auch deshalb können NPOs anfällig dafür sein, Diskriminierung unsichtbar zu machen. Zwar sind selbstredend alle Menschen gleichwertig und haben die gleichen Rechte, aber unterschiedliche gesellschaftliche Positionen und Chancen führen dazu, dass manche Personen ihre Rechte leichter durchsetzen können als andere.

Perspektiven und Aussagen wie "wir sind doch alle gleich!", können dazu führen, dass Diskriminierung und diskriminierende Strukturen nicht besprechbar und schlicht nicht sichtbar sind.

Vielmehr sollten unterschiedliche Lebensrealitäten und Perspektiven in Organsiationen sichtbar werden können - denn das Gleiche erleben wir nicht alle. Dabei sollten auch Verschränkungen verschiedener Diskriminierungserfahrungen mitgedacht werden ("Intersektionalität"). Einen ausführlichen Blick auf den Begriff ermöglicht diese Broschüre des DeZIM-Instituts.

4. Fokus auf Wirkung und Folgen statt auf Intention

Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass es bei Diskriminierung auf die Intention ankomme. Regeln, Handlungsmuster, Kommunikation oder Aktionen können diskriminierend sein, ohne dass dies gewollt oder geplant ist – es kommt also auf die Wirkung bei Betroffenen an und nicht auf die Intention.

In demokratischen Kontexten ist es nicht Absicht oder Ziel, dass z.B. Menschen, die von Rassismus, Sexismus oder anderen ausgrenzenden Strukturen betroffen sind, weniger im Engagementbereichen vertreten sind, sondern es gilt anzuerkennen, dass weniger Repräsentation und Partizipation eine Folge von diesen Strukturen sind.

5. Verantwortung übernehmen statt Missverständnisse postulieren

Diskriminierungsverantwortliche oder Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, nehmen diskriminierendes Verhalten häufig als Missverständnisse wahr. Die Verantwortung  für die Ausgrenzung wird den betroffenen Menschen und den „Gefühlen“ zugeschoben, da diese sich herabgesetzt fühlen. Auf individueller Ebene führt Rassismus natürlich zu Verletzung, bei einer (öffentlichen) Kritik stehen aber nicht die Gefühlswelten im Vordergrund, sondern Strukturen, die dazu führen.

Ein bekanntes Phänomen in diesem Zusammenhang ist die sogenannte „Nopology“ (engl. Kunstwort bestehend aus no ("nein") und apology ("Entschuldigung"). Hier handelt es sich um Schein-Entschuldigungen wie beispielsweise: „Es war nicht unsere Absicht, Gefühle zu verletzten oder gar zu beleidigen, dies bedauern wir sehr.“ Eine solche Entschuldigung geht nicht auf eine argumentative Analyse ein. Formell sind zwar Elemente einer Entschuldigung enthalten, inhaltlich geht es jedoch nur um vermeintliche Befindlichkeiten von Kritiker_innen. So wird eine inhaltliche und argumentative Auseinandersetzung verhindert und die eigene Deutungshoheit gewahrt, bei der die eigene vermeintliche nicht-rassistische Intention im Vordergrund steht.

Weitere Abwehrmechanismen, die inhaltliche und strukturelle Auseinandersetzungen verhindern sind beispielsweise: „Das ist halt Humor, ist doch witzig.“ - „Wir sind eine demokratische Organisation, da gibt es keinen Rassismus.“ - „XY ist schon seit Jahren ein sehr engagiertes Vereinsmitglied, daher kann er/sie gar nicht rassistisch sein.“ - „Wir organisieren regelmäßig Demos gegen Rechts, es ist doch klar, dass wir gegen Rassismus sind.“

All diese Abwehrmechanismen verhindern echte Veränderungen und führen zu den sich stetig wiederholenden Mechanismen aus (kurzzeitiger) Empörung und folgendem Stillstand.

6. Alle müssen handeln - Selbstvertretung statt Stellvertretung

Die Verantwortung für die Beseitigung von Rassismus und rassistischen Praktiken ist nicht die alleinige Aufgabe von Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Egal ob in der eigenen Organisation oder Gesellschaft, es müssen sich alle mit dem Thema auseinandersetzen.

Wenn Organisationen sich dem Thema Diskriminierung annehmen wollen, ist es für nachhaltige Prozesse sinnvoll, Menschen für sich selbst sprechen zu lassen. Sie sollten prüfen, wie partizipative Prozesse in der Organisation aussehen können und Menschen, die Zuschreibungen erleben, nicht einfach zu Objekten von Veränderungsprozessen machen.

Menschen sind mehr als die Summe Ihrer Diskriminierungserfahrungen und können wertvolle produktive Ansätze für nicht-diskriminierende Veränderungen und Strukturen liefern.

7. Diskriminierungssensible Sprache

Meinungsfreiheit ist kein Freifahrtschein für rassistische Diskriminierung. Auf rassistische und dehumanisierende Sprache zu verzichten, darf nicht mit einem Eingriff oder Beschneidung von Meinungsfreiheit gleichgesetzt werden. Oftmals geht es nicht um Meinungsfreiheit, sondern um Widerspruchsfreiheit und diese darf es gerade zum Wohle der Meinungsfreiheit nicht geben.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte zeigt in verschiedenen Beiträgen und Beispielen rechtliche Grenzen der Meinungsfreiheit bei rassistischen oder anderen menschenverachtenden Äußerungen.

In der eigenen Organisation gilt: Achtsam mit Sprache sein und kritisch mit Sprache und Begriffen umgehen, denn antisemitische, rassistische und viele weitere abwertende Sprachmuster sind in der Kommunikation alltäglich und werden dadurch normalisiert.

 

8. Haltung zeigen und Solidarität organisieren statt falscher Neutralität

Rassismus und Diskriminierung sind keine Meinungen oder Haltungen, die eine demokratische Alternative in einer Gesellschaft darstellen. Neutralität oder Zurückhaltung stärken menschenfeindliche und antidemokratische Kräfte und können den Anschein von Legitimität vermitteln.

Es gilt daher, klare Kante zu zeigen, zu widersprechen und rassistische Aussagen und Handlungen auch als solche zu benennen. Das gelingt zum einen durch Solidarität mit den herabgesetzten Personen oder Gruppen, zum anderen durch die Bildung von Allianzen für eine demokratische und gleichberechtigte Kultur.

Tipp: Mehr zum Thema Argumentation gegen menschenfeindliche Parolen finden Sie in unserem Thema im Fokus und unseren kostenlosen digitalen Trainings rund um das Thema Hate Speech.

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Quellen und Verweise

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